**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. April 2015; 17:28
**********************************************************

Zeitgeschichte/Repression:

> Erinnerungen an Ebergassing

Ebergassing. Vor jener Explosion am Strommasten vor genau 20 Jahren war mir
der Ort im Industrieviertel völlig unbekannt; danach bedeutete mir der Name
nur diese Geschehnisse und vor allem die Folgen.

Am 11.April 1995 explodierte der Sprengsatz. Die Ermittlungen ergaben, daß
zwei linke Aktivisten einen Strommasten hätten sprengen wollen, dabei aber
selbst ums Leben kamen. Auch wenn es sich wahrscheinlich wirklich so
abgespielt hat, blieb der behauptete Hergang letztendlich unbewiesen.

Die politische Situation war damals recht unruhig. Vor allem viele Linke
waren sehr nervös. Man öffnete Briefe, die nicht völlig flach waren, nur
unter Vorsichtsmaßnahmen, da man immer mit einer neuen Briefbombenserie
rechnete, und die Haider-FPÖ hatte trotz LIF-Abspaltung nach einem recht
agressiven Wahlkampf im Herbst 1994 deutlich dazugewonnen. Und vor allem:
Gerade zwei Monate vorher war die Sprengfalle von Oberwart hochgegangen und
natürlich waren der Boulevard und die FPÖ dahinter, die beiden Anschläge
gleichzusetzen. Das ging soweit, daß die FPÖ sogar versuchte, "Oberwart und
Ebergassing" den gleichen, natürlich linken Tätern unterzuschieben.

Die Zeitschrift TATblatt kam damals besonders ins Visier der
Berichterstattung, da sie von der FPÖ zum Zentralorgan des Terrors
stilisiert wurde. Die FPÖ-Studenten veröffentlichten ein von ihnen
behauptetes "extremistisches" Netzwerk, das von den zwei mutmaßliche
Attentätern über das TATblatt und natürlich auch die akin bis hin zu den
Grünen und SPÖ-Ministern reichen sollte. In Folge dessen geriet auch
SPÖ-Innenminister Caspar Einem in die Schußlinie der FPÖ und der Krone, als
sich herausstellte, daß dieser dem TATblatt etwas gespendet hatte. Gegen
diese Hetze gab es sogar eine Demo, auf der ein Freund von mir meinte: "Es
ist schon ein bisserl komisch, für einen Innenminister zu demonstrieren."

Es kam zu enorm vielen Hausdurchsuchungen und Einvernahmen durch die Polizei
und auch in der Linken wußte man bald nicht mehr, was man über die Sache
denken sollte. Vermutungen und Gerüchte gab es damals viele. Wilde, aber zum
Teil auch durchaus fundierte Theorien bis hin zur Behauptung, es wäre Mord
gewesen, quasi eine Inszenierung, um vom rechten Terror abzulenken, machten
die Runde.

Es kam auch zu seltsamen Spielchen der clandestinen Art, wie etwa, daß der
Generaldirektor für öffentliche Sicherheit Michael Sika -- der seinem
Minister alles andere als wohlgesonnen war -- den Rechtsanwalt Thomas Prader
anrief, damit dieser doch seine Kontakte zur Linken nutze, um einen
vermuteten "dritten Mann" dingfest zu machen; dies, so wurde kolportiert, um
Druck aus der Sache rauszunehmen, sowohl um den Minister zu schützen als
auch, damit der angebliche Dritte einen fairen Prozeß haben könne -- oder
überhaupt nur seine Festnahme überlebe. Die beiden Journalisten, die Prader
anrief, spielten dabei aber dann doch nicht mit, weil sie nicht zu
Hilfspolizisten werden wollten. (Die Recherche von damals über die Sache ist
auf dem akin-Blog nachzulesen.)

