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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 22. Oktober 2014; 07:03
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Ukraine:

> "Propaganda der Homosexualität"

Über eine Debatte in der Ukraine - vor und nach Maidan

Bei den Aufständischen im Osten der Ukraine und ihren russischen
Unterstützern spielt ein homophobes Bild vom "Sündenbabel Westen" eine nicht
gerade geringe Rolle in der Propaganda. Das Argument, in der Ukraine drohe
unter Janukowitsch oder bei einem Sieg der Ostrebellen Verhältnisse wie in
Putins Russland, wird immer wieder gebraucht. Dabei läuft in der Ukraine
seit Jahren eine Debatte über Anti-Homosexualität-Gesetze.

Noch im Jahr 2011 (also noch bevor das entsprechende Gesetz in Russland in
Kraft trat) wurde der erste Gesetzentwurf in die Rada gebracht, welcher
"Schutz des Rechtes der Kinder auf einen sicheren Informationsraum"
gewährleisten sollte. Der Initiator war der Abgeordnete Jewgeni Zarkow von
der Kommunistischen Partei Ukraine (KPU). Die Arbeitsgruppe, die den Entwurf
erarbeitet hatte, vereinigte Abgeordnete aus Janukowitschs Partei der
Regionen (PR), Mitglieder des Blocks Unsere Ukraine - Nationale
Selbstverteidigung (NU-NS) vom "orangenen" Ex-Präsidenten Wiktor
Juschtschenko, vom Block Julia Timoschenko (BjuT). Auch der
Parlamentspräsident Wolodymyr Lytwyn vom zentristischen "Volksblock" setzte
sich für die Initiative ein. Vorgesehen war ein Verbot von "Produkten, die
Homosexualität propagieren", der Vertrieb, die Herstellung und Einfuhr
solcher Produkte sollte mit Geldstrafe und Gefängnisstrafen zwischen drei
und fünf Jahren geahndet werden. Begründet wurde das Ganze mit AIDS-Gefahr.

Doch bevor es zur Abstimmung kam, endete die Legislaturperiode. Die erste
Lesung brachte für das Gesetz die solide Mehrheit von 289 Stimmen im
Parlament mit 350 Sitzen, aber zur zweiten Lesung kam es nicht mehr. Oleg
Woloschin, in Janukowitschs Außenministerium für die Informationspolitik
zuständig, bat das Parlament das Gesetz nicht anzunehmen. Auch die
Menschenrechtsbeauftragte der Rada, Walerija Lutkowskaja, die als loyal
gegenüber Janukowitsch und der Partei der Regionen galt, protestierte gegen
den Gesetzesentwurf.

Parallel dazu brachte Wadim Kolesnitschenko von der Partei der Regionen im
März 2012 ein weiteres Gesetzesprojekt ein, welches sich dem "Verbot der an
die Kinder gerichteten Propaganda der Homosexualität" widmete.
Kolesnitschenkos Entwurf benannte explizit, was alles unter Propaganda
gefasst sein sollte: Demos, Mahnwachen, Paraden, Aktionen, sowie
thematischer Unterricht in der Schule, Debatten in Freizeiteinrichtungen,
Erwähnung in Medien ect. die "positive Informationen über Homosexualität"
zum Inhalt haben. Davon nicht betroffen waren aber nach der Intention des
Volksvertreters die Verbreitung der Information und öffentliche Aktionen,
die Toleranz gegenüber und Rechte der LGBT zum Thema haben. Die Vorschläge
für Geldstrafen waren gegenüber Zarkows Entwurf höher, dazu kam Warnarrest
bis zu zu drei Jahren und Gefängnisstrafen zwischen drei und fünf Jahren bei
erneuter Zuwiderhandlung. Als Grund wurde diesmal nicht AIDS, sondern die
Schädigung des Entwicklung der Kinder benannt.

Einen dritten Entwurf brachte im Juni 2012 Witalij Schurawski ein, ebenfalls
von der Partei der Regionen, ehemaliger Christdemokrat, berüchtigt für seine
Angriffe auf die Medien wegen "verleumderischer Tätigkeit". Schurawskis
Entwurf nimmt gar keinen Bezug auf Kinderschutz, erwähnte aber - ganz auf
der Höhe der Zeit - "Propaganda der Transgenderität". Gefängnisstrafen sah
der Entwurf nicht vor, dafür aber wesentlich höhere Geldstrafen als die
anderen Projekte.

Die Parlamentswahlen im Oktober 2012 endeten mit einem Sieg für die Partei
der Regionen. Dem neuen Parlament lagen nun drei Gesetzesentwürfe vor, die
allesamt als ein Hindernis für das Abkommen mit der EU, das damals auch
Janukowitsch anstrebte, angesehen wurden. Schon am 12. Dezember zog
Schurawski sein Entwurf zurück, die Entwurfe von Zarkow und Kolisnetschenko
waren noch im Rennen. Kolisnetschenko, überzeugter Befürworter der
Annäherung an Russland legte eine neue Version seines Entwurfes vor, welcher
im April 2013 von dem Rechtsausschuss der Rada unterstützt wurde. Zumal mit
der rechten "Swoboda"-Partei, die zum ersten mal ins Parlament einzog, die
Zahl der potentiellen Unterstützer gewachsen zu sein schien.

Doch dann haben die Verhandlungen mit der EU das Thema in den Schatten
gestellt. Eine Rolle mag gespielt haben, dass es in der Partei der Regionen
im Bezug auf ein Assoziierungsabkommen unterschiedliche Positionen gab,
während die Oppositionsparteien von Timoschenko und Klitschko ihr
prowestliches Image nicht aufs Spiel setzen wollten. Janukowitschs
Außenminister Leonid Koschara hat sich noch im Februar 2013 dahingehend
geäußert, dass die Antidiskriminierungsgesetze, die auch Homosexuelle
einschließen, ein akzeptabler Preis für das Abkommen mit der EU über
Visafreiheit seien.

Nach dem Machtwechsel kam das LGBT-Thema in die Politik zurück. Die Rebellen
im Osten behaupten immer wieder auch deswegen nicht in die EU zu wollen,
weil Brüssel der Ukraine dann die Toleranz gegenüber "Perversen" verordne.
Kolesnetschenko ist inzwischen auf Krim und der nationalistischen russischen
Partei "Rodina" beigetreten. Zarkow ist fest auf der Seite der Ostrebellen.
Die KPU wurde offiziell verboten. Währenddessen hat der neue Bürgermeister
von Kiew, Witali Klitschko die Durchführung des Christopher-Street-Day mit
einer neutralen Formulierung untersagt. Denn erstens könne niemand für die
Sicherheit der Veranstaltung garantieren und zweitens sei es unangebracht in
Kriegszeiten Feierlichkeiten durchzuführen. Die Drohungen seitens der
"Swoboda" und dem "Rechten Sektor" für den Fall, dass die Veranstaltung
stattfinden darf, fielen recht deutlich aus.

Aus dem Fenster lehnen will sich weder die immer-noch-Übergangsregierung,
noch der neue Präsident. Zumindest der Initiator der Bewegung "Liebe gegen
Homosexualität", der christliche Journalist Ruslan Kochartschuk, welcher
seit 2003 Demos gegen LGBT veranstaltet, hat seine Wahl getroffen. Er
unterstützt mit aller Kraft die "anti-terroristische Operation" der neuen
Regierung und wurde sogar zwischendurch von "Separatisten" in Slawjansk
gefangen gehalten. Zumindest in einem Punkt dürften sie keine Differenzen
gehabt haben.
*Alexander Amethystow*


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