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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. Dezember 2014; 03:03
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Debatte:

> Die Kritik an der Kritik am DefMa-Konzept

Zur Veranstaltung am 12. Dezember 2014 (1)

Das Konzept zur Umsetzung der "Definitionsmacht weiblicher Betroffener im
Falle eines sexualisierten Übergriffs" - kurz "Definitionsmacht" oder
"DefMa" - verlangt, so wurde mir das vor fünf Jahren verständlich gemacht,
von allen Beteiligten, dass sie den Ausführungen einer Frau, die einen
Übergriff zur Sprache bringt, in dem sie sich als Betroffene sieht,
unbedingt und unwidersprochen Glauben schenken und sich mit ihr parteilich
zeigen. Den von der Betroffenen geäußerten Bedürfnissen, Wünschen und
Forderungen ist von jeder Seite nachzukommen. Der Darstellung des Täters ist
keine Bühne zu geben.

Das sind knapp formuliert die Rahmenbedingungen eines feministischen
Konzepts, dessen Ausführung in Form einer Veranstaltung der Basisgruppe
Politikwissenschaft am 12. Dezember kritisiert werden sollte. Dazu wurden
Carmen Dehnert und Lars Quadfasel eingeladen, beide tätig in der Gruppe Les
Madeleines, die unter anderem den Artikel "Kein Kavaliersdelikt" in der
linken Wochenzeitung Jungle World verfasst hat. (2)

Die Veranstalter'innen und wohl auch mehrere Besucher'innen waren bereits im
Vorfeld auf Einiges gefasst, handelt es sich doch bei diesem Thema um ein
heißes Eisen. Das diskutierte Konzept erhebt immerhin den Anspruch, Schluss
zu machen mit der Verbreitung der Lüge, die Betroffene sei irgendwie auch
selber Schuld, wenn ihr zum Beispiel in der U-Bahn an den Hintern gefasst
wurde. Den einfältigen Erklärungen der im Patriarchat verhafteten Zeugen und
Zeuginnen, dass der Täter es nicht so gemeint hätte, soll keine Beachtung
mehr geschenkt werden, man möchte sich vielmehr der Betroffenen widmen und
ihren Wünschen nachkommen. Die objektive Perspektive auf den Übergriff soll
verhindert werden, während die subjektive Perspektive der Betroffenen
übernommen werden soll.

Wer Kritik an der Ausführung dieses Konzeptes äußern will, läuft schnell
Gefahr dem Patriarchat das Wort zu reden. Denn am naheliegendsten scheint
für viele immer noch, die Wahrnehmung der Betroffenen in Frage zu stellen.
Damit geraten einerseits Kritiker'innen des Konzeptes bei umfangreicheren
Ausführungen genau in dieses Fahrwasser (weil von ihnen zB die These
aufgestellt wird, die Betroffene wäre zu deutlicheren Darstellungen und
Forderungen gedrängt worden), und andererseits entsteht für die
Befürworter'innen
des Konzepts bei mangelnder Differenzierung zumindest der Eindruck, die
Wahrnehmung der Betroffenen würde in Frage gestellt, weil zB geäußert wurde,
dass subjektive Perspektiven nicht ohne weiters übernommen werden können.

Die Veranstaltung am Freitag war als klassischer Vortrag mit anschließender
Diskussion geplant, wurde aber alsbald von Befürworter'innen des Konzepts
gestört. Und zwar zuerst als Lars Quadfasel seine Kritik an einem Plakat
formulierte, auf dem es um die Zustimmung unter Sexualpartner'innen geht. 3)

"Riesengroßes Orschloch"

Auf dem Plakat wird dazu ermuntert, jeden Handgriff mit allen Beteiligten zu
besprechen. Im Falle nonverbaler Kommunikation sollte diese laut Plakat
vorher abgesprochen werden.

Quadfasels Einwand, dies wäre nicht möglich, wurde mit den Worten "du bist a
riesengroßes Orschloch" unterbrochen und anstatt seinen Einwand zum Ende
kommen zu lassen, fand sich großer Beifall (zirka ein Drittel des
Anwesenden) im Publikum und die eine oder andere Äußerung, die die
Beschimpfung bekräftigte bzw. die Störung der Veranstaltung nachempfinden
konnte.

Quadfasels Beteuerungen, es ginge ihm darum, dass Sprache unter Umständen
unzulänglich sei, um vorort Zustimmung zu kommunizieren, wurde ignoriert und
das Publikum fühlte sich in weiterer Folge ermächtigt, Kritik durch
Zwischenrufe zu üben.

Die Sache ging so weit, dass der Abbruch der Veranstaltung in Erwägung
gezogen werden musste, die Veranstalter'innen entschlossen sich allerdings,
die Zwischenrufe jeweils zu sammeln und in dieser Form darauf einzugehen.
Auch das half nicht viel, da Quadfasel immer noch in seinen Ausführungen
unterbrochen wurde, während den Befürworter'innen der Definitionsmacht
ausnehmend Raum geboten wurde. Carmen Dehnert war es leider nicht möglich,
einen eigenen Beitrag zu halten - sie übernahm allerdings mehrere
Entgegnungen auf Zwischenrufe.

Jene Teilnehmer'innen die durch ihre Zwischenrufe sowohl die Referent'innen
in ihren Ausführungen als auch die gesamte Diskussion zu dem Thema gestört
hatten, werden sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass sie hier
tatsächlich versucht haben, ein Dogma gegen seine Demaskierung zu
verteidigen.