Es war eine Atmosphäre der Angst, in der solche Sachen passieren konnten.
Minister Einem konnte sich noch eine Weile halten, bewies in Folge mit
seiner Forcierung neuer Ermittlungsmethoden der Polizei, welch braver
Sozialdemokrat er doch war, und wurde von seiner Partei dennoch keine zwei
Jahre später fallengelassen. Er wurde auf den Verkehrsministerposten
abgeschoben, weil die ihm formal untergebene Polizei ihn einfach nicht
leiden konnte.

Ebergassing war kein Anschlag auf Menschen, sondern auf eine Stromleitung.
Es war eine Protestaktion gegen Atomstromimporte -- wenn es überhaupt so
passiert ist.

Denn wenn es auch nicht mit Oberwart vergleichbar war, wollten viele Linke
die Aktion vielleicht doch nicht wahrhaben, was wohl mit ein Grund gewesen
sein kann, daß es zu vielen Theorien über andere Abläufe gekommen ist.
Andererseits: Bis heute ist lediglich sicher, daß es am 11.April einen
weithin hörbaren Knall gegeben hatte, der damals für die Hörenden nicht
zuordenbar war und wohl vom Sprengsatz am Strommasten stammte -- der aber
nicht umfiel. Und: daß eine Woche später an dieser Stelle die Leichen von
Gregor Thaler und Peter Konicek gefunden wurden, zwei bekannten linken
Aktivisten.

Die Unsicherheit, was wirklich geschehen ist, blieb. Bis heute.
*Bernhard Redl*


Die im Text angesprochene Recherche findet sich als Wiederveröffentlichung
von 1995 unter
https://akinmagazin.wordpress.com/2015/04/12/aus-dem-archiv-der-dritte-mann-von-ebergassing-wie-die-polizei-1995-versuchte-linke-als-hilfspolizisten-zu-m-isbrauchen/
KurzURL: http://wp.me/p2EDLB-An
Dort gibt es auch weitere Links zu Presseberichten und einer ausführlichen
Dokumentation des TATblatts

*

Kasten:

> §278b gegen NOWKR

Die Landespolizeidirektion Wien hat im Auftrag des Verfassungsschutzes ein
Ermittlungsverfahren gtegen das NOWKR-Bündnis eingeleitet und Anzeige wegen
§278b StGB Terroristische Vereinigung erstattet. Die Staatsanwaltschaft
prüft momentan den Sachverhalt. "Es ist zutiefst erschreckend, auf welche
Mittel Polizei und Verfassungsschutz zurückgreifen, um gegen
Antifaschist_innen vorzugehen. Wir haben als Bündnis Vortragsreihen und
Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und dessen gesellschaftliche
Verankerung organisiert. Sollte das unter den Terrorismus-Begriff in
Österreich fallen, ist das einfach nur ein Skandal", so Bündnissprecherin
Elisabeth Litwak in einer Aussendung.

In diesem Zusammenhang sei die Gesetzesnovelle, die dem Verfassungsschutz
erweiterte Befugnisse zusprechen will, mehr als bedenklich. Eine
Machtverschiebung hin zur Exekutive habe historisch gesehen noch nie gut
geendet und könne als Formierung hin zu einem autoritären Etatismus
interpretiert werden. "Vor 50 Jahren wurde der kommunistische
Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger vom neonazistischen Burschenschafter und
RFS-Mitglied Günther Kümel ermordet. In der Tradition genau dieser
mörderischen Ideologie stehen Burschenschaften und Teile der FPÖ. Während in
Österreich mit polizeilichen Maßnahmen gegen Antifaschist_innen vorgegangen
wird und die FPÖ eine Parlamentarische Anfrage einbringt, in der
antifaschistische Kritik als Hochverrat betitelt wird, werden rechtsextreme
Burschenschafter seit Schwarz-Blau nicht mehr vom Verfassungsschutz
beobachtet und finden in den offiziellen Berichten über Rechtsextremismus in
Österreich keine Erwähnung.", zeigte sich Litwak verwundert.




***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
Blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
Facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
Mail: akin.redaktion{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW