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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 26. November 2014; 11:01
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Bücher:

Cartoonierter Zeitgeist Anno '14

Karl Kraus, Daniel Jokesch:
Die letzten Tage der Menschheit
Holzbaum-Verlag, 2014
Hardcover, 64 Seiten, EUR 14,95
ISBN 978-3-902980-05-2

Da liegt ein Buch vor mir, auf dessen Cover prangt: "Karl Kraus / Die
letzten Tage der Menschheit". Eine Neuerscheinung. Nur ganz klein steht da
noch: "Gezeichnet von Daniel Jokesch".

Es ist das Buch von Karl Kraus und auch wieder nicht: Es ist auszugweise der
Originaltext von Kraus, aber völlig neu montiert im Versuch, dem Geist
dieses Werks nachzuspüren.

Als der Rezensent dieses Buch angeboten bekommen hat, war er etwas
irritiert. Aus dem Waschzettel: "Der Cartoonist und Hobby-Regisseur Daniel
Jokesch hat das Weltkriegsdrama nun auf ausgewählte Comicstrips reduziert.
... die Menschheit wird in ihrem Untergang als das vorgeführt, was sie immer
schon war: ein Haufen Comicfiguren! Daniel Jokesch ist eine zeitgemäße
Adaption gelungen, die nicht nur zeigt, dass der Text (leider) kaum an
Aktualität verloren hat, sondern auch, dass er stellenweise einfach
unfassbar komisch ist. ... Sogar Conchita Wurst hat einen Auftritt!"

Na serwas! Schlägt da wieder der Zeitgeist zu? Wiedermal der Versuch, Kraus'
unspielbares Theaterstück doch leicht verdaulich und geschmäcklerisch
angepaßt einem heutigen Publikum zu präsentieren? Und wie zum Teufel soll
man daraus eine "graphic novel" (wie das der Waschzettel nennt) gestalten --
eine Handlung im eigentlichen Sinn gibt es ja im Original nicht.

Ich gestehe, ich bin voreingenommen: Kraus' antimilitaristisches Opus Magnum
ist mir schon seit der Zeit meiner Stellung ein Antidot gegen jeden
Patridiotismus gewesen -- da bin ich sensibel, wenn das jemand verwurschtet.
Die einzige valide Interpretation hat für mich Helmut Qualtinger mit seinen
Lesungen geliefert. Alles andere erscheint mir eher ein hilfloser Versuch zu
sein, dem Werk gerecht zu werden.

Nunja, durchaus vorurteilsbehaftet lese ich das Bücherl und schau mir die
Bilderln an. Conchita Wurst taucht auch gleich am Anfang auf - aber fast
logisch, es ist eine jener Ringstraßenkorso-Szenen, wo die Blödheit des
k.u.k.-Mobs dargestellt wird. Da taucht eben auch eine Frau mit Damenbart
auf, die sofort als Spion verdächtigt wird, der sich als Frau verkleidet
habe. Da war es für den Zeichner einfach zu aufgelegt, diesem "Spion" die
Züge von Conchita zu verpassen -- eine verzeihliche Koketterie.

Nett auch seine Idee mit den Reklameinseraten, die immer wieder im Band
auftauchen. In Kraus' Original sind es beispielsweise die Überlegungen von
Geschäftemachern, den trauernden Angehörigen von gefallenen Soldaten ein
"Heldengrab im Hause, zugleich Reliquienkästchen und Photgraphieständer"
anzubieten, das nicht nur ein "artiges Schmückedeinheim" wäre, sondern auch
der "religiösen Erhebung" dienen solle. Jokesch macht daraus eine
Werbeeinschaltung -- und treibt die von Kraus so oft gegeisselte Allianz aus
Militarismus, Journaillie, Kirche und Geschäftemacherei graphisch auf die
Spitze.

Im Original erscheint die Figur des "Nörglers" bekanntermaßen als das Alter
Ego von Karl Kraus selbst -- ob diese hundertprozentige Identifikation
legitim ist, ist fraglich. Jokesch hat bei dieser Vereinfachung kein Problem
und legt die Worte des Nörglers einem gezeichneten Karl Kraus in den Mund.

Generell ist die Umgangsweise mit dem Originaltext nicht ganz
unproblematisch, erscheint aber paradoxerweise technisch ähnlich dem
Theaterstück. Auch Karl Kraus bediente sich ausgiebig der Montagetechnik, in
dem er Originalzitate des Ungeistes seiner Zeit als Material verwendete, um
sein Stück zu bauen. Jokesch wiederum geht genauso montanistisch an Kraus'
Werk, um sich an den grellsten Zitaten der Zitate zu bedienen, um diese mit
seinen Illustrationen zu versehen. So sind die gezeichnete Letzten Tage auch
wirklich keine graphic novel geworden, sondern eher ein Cartoonband, wo die
einzelnen Szenen des Originals oft genug alleine stehen können. Jokesch
stellte diese gezeichneten Szenenbruchstücke auch nicht in die Reihenfolge,
wie sie bei Kraus vorkommen, sondern bunt durcheinander, wie sie ihm gerade
passend schienen. Und manchmal paßt es auch wirklich augezeichnet -- ein
Schieber meint im 5.Akt des Originals: "Wer in diesem Krieg nicht reich
wird, verdient nicht, ihn zu erleben." Und Jokesch montiert dazu den Nörgler
aus dem 1.Akt mit dem Satz "Jawohl, es handelt sich in diesem Krieg!" Ja,
dieses Bruchstück aus einem Optimisten-Nörgler-Dialog ist eigentlich ein aus
dem Zusammenhang gerissenes Wortspiel -- dennoch ist das nicht verwerflich,
denn Kraus' Intention wird damit recht authentisch transportiert.

Aber welchen Zweck verfolgt dieser Cartoonband? Ein Einstieg zu Karl Kraus'
Werk ist es nicht wirklich. Dankenswerterweise findet sich am Ende des
Buches ein Quellenverzeichnis, das genau angibt, welcher Cartoon sich auf
welche Szene bei Kraus bezieht -- was dem Kritiker seine Arbeit doch sehr
erleichtert. Zur Lektüre des Originals bringt einen das aber wohl kaum.

Auch ist es keine Modernisierung, in der Absicht, den Irrsinn der damaligen
Zeit mit dem heutigen zu vergleichen, in dem auch gerne Kriege mit
moralischem Zuckerguß verkauft werden. Die Propaganda der damaligen Zeit war
doch sehr viel anders.

Nein, geschmäcklerisch ist das Ganze nicht -- so verkauft es nur der Verlag.
Es eignet sich als Mitbringsel und ist sicher auch christbaumfähig. Die
Zeichnungen sind in ihrer künstlerischen Qualität und Detailliebe eher
bescheiden. Es bleibt letztendlich nur die Frage zu klären: Darf man mit
diesem grauslichen Panoptikum Kraus' so umgehen? Ja, man darf. Eine
Verharmlosung der Bestialität dieser Zeit ist es nämlich nicht geworden. Und
das ist das Wichtigste.
*Bernhard Redl*

Am 12. Dezember (19:30 Uhr) wird das Buch im Club der Komischen Künste im
MuseumsQuartier Wien präsentiert.





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