Linksradikale Praxis als Dogma zu bezeichnen wirkt etwas hoch gegriffen,
allerdings entstand für mich sehr wohl der Eindruck, dass hier jegliche
Kritik an der Ausführung des DefMa-Konzeptes als "DefMa-Bashing"
diskreditiert wurde. Zum Umgang mit Kritik äußerte sich eine Teilnehmer'in
besonders deutlich, als sie meinte, man solle doch bitte an einzelnen
Gruppen, die das Konzept problematisch (sic!) umsetzten, aber nicht an der
gesamten DefMa Kritik üben.

Die Referent'innen erweckten allerdings nicht den Eindruck, als ginge es
ihnen um eine personelle Befassung mit der Problematik, sondern vielmehr um
eine globale Kritik des Konzepts selbst. Anhand der Verlesung von
Flugzetteln, in denen die Auseinandersetzung mit sexualisierten Übergriffen
als eine "schöne, wertvolle Erfahrung" beschrieben wird, wo sich Täter
"geehrt" fühlen sollten, dass sie nun endlich mit ihrem Verhalten
konfrontiert werden, wurde zum Beispiel die Frage aufgeworfen, was in der
Vermittlung des Konzepts schief gelaufen sein könnte, dass solche
"Mißverständnisse" auftreten können. Anstatt auf diese Frage allerdings
einzugehen, wurde lediglich gefragt, wer diese (anonym ausgelegten)
Flugblätter verteilt hätte, um dann den Referent'innen zu unterstellen, sie
würden die jeweiligen Veranstalter mit dieser Aussendung anschwärzen wollen.

Eine globale Diskussion über das Konzept der Definitionsmacht blieb auch mit
dem ständigen Verweis, jede Gruppe könne das anders handhaben könne, aus.
Sämtliche Verweise von Quadfasel und Dehnert auf semantische Schwächen in
den verschiedenen Veröffentlichungen zu dem Thema blieben daher
unkommentiert, weil die jeweiligen Autor'innen selbstverständlich nicht
anwesend waren. Die Frage, ob es sich bei dem Konflikt zwischen
DefMa-Befürworter'innen und Les Madeleines nicht um einen Konflikt zwischen
der Führung eines herkömmmlichen und eines strukturellen Gewaltbegriff
handle, wurde leider erst zum Schluß aufgeworfen - es bleibt allerdings zu
bezweifeln, dass der Diskussion dann noch viele Teilnehmer'innen hätten
folgen können bzw wollen.

Und was heißt das jetzt?

Zum Abschluß bleibt mir eigentlich nur selbst - inspiriert durch den
Vortrag - ein paar Anregungen in den Raum zu stellen. Wie oben bereits
erwähnt, bin ich mit dem Konzept seit mehr als fünf Jahren vertraut, und es
hat mir sehr bei meiner Sensibilisierung für die Thematik geholfen. Das
besprochene Plakat war für mich in nützlicher Wegweiser in der Reflexion
meines Umgangs mit den Grenzen meiner Mitmenschen. Genauso schockiert wie
ich über die Art und Weise bin, wie das DefMa-Konzept in Wien umgesetzt
wird, bin ich auch über die Tatsache, dass Belästigung, Grabschen und
Vergewaltigung im Alltag wie in der autonomen Szene keine Seltenheit sind.

Die Betroffenen sind dabei im Umgang mit ihren Erfahrungen zuerst sich
selbst überlassen, und das liegt vermutlich sogar in der Natur der Sache.
Denn der Täter würde solche Handlungen kaum setzen, wenn absehbar wäre, dass
sein Verhalten Konsequenzen haben muss.

Die Vorteile des Konzeptes liegen in der Konfrontation der Täter mit ihrem
Verhalten und in der Sichtbarmachung des Problems durch Sensibilisierung.
Wer behauptet, die Betroffenen seien an der ihnen widerfahrenen Behandlung
selber schuld, wird wohl kaum das Ausmaß dieses Problems erkennen.

Die Schwäche des Konzepts liegt aber gerade darin, dass Übergriffe als
subjektive Erfahrung verharmlost werden. Anstatt klipp und klar zu
formulieren, dass selbst aufdringliches Werbeverhalten einen Übergriff
darstellt (was in verschiedenen Mainstream-Lokalen durchaus zur Türpolitik
zählt), verkommt die Vorstellung darüber, was ein Übergriff sein könnte und
was nicht zur Beliebigkeit. Ein Urteil darüber bleibt erst einmal der
subjektiven Perspektive des potentiellen Täters überlassen.

Im besten Fall ist der potentielle Betroffenen damit geholfen, dass besagte
Täter von einem Übergriff absehen, im schlimmsten Fall steht sie erst wieder
alleine da - wenn es ihr zum Beispiel an einem kompetenten Freundeskreis
fehlt. Der Umgang mit schwerwiegenden Übergriffen erfordert unter Umständen
therapeutische, soziale und mediale Kompetenz. Dann nämlich, wenn der
Vorfall psychologische Betreuung, freundschaftliche Unterstützung und
politische Aufarbeitung erfordert. Die agierenden Unterstützer'innengruppen
gebärden sich hier, so scheint mir, leider zu oft als eierlegende
Wollmilchsau. Die Folge ist eine Vulgarisierung von Begriffen wie Trigger
oder Traumatisierung.

*Ruby Slippers*



1) "Kein Kavaliersdelikt. Eine feministische Kritik der 'Definitionsmacht'"
im Wiener NIG, https://www.facebook.com/events/307839722739339/

2) Kein Kavaliersdelikt, JungleWorld 32/2010 -
http://jungle-world.com/artikel/2010/32/41534.html
Les Madeleines: https://lesmadeleines.wordpress.com/

3) Plakat: http://defma.blogsport.de/images/dt_v2_2_p.pdf
bzw. Text des Plakats:
http://defma.blogsport.de/2008/12/23/nein-heisst-nein-oder-antisexismus-muss-praxis-werden-das-zustimmungskonzept/



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