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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 13. Mai 2015; 16:58
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UK-Wahl/Soziales/Glosse:

> In der neoliberalen Vorhölle

Wer in Großbritannien das Pech hat, aus gesundheitlichen Gründen nicht
arbeitsfähig zu sein, dem hetzt die Regierung seit einigen Jahren eine
private Agentur auf den Hals, die den Kranken arbeitsfähig machen soll.
Diese privatwirtschaftliche Agentur weiß, dass sie ihren lukrativen Auftrag
nur dann verlängert bekommt, wenn sie möglichst vielen Menschen die
Invalidenunterstützung streicht. So kommt es immer öfter dazu, dass schwerst
kranke Menschen, darunter auch Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium,
für arbeitsfähig erklärt werden und in irgendwelche Jobs gedrängt werden, wo
sie dann tot umfallen oder nach kurzer Zeit Selbstmord begehen. Die
britische Öffentlichkeit sieht das weitgehend als Erfolgsgeschichte. Die
Boulevardmedien schreiben fast täglich über angebliche "Sozialschmarotzer"
und sagen der Bevölkerung, diese "Schmarotzer" lebten vom Geld der hart
arbeitenden Menschen. Das stimmt sogar, denn die Reichen tragen nichts mehr
bei zu den Resten des britischen Sozialstaates. Wie überall in Europa, in GB
aber besonders ausgeprägt, wurden die Kapitaleigner von der lästigen
Pflicht, zur Solidargemeinschaft beizutragen, Stück für Stück befreit. Dies,
so die Propaganda, sei gut für die Wirtschaft, da "Leistung" belohnt würde.
In Wirklichkeit wird natürlich nur Erben und ähnliches finanzielles
Zufallsglück belohnt. Und der einzige Wirtschaftszweig, der tatsächlich
boomt, ist die Immobilienbranche, da die Reichen mit ihren nahezu
steuerfreien Vermögen die Innenstädte aufkaufen und bereit sind, grotesk
hohe Preise zu bezahlen. Die Londoner City sieht inzwischen stellenweise aus
wie Dubai. Ein Luxusauto steht neben dem anderen und es enstanden
Dienstleistungsbetriebe, die sich um nichts anderes kümmern als um die
dekadenten Bedürfnisse der Millionäre und Milliardäre, vom Hundebeautysalon
bis zur Edelprostitution. Draußen in den Vorstädten leben gleichzeitig die
Arbeitnehmerinnen und die Arbeitslosen zwischen finanzieller Unsicherheit,
Drogenhandel und Gewerbskriminalität. Überall im Land verfällt die
Infrastruktur, verwandeln sich Parks in ungepflegte Wüsteneien, werden die
Krankenhäuser immer schlechter, werden Schulspeisungen abgeschafft, machen
Obdachlosenheime dicht. England ist heute wieder eine Gesellschaft, in der
ein Charles Dickens viel zu schreiben hätte.

Wie kam es dazu, dass aus einer Nation, die früher eine der solidarischsten
der Welt war, eine Art neoliberaler Vorhölle werden konnte? Zu verdanken ist
dies großteils dem Thatcherismus, einer Liberalismusvariante, die die
Existenz einer Gesellschaft schlicht leugnete und menschliche Interaktion
als reines Aufeinandertreffen von Marktteilnehmern interpretierte. Diese
Ideologie wurde mächtig, weil sie den Mächtigen noch mehr Macht versprach
und den Ohmächtigen die Schuld für ihre Ohnmacht zuschob. Wieso, so die
Thatcheristen, sollten Reiche Teile ihres Vermögens abgeben, um Armen zu
helfen? Die Armen müssten sich doch bloß mehr anstrengen, auf dass sie
selber reich würden. Dieser Denkansatz ignoriert, dass Reichtum für alle
innerhalb kapitalistischer Verhältnisse nicht möglich ist, dass es
Berufszweige wie zB Krankenpfleger gibt, in denen man beim besten Willen
nicht reich werden kann, die aber dennoch notwendig sind, und dass viele
Menschen selbst dann, wenn sich jegliche Leistung wirklich lohnen würde,
zurückbleiben müssten, weil sie aus welchen Gründen auch immer nicht so
leistungsfähig sind wie andere. Der innere Widerspruch dieser Ideologie
zeigt sich wohl am besten beim Thema Sicherheit. Denn begehren die
Ausgeschlossenen mal auf und veranstalten Straßenkrawalle, ist es sofort
vorbei mit der angeblichen freien Interaktion von Marktteilnehmern. Dann
kommt die Polizei und knüppelt diejenigen, die ihre Masse und
Gewaltbereitschaft als Marktmacht einsetzen wollen, nieder.

In Großbritannien sorgte vor allem das jahrzehntelange Dauerfeuer der Yellow
Press gegen sozial Schwache, Migrantinnen, Kranke und "Linke" dafür, dass
weite Teile der Bevölkerung die liberalkonservativen Dogmen verinnerlichten.
Man glaubt dort inzwischen, dass die Armen und Benachteiligten nicht arm und
benachteiligt wären, weil die Reichen und Privilegierten ihren Beitrag am
Gemeinwohl verweigern, sondern weil sie einfach nur zu faul, zu dumm, zu
ausländisch, zu behindert, zu unangepasst seien, um in der City mit
Milliarden zu hantieren statt von Stütze oder McJobs leben zu müssen. Daher
wählt man auch die Tories, die diesen Sozialdarwinismus am effektivsten in
Politik umsetzen. Die Labour Party versuchte, als Soft-Version dieser Art
von Politik zu reüssieren, doch das ging schief. Schmied und Schmiedl und
so. In Schottland, wo die Verseuchung der Gehirne mit neoliberaler Ideologie
noch nicht so weit fortgeschritten scheint, wählte man fast geschlossen die
separatistische Nationalpartei, weil die noch sowas wie ein wirklich
sozialdmokratisches Programm hat, doch innerhalb des vereinigten
Königreiches haben sie Schotten halt wenig zu melden. Und von den Armen und
Erniedrigten blieben viele gleich zuhause statt wählen zu gehen, da man sich
nach den Erfahrungen mit "New Labour" von den Sozialdemokraten auch keine
andere Politik mehr erwartete als von den Konservativen.
*Bernhard Torsch*

Blog: https://lindwurm.wordpress.com



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