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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. Dezember 2014; 02:57
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Asyl/Griechenland:

> Syrien am Syntagmaplatz

Flüchtlinge protestieren öffentlich in Athen

Die syrischen Flüchtlinge, die seit Wochen am zentralen Syntagmaplatz in
Athen unmittelbar gegenüber dem Parlament einen Sitz- und Hungerstreik
(letzteren seit dem 24. November) durchführen, waren oder sind in großer
Gefahr. Das berichtet unter anderem ertopen, die Rundfunk- und
Fernsehanstalt in Selbstverwaltung. Die politische, eindeutig rechtsradikal
geprägte Schlägerpolizei MAT hat bereits zweimal versucht, die Syrer vom Ort
ihrer Proteste zu verjagen. Das konnte für den Augenblick von politischen
Aktivisten verhindert werden, aber die Polizei hat den Zugang zu den
Hungerstreikenden abgesperrt. Als Anlaß nahm sie die Drohung eines
Protestierenden, sich umzubringen.

Vom Anfang an, als die Polizei blitzartig einen Kessel um die
Hungerstreikenden gezogen hatte, waren bereits, so indymedia Athens,
Hunderte Sympathisanten zur Stelle. Auch die Gewerkschaft der
Buchhandelsangestellten, der Angestellten der Papiergeschäfte, Verlage und
Copyshops, die in der nahen Hermesstraße gegen die Sonntagsöffnung
demonstrierten, waren zur Stelle, ebenso Syriza-Abgeordnete (laut Efimerida
ton Sintakton). Die Sympathisanten der Hungerstreikenden wiederum umringten
die Polizei. In der Folge kam es zu einer Reihe von kleineren
Auseinandersetzungen zwischen Polizei, Sympathisanten und den
Hungerstreikenden (indymedia A.)

Von ausgesuchtem Zynismus war, wie Efimerída ton Sintaktón, die
selbstverwaltete "Zeitung der Redakteure" berichtet, daß die Polizei
außerdem noch die versammelte Menge in zwei Teile teilte und dadurch Mütter
auf der einen Seite und ihre hilflosen, alleingelassenen Kinder auf der
anderen Seite zu stehen kamen. So behandelt man Kriegsflüchtlinge!

Deren Situation ist verzweifelt, zwei Flüchtlinge haben gedroht, sich
umzubringen. Proto Thema berichtet von einem Fünfzehnjährigen, der sich
aufhängen wollte (PTh). "Ich will lieber sterben als so weiterzuleben"
(APE-MPE). Kurz darauf wollte sich eine junge Mutter mit ihrem Neugeborenen
ums Leben bringen. Die "gute" Polizei eilte zu den beiden hin und es gelang
ihr nach zweistündigen Verhandlungen mit dem Versprechen, es werde in den
nächsten Tagen eine Lösung gefunden werden, die beiden von ihrem Vorhaben
abzubringen, (PTh). Die beiden wurden dann in eine Unterkunft gebracht.

Kein Geld, kein Obdach

Die meisten Flüchtlinge haben kein Geld mehr, es gibt keine finanzielle
Unterstützung, kein Obdach. Ihr Protest bezieht sich auf diese
Minimalforderungen, aber die meisten wollen längerfristig aus Griechenland
weg, weil ihnen klargeworden ist, was Griechenland für ein Land ist: ein
Land der Folter, ein Land der Massenabschiebungen, ein Land der von
Faschisten/Nazis durchsetzten Polizei, ein Polizeistaat, ein Land ohne die
minimalsten in anderen Ländern selbstverständlichen Überlebensgarantien für
(politische) Flüchtlinge.

Viele von ihnen haben in anderen europäischen Ländern Verwandte, von denen
sie ohne Mühe aufgenommen und unterstützt werden könnten. Die Weiterreise
wird ihnen verwehrt, da die Leute bekanntlicherweise in dem Land, in dem sie
ankommen, zu verbleiben haben. Das befiehlt die europäische rassistische
Diktatur.

Der unter anderem von den Grünen gewählte Bürgermeister Athens, Kaminis, der
beispielhaft für die Räumung des Zeltlagers der Empörten am Syntagmaplatz
verantwortlich war, mobbt auf mehr oder weniger direkte Weise schon seit
Tagen gegen die Flüchtlinge: gestern hat er endlich, wie Ephimerida ton
Syntakton berichtet, die Großzügigkeit besessen, für 30 bis 40 der insgesamt
300 Betroffenen eine Unterkunft zuzusagen - in einem Hotel, das zur Zeit
seiner Zusage noch geschlossen war. Die anderen sollen nachkommen.

