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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 1. Oktober 2014; 14:32
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Asyl/Glosse:

> Das Gebet von der Integration

Der Kabarettist Gunkl ruft nach jedem seiner Auftritte zu Spenden für
Flüchtlingsorganisationen auf. So auch letzten Freitag im Wiener Stadtsaal
und zwar für das Freunde-schützen-Haus. Die Spendenaktion begründete er
unter anderem damit, dass es sich um Menschen handle, die integriert wären
und über Deutschkenntnisse verfügen würden.

Da stellt sich mir schon die Frage, warum heutzutage -- das ist ja nicht die
Ausnahme -- in zahlreichen Aufrufen und Aussendungen von Flüchtlings- und
Bleiberechtsgruppen Toleranz und Hilfsappelle immer wieder mit den Begriffen
Integration und vorhandenen Deutschkenntnissen in Zusammenhang gebracht
werden. Wenn wir akzeptieren, dass Menschen aus anderen Herkunftsländern
Integrationsnachweise, Deutschkenntnisse und Berge von Bestätigungen und
Papieren benötigen, um in Österreich das Recht auf eine Existenzmöglichkeit
zu erhalten, haben wir die Sprache und irgendwann die Haltung der
Staatsräson akzeptiert. Damit werden 2 Klassen von Flüchtlingen geschaffen.
Die einen, eh "Braven", die schon lange um einen dauerhaften Aufenthalt in
Österreich kämpfen und deren langer qualvoller Weg durch die Mühlen des
Staates doch endlich aufhören müsste, und die anderen, die nichts vorweisen
können, keine Nachweise erbringen können, von keiner Organisation betreut
werden und damit im Verborgenen und unsichtbar bleiben. Weil: die im Dunklen
sieht man nicht und man spricht nicht über sie.

Wenn Menschen um Solidarität für betreute Flüchtlinge bitten, fällt mir auf,
dass ich es als skandalös empfinde, dass diese Aufgabe nicht als
Selbstverständlichkeit von der öffentlichen Hand übernommen wird und mir
fehlt die Kritik der NGOs daran, dass der Staatsapparat noch immer keine
ausreichenden Mittel zur Verfügung stellt, um allen Menschen ein würdiges
Dasein zu ermöglichen.

Wenn wir über Spenden für Flüchtlinge reden, sollten wir nicht vergessen zu
erwähnen, dass der Staat sehr wohl sehr viel Geld ausgibt für Flüchtlinge,
die unerwähnt bleiben. Schubhaft ist teuer und sorgt dafür, dass Menschen
aus anderen Ländern für uns kein Gesicht bekommen, weil sie als
Schubhäftlinge hinter Gittern landen ohne je abgeschoben zu werden. Davon
redet niemand mehr, und wenn, dann nur sehr leise. Und schon gar nicht
dann., wenn es darum geht, Geld für Flüchtlingsprojekte zu organisieren. Die
Menschen, die keine Sozialen Netzwerke haben und keine
Unterstützungsmöglichkeiten, werden damit doppelt unsichtbar gemacht. Das
macht es dem staatlichen Repressionsaparat leichter, das Verfolgen,
Einsperren und Abschieben von Flüchtlingen in aller Ruhe durchzuführen.

Wenn es um Geld geht, spricht man nicht gerne von Menschen, die versuchen
müssen in der Illegalität zu leben, in der ständigen Angst von der Polizei
aufgegriffen zu werden. Vielleicht hat das etwas mit unserer eigenen
Ohnmacht zu tun, nicht zu wissen, wie wir helfen können. Wegsehen ist immer
leichter als hinsehen. Wenn wir beginnen, die "im Dunklen" nicht mehr zu
benennen, werden wir sie irgendwann auch nicht mehr sehen. Das wär dann der
Anfang vom Ende der Humanität.

Deutschpflicht?

Ein Beispiel, was das Gerede von Deutschkenntnissen und Integrationswillen
sogar für hier lebende Gastarbeiterfamilien an verheerenden Auswirkungen
nach sich ziehen kann: Ich habe als Mitarbeiterin der Lebenshilfe Salzburg
eine mehrfach behinderte, lebensfrohe, junge Rollstuhlfahrerin
kennengelernt. Bei einem medizinischen Kontrolltermin, der von Ärzt_innen
und Therapeut_innen sowie von den Eltern begleitet wird, sollte die Mutter
der jungen Rollstuhlfahrerin darüber informiert werden, dass die junge Dame
dringend einen neuen Rollstuhl benötige. Die aus Bosnien kommende Mutter
verstand kein Wort, ihr Lebensentwurf bestand darin, ihre Familie nach
Ösiland zu begleiten, um sich mit dem Geld, dass der Vater als Gastarbeiter
hier verdienen würde, in Bosnien ein Haus zu bauen. Sie sah keine
Notwendigkeit darin, deutsch zu lernen, die Betreuung ihrer Tochter war
Lebensaufgabe genug. Über ihren Kopf hinweg wurde für sie und ihre Tochter
über einen Rollstuhl entschieden, den die Mutter lange nicht bedienen
konnte. Die zuständige Therapeutin lehnte den Vorschlag ab, in diesem Fall
einen Dolmetscher beizuziehen. Die Therapeutin kommentierte ihre Ablehnung
sinngemäß ziehmlich trocken: es wäre das Problem der aus Bosnien stammenden
Mutter wenn sie es nach sovielen Jahren nicht geschafft hätte, sich zu
integrieren und Deutsch zu lernen. Die Handhabung des neuen Rollstuhls war
jedoch das Problem der Familie, die sich nicht auskannte, der niemand etwas
in ihrer Sprache erklären wollte.

Hier hat man einer Frau das Recht auf ihren eigenen Lebensentwurf
abgesprochen. Statt zu akzeptieren, dass jeder Mensch über die Art, wie er
leben möchte und kann, möglichst selber bestimmen können muss, wurde hier
ein Mensch aus Arroganz und Überheblichkeit in die Hilflosigkeit getrieben.

Wer heute von Menschen aus anderen Herkunftsländern totale Anpassung
verlangt und diese zur Voraussetzung dafür macht, dass ein legaler
Aufenthalt in Österreich nur unter vielen Auflagen möglich ist, veringert
das Potenzial in diesem Land noch menschlich zu denken und zu agieren.
*Rosalia Krenn*



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