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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. September 2014; 04:02
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Armut/International/Debatte:

> Eric und der Zauberer

Narzisstische SamariterInnen als neue Internetstars?
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Kurze Internetfilme, in denen man auf originelle Weise Bedürftigen hilft,
sind eine vergleichsweise neue Methode, Aufmerksamkeit zu generieren. Die
Anzahl der Klicks auf Plattformen wie Youtube sind der Indikator im Aufbau
einer Persönlichkeits-Marke.

Eines dieser viral kursierenden Videos vom März 2014 zeigt, wie einem
Obdachlosen ein Lotteriegewinn vorgetäuscht wird. Der Host des Filmes
schenkt ihm statt Bargeld einen de facto wertlosen Gewinnschein, der
eingeweihte Supermarktverkäufer zahlt den Fassungslosen aus. Dieser will den
Gewinn mit seinem Wohltäter teilen und beginnt zu weinen, als der das
ablehnt.

Das sieht nobel aus und insofern der Mann die 1000 Dollar sicher gut
brauchen konnte, liegt es wohl nicht an Dritten, sich darüber zu beschweren.
Ich kann mir die Bedenken trotzdem nicht verkneifen. Hier wird ein
mittelloser Mensch öffentlich hinters Licht geführt, der vermeintliche
Samariter sonnt sich als strahlender Held in seiner emotionalen Reaktion und
es stellt sich die Frage, ob die Würde des Menschen einen Preis hat. Ist es
okay, jemanden öffentlich bloßzustellen, weil man ihm dafür 1000 Dollar
gibt? Hätten 100 gereicht, weil er arm genug ist, sich auch darüber zu
freuen?

Natürlich kann man argumentieren, dass das Video insofern einen
pädagogischen Wert hat, als es die Idee, Anderen zu helfen, propagiert. Auch
wird der Beschenkte als anständiger, netter Mensch dargestellt, was nicht
dem Zeitgeist entspricht, lästige, nicht konsumierende Subjekte möglichst
schnell aus jeder Öffentlichkeit zu vertreiben. Aber kann man einen
Einzelnen ungefragt dafür in die Pflicht nehmen?

Das Beispiel ist insofern ein herausragender Einzelfall, als der Obdachlose
namens Eric nachhaltiger von dem Streich profitieren sollte, als anzunehmen
war: Über ein Spendenkonto lukrierte der Darsteller (der Zauberer und
Internet-Star Rahat Hossain alias MagicofRahat) innerhalb weniger Wochen
über 40 000 Dollar von Menschen, die dem sympathischen Mann helfen wollten.
Davon wurde unter anderem ein Haus gemietet, das Rahat - ganz Witzbold und
Magier - dem ob dessen erneut maßlos entzückten Eric vor laufender Kamera
präsentierte. In dieser Geschichte ist der Beschenkte ausnahmsweise nicht
der Gelackmeierte.

Er lebt jedoch in einer Gesellschaft, in der sozioökonomische Probleme
zunehmend individualisiert betrachtet werden. Eric wurde nicht vom
Gemeinwesen aufgefangen, weil er, wie viele AmerikanerInnen in den letzten
10 Jahren, alles verloren hat, sondern weil er als Sympathieträger in einem
populären Medium funktioniert. Wäre er verbittert, die Vielzahl der
SpenderInnen hätte nicht an seinem Schicksal teilnehmen wollen.

Spektakuläre Einzelfälle mit Happy End sind ein zentraler Bestandteil der
amerikanischen Popkultur und werden medial weit über ihre sozioökonomische
Relevanz hinaus zirkuliert. Der Import dieser Ideologie treibt die
schrittweise gesellschaftliche Entsolidarisierung voran und uns sollte
bewusst sein, dass es in solchen Videos weder um die Idee, noch den
karitativen Nutzen, sondern um die Klicks, somit um die Bekanntheit und das
Geld aus den Werbeeinschaltungen geht. Der Erfolg derartiger Kampagnen
ermutigt die Möchtegern-Internetstars von morgen, sich einen
Hilfsbedürftigen zu suchen und ihn mit versteckter Kamera auflaufen zu
lassen.
*Martin Meyrath*


Die Videos:
Homeless Lottery Winner - derzeit 19 Millionen Klicks:
https://www.youtube.com/watch?v=4Lki_IeM6bQ
Homeless Man Gets A Home - derzeit 15 Millionen klicks:
https://www.youtube.com/watch?v=lK1vPu6U2B0

Porträt: Rahat: http://celebriki.com/wiki/Magic_of_Rahat

Martin Meyrath ist Politologe in Wien und arbeitet zu den Bereichen Cultural
Studies, Politische Theorie, Gender Studies und Politische Ökonomie.




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