Bei einem Treffen von Generalsekretär im Innenministerium Sirigos mit dem
Bürgermeister und dem Vertreter der Flüchtlinge wurde eine Partiallösung
erreicht. Eine Weiterreise sei zwar nicht möglich (damit macht er den
gebührenden Kotau vor seiner EU-Politik), aber er will, als einzige legal
mögliche Lösung, eine Asylberechtigung en gros erteilen. Damit wird man zwar
als Tourist in andere Länder der EU reisen können, sich dort aber nicht
dauerhaft niederlassen können, berichtet Greek Reporter. Wäre dies ein
Erfolg, ein Teilerfolg der Bewegung?

Press TV, ein Organ des iranischen Terrorstaates, der aber sehr um die
Menschenrechte in Europa besorgt ist, bringt einen fairen und schnellen
Bericht.

Zur Unterkunft kommt Essen und ärztliche Versorgung, als Gegengabe für die
Akzeptanz des ministeriellen Asylangebots, erläutert Press TV. Fraglich ist,
so berichten die Flüchtlinge, ob diese Sonderlösung der Anlass für eine
verbesserte Gesetzgebung sein wird. Eine solche kollektive Asylgewährung
wird das erste Mal konzediert, Press TV erwähnt insgesamt 600 Begünstigte.
Das erinnert ein wenig an ähnliche Partiallösungen in Italien in den
Achtzigerjahren, sowie Forderungen der sans-papiers in Frankreich nach
ausschließlich kollektiven Lösungen, die sich allerdings auf eine permanente
politisch begründete Aufenthaltsberechtigung, "hier mitten im Zentrum des
Imperialismus, der an unserem Elend schuld ist", wie es Madjiguène Cissé so
oft meisterhaft formulierte, bezogen hat. Demgegenüber hat der Protest der
Syrer einen eher praktische Ausrichtung.

Von der Polizeipräsenz berichtet Press TV nichts, das würde wohl zu sehr an
den Iran erinnern, wo speziell die afghanischen Flüchtlinge, die früher
hofiert wurden, heute zu regelrechten Volksfeinden geworden sind und zu
einem Objekt der dortigen Polizei.

Solidaritätsaktionen

Über alternative Medien konnten aber zahlreiche Unterstützer und
Sympathisanten auf den Platz gebracht werden, und von Trotzkisten
(KEERFA/SEK) bis zu den Anarchisten setzen sich viele mit ihrer Präsenz am
Platz und bei Verhandlungen für die Syrer ein und gegen den Folterstaat.

In den vergangenen Wochen hat es viel Solidarität mit den Hungerstreikenden
gegeben: während der Demonstration zum 40. Jahrestag des Massenmordes beim
Aufstand im Polytechnío und bei der großen Demonstration (10.000 Leute) für
Nikos Romanos.

Bereits am Freitag war eine schnelle provisorische Lösung für Frauen mit
Kleinkindern gefunden worden: sie wurden in städtische Unterkünfte gebracht.
Umso "unverständlicher" ist die massive Präsenz der Polizei, die auch noch
den Verkehr absperrte. Will die Polizei einen Parallelstaat etablieren, mit
eigenen Entscheidungen, wo ohnehin schon die Politik relativ positiv
entschieden hat?

In den letzten Stunden sind in zahlreichen Boulevard- und Regierungsmedien
die berühmten Meldungen über Schlepper erschienen. Sie hätten sich
eingeschlichen, hätten dauernd die Streikenden bedroht, hätten gestohlen,
sich gegen die in Aussicht stehenden Asylberechtigungen gewendet - um ihre
Angebote propagieren zu können: 4000 bis 10000 Euro für eine Weiterfahrt
(Etwas irreal angesichts der Geldlosigkeit vieler Flüchtlinge).

Offensichtlich in diesem Zusammenhang seien heute zahlreiche Leute, "die man
noch nie gesehen hat", auf dem Syntagma-Platz erschienen. Die Plötzlichkeit
dieser Meldungen, die jetzt gehäuft auftreten, überrascht. Diese Schlepper,
die knallhart ihre eigenen Interessen verfolgen, seien gegen das vernünftige
Abkommen zwischen den Flüchtlingen und dem griechischen Staat, trieben einen
Keil zwischen Flüchtlinge und Staat. So als sollte durch die Blume gesagt
werden: Tunlichst Zusammenarbeit zwischen Flüchtlingen und Staat in allen
Belangen!

