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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 6. Mai 2015; 16:53
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Wien / Polizei / Moderne Zeiten

> Wenn der Supersheriff twittert

Seit einem halben Jahr gibt sich die Landespolizeidirektion Wien total
offen. Weil die haben da jetzt Twitter. Das hat man sich von den Berliner
Kollegen abgeguckt, die twittern ja auch und das kommt wirklich gut im Volk
an, das jetzt endlich erfährt, wie hart der Polizistenalltag doch ist.
Zumindest erhofft man sich diesen Lerneffekt bei den Polizeien in Wien und
Berlin.

Denn die Wiener Polizei hat sich gerade in den letzten Jahren so einiges
anhören dürfen -- und das nicht nur von den sowieso nicht
satisfaktionfähigen Linksradikalen, die an unserer lieben Polizei ja nie ein
gutes Haar lassen, sondern durchaus auch von bürgerlichen Medien. Denn
Journalisten sollte man einfach nicht aussperren oder gar hauen, die nehmen
das krumm und können sich öffentlichkeitswirksam wehren.

Also wird getwittert. Damit man auch was zum Verlinken hat, stellt die
Wiener Polizei ihre APA-Aussendungen jetzt öffentlich zugänglich. Bislang
war es nämlich so, daß die Landespolizeidirektionen zwar recht fleißig in
Presseaussendungen waren, die auch über den Originaltextservice der Austria
Presse Agentur gingen, doch diese wurden nicht auf der APA-OTS-Website
veröffentlicht -- möglicherweise, damit nicht auffällt, wie wortgetreu und
unhinterfragt die meisten Massenmedien die Polizeiaussendungen übernehmen.

Aber jetzt gibt es zumindest von den Wienern Transparenz. Und so kommt auch
die akin in den Genuß von im Schnitt fünf Aussendungen der hiesigen Schmier
pro Tag. Da liest man dann solche markerschütterndenen Schlagzeilen wie:
"Fahndung nach Handtaschenräuber" oder "Wien-Ottakring: Mutmaßlicher
Autoeinbrecher zerschlägt Scheibe mit Schirmständer".

Ezzes für den Boulevard

Allerdings lohnt es sich mitunter doch, auf den Betreff zu klicken und
nachzulesen, was die Polizei da so berichtet: "Festnahme nach Widerstand
gegen die Staatsgewalt in Wien Brigittenau -- Am 30.4.2015 um 00.35 Uhr
wurden Polizeibeamte wegen übermäßigen Lärms in eine Wohnung am Mortaraplatz
gerufen. Der 29-jährige Wohnungsmieter zeigte sich völlig uneinsichtig und
attackierte die Beamten. Er wurde festgenommen, zwei Polizisten wurden
verletzt. In der Wohnung wurde ein faustgroßer Klumpen Marihuana
sichergestellt." Ahja! Fällt da jemand etwas auf? Also eigentlich müßte
zuerst einmal ein Gericht feststellen, daß das wirklich so passiert sei,
bevor man das angebliche Geschehen überhaupt so darstellen kann. Ein solches
Gericht wird zwar wahrscheinlich eh so urteilen, da außer dem Beschuldigten
wohl nur die beiden Polizisten als Zeugen aussagen werden, trotzdem müßte da
wenigstens formhalber stehen: "Es gilt die Unschuldsvermutung."

Doch derlei ist man ja gewohnt. Nur da geht es schon noch weiter: Wenn der
Mann so uneinsichtig war, wird er die Beamten wohl nicht in seine Wohnung
gebeten haben. Wieso konnte da irgendetwas sichergestellt werden?
Durchsuchungsbefehl wird es keinen gegeben haben und "Gefahr im Verzug" ist
hier auch nur schwer konstruierbar -- aber das ist wurscht, man hat ja etwas
gefunden, also war die Polizei im Recht. Oder?

Die gleiche Botschaft vermittelt folgende Aussendung: "Am 17.04.2015 in der
Zeit von 16.30 und 00.00 Uhr führten Beamte der Bereitschaftseinheit
Personenkontrollen durch. Bei einem 19-Jährigen stellte sich heraus, dass er
wegen mehreren Eigentumsdelikten auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien
festzunehmen ist. Ein 36-Jähriger wurde in der Wehlistraße kontrolliert und
ebenfalls aufgrund einer Festnahmeanordnung wegen eines Suchtmitteldeliktes
festgenommen."

Nur: Mit welcher Begründung wurden die Personenkontrollen durchgeführt?
Darüber schweigt die Chronik. Das Sicherheitspolizeigesetz bietet zwar für
jede Gelegenheit eine passende Ausrede, aber ganz ohne Begründung darf die
Polizei das eigentlich nicht. Dem Volk wird so mitgeteilt: Wir haben wen
festgenommen, also waren die Kontrollen gerechtfertigt und wir müssen keine
Begründungen liefern -- ganz nonchalant wird so medial österreichische
Realverfassung konstruiert.

Und so geht das Tag für Tag über die Ticker und dank der neuen Offenheit der
Wiener Polizei kann man jetzt nachlesen, was man immer schon vermutet hat:
Der lockere Umgang mit Vorverurteilungen und Grundrechtsverletzungen im
Boulevard ist nicht zuletzt den Presseaussendungen der Kibarei zu verdanken.

Wobei die Wiener Polizei beim Twittern in der Tugend des
Keinen-Genierer-Habens noch ein klein wenig lustiger unterwegs ist als die
Berliner Kollegen. Beim Account der Berliner Polizei weiß man wenigstens,
daß man so tun sollte, als wäre man seriös. Denn @polizeiberlin liest selbst
nur einen einzigen Twitter-Account, nämlich @BVerfG, also die
Pressemitteilungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Die Berliner
signalisieren damit: Wir verfolgen ganz genau die Entscheidungen des
Höchstgerichts, um immer ganz genau zu wissen, was rechtmäßig ist und was
nicht. Die Wiener (@LPDWien) folgen hingegen zwei Twitter-Accounts: Dem der
Berliner Kollegen und dem eines "Krone"-Journalisten. Und sonst niemandem.
Das sagt irgendwie auch was aus...
*Bernhard Redl*

Update nach Redaktionsschluß: Mittlerweile folgt die Polizei der Krone
zumindest auf Twitter nicht mehr. Immerhin ist denen doch noch aufgefallen,
das sowas verräterisch sein kann...



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