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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. Jänner 2015; 16:23
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Glosse:

> Die Gesundheitslotterie

Der steinzeitliche Mensch saß in seiner Höhle oder in seinem Lehmhüttendorf
und fürchtete sich. Papa starb, Mama starb, die Kinder starben, die Frau
starb beim Kinderkriegen, die Kumpels starben, sogar der gerade erst
gezähmte Hauswolf starb. Und auch der sich fürchtende Mensch selber konnte
jeden Moment tot sein, vom Mammut zertreten, vom Säbelzahntiger
verspachtelt, beim Feuermachen verbrannt weil sich sein Bart zu brennen
begann. Also dachte sich Barney Geröllheimer Erklärungen und vermeintliche
Gegenmittel für all das Sterben aus. So entstanden die Götter, die Dämonen,
das Horoskop und, da Barney doch nicht völlig bescheuert war, zu unser aller
Glück auch die Medizin. Wir sind immer noch dieselbe Spezies wie Barney und
haben Angst. Vor allem Krankheiten wie Krebs lehren uns das Fürchten. Wir
wollen nicht hinnehmen, dass Krebs einfach nur ein Zufall ist und basteln
uns viele neue Aberglaubensgebäude, die dem Sinnlosen einen Sinn geben
sollen. Leider spielt die Wissenschaft nicht mit. Die hat nämlich
herausgefunden, dass Krebs mit wenigen Ausnahmen wie Lungenkarzinom oder
Kehlkopfkrebs einfach nur Pech ist. Zwei Drittel aller Krebsfälle, so eine
aktuelle Studie aus den USA, hätten nichts mit dem Lebenswandel der
Patienten zu tun sondern seien zufälligen Genmutationen zu verdanken. Wenige
Wochen zuvor hatte eine andere Studie nachgewiesen, dass "positives Denken"
gegen Krebs weder schützt noch ihn besser heilbar macht. Das ist ernüchternd
und wird von den meisten Menschen wohl gar nicht wahrgenommen werden, denn
es ist einfach viel angenehmer, wenn man etwas Unkontrollierbares wie Krebs
durch magische Rituale wie spezielle Diäten, Sport oder autogenes Training
beherrschen zu können glaubt. Und seltsamerweise scheint der Mensch sich
außerdem besser zu fühlen, wenn er Kranken eine Mitschuld an deren Krankheit
andichten kann. Diese Mitschuld scheint es laut neuen Erkenntnissen aber in
einem viel geringeren Ausmaß zu geben, als bislang angenommen.

Der aktuelle Stand der Forschung wird es sehr schwer haben, bis in die Köpfe
vorzudringen, denn eine ganze Industrie lebt von dem Versprechen, man könne
dem Krebs und anderen Krankheiten durch eine Reihe von ganz einfachen
Verhaltensmaßnahmen entrinnen. Ernährungsberater versprechen ebenso ewige
Gesundheit wie Fitnesstrainerinnen und Psycho-Coaches. Allein: Es sind leere
Versprechungen, gestützt auf Aberglauben und Hoffnung. Nichtrauchen kann
dazu beitragen, sein Risiko für Lungen-, Kehlkopf- und Mundhöhlenkrebs sowie
für Herz-Kreislauferkrankungen signifikant zu senken. Das ist nicht wenig,
aber einen absoluten Schutz gibt es nicht. Auch Nichtraucherinnen erkranken
an diesen Krebsarten, auch sportliche Menschen erliegen Herzinfarkten und
manch lebenslanger Raucher kriegt nie Krebs. Rauchen ist halt so, als würde
man für die Lungenkrebslotterie ein paar hunderttausend zusätzliche
Gewinnscheine ausfüllen, was die Gewinnchance erhöht, aber den Gewinn nicht
garantiert. Nix ist fix in diesem seltsamen Leben. Sicher, Nichtrauchen ist
fast in jedem Fall positiv, gesundheitlich und finanziell, aber es ist kein
Weg zum ewigen Leben. Der Tod holt jeden, ohne Gnade und ohne sich bestechen
zu lassen durch eine angeblich gesunde Lebensführung. Das ist eine ungeheure
Kränkung, die so tief geht, dass wir offenbar lieber jedem Todkranken eine
Mitschuld an seinem Leiden geben als hinzunehmen, dass Krankheit und Tod
integrale Bestandteile unserer Existenz sind. Gekränkte und verängstigte
Menschen sind manchmal auch gefährlich, da sie ihre Angst und ihre Wut auf
die Kranken projizieren und dann sogar so weit gehen, aus Angst vor der
Krankheit die Kranken umzubringen. Dies kennt die Menschheit wohl seit den
ersten totgeschlagenen Epileptikern, die man für von Dämonen besessen hielt,
und man kennt es von der Eugenik und der Euthanasie. Und der Wahn, Krankheit
durch Eliminierung der Kranken besiegen zu können, taucht immer wieder neu
auf. Aktuell in vielen Diskussionen über die sogenannte "Sterbehilfe".

Was ich mit all dem sagen will? Dass man ein wenig entspannen sollte! Mit
dem Rauchen aufhören oder am besten niemals anfangen und sich halbwegs
gesund zu ernähren und Bewegung zu machen ist nie falsch und erhöht fast
immer die Lebensqualität. Sterben muss man aber trotzdem und wann der Tod
anklopft, darüber entscheidet außer bei Selbstmördern allein der Zufall.
Entspannt euch aber nicht nur selber, sondern seid auch nett zu den Kranken
und seid solidarisch mit ihnen, denn die können meist nichts dafür, dass sie
krank sind! Krankheit kann jeden treffen, auch die größte
Gesundheitsfanatikerin und den schärfsten Moralapostel. Lasst euch nicht
irre machen von den wandelnden Rechenschiebern und ihrer
Volksgesundheitspropaganda! Lebt und genießt Euer Leben, solange es geht,
denkt aber immer auch daran, dass schon morgen Ihr selbst an der Stelle
derjenigen sein könntet, denen ihr heute vorhaltet, sie seien nur deswegen
krank, weil sie "falsch" gelebt hätten!

*Bernhard Torsch*

Blog:
https://lindwurm.wordpress.com/2015/01/04/die-gesundheitslotterie



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