Die Flüchtlinge aber wollen sich nicht verfrachten lassen, sie wollen Pässe,
sie wollen Reisefreiheit, sie wollen weg, sie trauen den Versprechungen
nicht.

Was sollen sie auch in Griechenland? Wer findet schon Arbeit? Und wenn, dann
zu Bedingungen, die allen Menschenrechten Hohn sprechen. Es wird von einem
Mann berichtet, der, in Griechenland, in einer Küche, 14 Stunden lang für 10
Euro (!) insgesamt arbeiten muß.

Erinnerungen an die Votivkirche

Ihre radikalen und gleichzeitig realistischen Forderungen werden jetzt zu
Machinationen der Schlepper umgedeutet, als sei die Bewegung ein Produkt der
Schlepperbanden.

Die unnötig massive Präsenz der Polizei wird damit überspielt, die Syrer mit
ihren berechtigten Anliegen werden zu einer in ihrer Intentionen und
Anliegen verschmutzten Masse umstilisiert und damit wird ein wenig die
Gutwilligkeit des griechischen Staates mitpropagiert.

Das alles erinnert an die Votivkirche, wo Flüchtlingen Schlepperinteressen
angedichtet wurden von der demagogischen Kloakenpresse, und in der Folge
alle Flüchtlinge als eine mit der Schlepperei verquickte Bande stigmatisiert
wurden. Die in der Folge mit der heuchlerischen Beihilfe der Caritas
zerteilt und zerstückelt werden konnte.

Nun ist durchaus denkbar, daß reelle Hyänen sich unter die Schlepper auf dem
Syntagmaplatz gemischt haben - noch dazu wo berichtet wird, daß Araber aus
zahlreichen anderen arabischen Ländern gesichtet worden seien.

Warum auch nicht? Aber dies wäre ja ein mehr als willkommener Anlaß für die
Boulevardpresse, die ja zum Teil in der Hand von Mafiosi und mafiosen
Oligarchen liegt (diese Oligarchen haben ja die überfallsartige Schließung
der ERT im vergangenen Jahr betrieben), die ohne Zweifel politische
Initiative im Sinne eines gleichgerichteten Staates, dessen Bild ja auch der
Bürgermeister nachhechelt, zu diskreditieren. Wer weiß, wie weit es die
griechische Boulevardpresse noch treiben wird!

Dieser spießige Bürgermeister, der seine Stadt mit einem sauberen
Empfangsraum verwechselt, hat sich kürzlich verärgert über die Straßenkioske
geäußert, die ihm zu viele sind. Man könne auf den Gehsteigen kaum mehr
weiterkommen.

Wer Athen einigermaßen kennt, weiß, daß man nicht wegen der Kioske am
Weiterkommen behindert wird, sondern weil die Gehsteige voller Löcher und
manchmal auch gefährlicher Unebenheiten sind. Darum kümmert sich aber der
Herr Kaminis nicht.

Er will die Stadt von fremdartigen Flüchtlingen und einheimischen Kiosken
säubern. Ein von den Grünen gewähltes Anhängsel der Polizei-Junta
Samaras-Venizelos!

Wer Athen kennt, weiß, daß man nicht wegen den Flüchtlingen und den
Demonstrationen am Fortkommen behindert wird, sondern daß die syrischen
Flüchtlinge und die Demonstrationen die Stadt zu einer der Stadt der
Beweglichkeit und Lebendigkeit machen wie keine andere in Europa.

Diese Beweglichkeit wird von allen Seiten eingeengt. Die Situation ist
dreifach gefährlich: aufgrund der Präsenz der Polizei, aufgrund der Präsenz
der Presse, aufgrund der Präsenz der Schlepper. "Bullen, dreckige Bestien,
Journalisten!" heißt eine beliebte Losung auf Demos. Es fehlen nur noch die
Dealer, die der nahegelegene Omonoia-Platz oder die Ränder von Exarcheia
leicht beisteuern können. Außerdem gibt es in Athen immer noch Faschisten,
die mit Leichtigkeit einen Überfall durchführen können, von dessen
Auftraggebern man nicht so bald etwas erfährt.

Aber vielleicht hat inzwischen die gute Polizei die Betroffenen schon
weggebracht und wegverfrachtet, und damit vor dem Ärgsten, der Schattenwelt
der Schläger und Mörder der Goldenen Morgendämmerung und ähnlicher
Institutionen, in die Obhut der Gemeinde und der Polizei gerettet.
*Aug und Ohr, Gegeninformationsinitiative*



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