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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. Mai 2014; 01:46
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Justiz:

> Übersetzung ist Glücksache

Der im März wegen bekanntgewordener Ermittlungsschlamperei
unterbrochene Schlepperei-Prozeß in Wiener Neustadt wurde jetzt wieder
aufgenommen. Und so kommen neue Absurditäten dieser nicht sonderlich
unvoreingenommenen Ermittlung zur Tage. Zusammenfassung der
Prozessberichte vom sechsten und siebenten Verhandlungstag:
*

Die Einvernahmen der ZeugInnen sollte mit vier DolmetscherInnen
beginnen. Aus zeitlichen Gründen kam es nur zur Einvernahme von
zweien. Die erste Zeugin war jene Dolmetscherin, welche am ersten
Verhandlungstag als Gerichtsdolmetscherin anwesend war und dann
ausgewechselt wurde, nachdem sie erklärt hatte, dass sie in dem Fall
schon für die Polizei gedolmetscht habe und sie damals die Anweisung
bekommen habe, dass sie bei Aussagen wie "Die Leute sind gekommen"
"Die Schleppungswilligen sind gekommen" übersetzen sollte, weil es ein
"schlepperrelevantes" Gespräch sei.

Bei ihrer Befragung wies sie mehrmals darauf hin, dass sie nur
aushilfsmäßig in diesem Fall übersetzt habe.

Als sie zu der falschen Übersetzung von "Schleppungswilligen" befragt
wurde, fragte sie ein Verteidiger, ob sie, wenn er (der Verteidiger)
bei sich im Büro anruft und sagt, dass die Leute angekommen sind, dann
auch übersetzen würde, dass die "Schleppungswilligen" angekommen sind.
Die Dolmetscherin erklärte daraufhin: "Nein natürlich nicht, sie sind
der Herr Magister, nicht der Schlepper."

Sie und der zweite Zeuge des Tages (ihr Bruder) sind beide nicht
vereidigte Dolmetscher_innen, sondern "sprachkundig" in Dari und
Farsi, sowie in Urdu und angeblich genauso in Punjabi. Beide
übersetzen auch in Asylverfahren. Der allergrößte Teil der abgehörten
Telefongespräche in diesem Fall wurden auf Punjabi geführt, somit
waren die beiden DolmetscherInnen damit beauftragt. Punjabi zu
übersetzen.

Zentrale Frage in der Einvernahme war, ob sie wortwörtlich oder
zusammenfassend übersetzten und wer entschied, wie das Gesagte zu
interpretieren sei. Meist übersetzten die Dolmetscher_innen zuerst
mündlich und die Polizei entschied was belanglos war und was nicht. So
wurde zum Beispiel von einem neunminütigen Telefongespräch nur eine
halbe Seite übersetzt, ohne jegliche Anmerkung, was oder warum der
Rest ausgelassen wurde. Die Dialogform in den
Telefonüberwachungsprotokollen verstärkt jedoch den Anschein, es wäre
eine wortwörtliche Übersetzung.

Die Polizei hat die Dolmetscher_innen auch beauftragt, sprechende
Personen zu identifizieren und sie durch Stimmvergleiche (!)
zuzuordnen. Die Frage der Verteidigung, ob es diese Zuordnungen und
Stimmvergleiche auf irgendwelchen wissenschaftlichen Grundlagen oder
Ausbildungen der Beteiligten basierten, wurde verneint.


Rechtsbelehrung versteht eh keiner

Die erste Zeugin hatte in Pakistan Jus studiert, aber noch nie etwas
von Unschuldsvermutung bzw. dem Zweifelsgrundsatz gehört. Sie arbeitet
seit etwa fünf Jahren als Dolmetscherin mit der Polizei zusammen und
war in diesem Verfahren auch beauftragt bei Einvernahmen in Eisenstadt
zu übersetzen.

Eine ähnliche berufliche Laufbahn hat ihr Bruder, der wenige Monate
später mit Übersetzungen für die Polizei begann. Auch er hat keine
Dolmetsch-Ausbildung, sondern ist sprachkundig und übersetzte
hauptsächlich Punjabi. Er selbst spricht nicht Punjabi, sondern nur
Urdu, die Hochsprache. Er wurde gebeten die Rechtsbelehrung in Punjabi
zu übersetzen, was er trotz fünf Jahren Praxis als Dolmetscher nicht
konnte. Immer wieder betonte er, dass die Rechtsbelehrung immer nur
zusammenfassend übersetzt werden, weil die Befragten sie ja ohnehin
nicht verstehen würden. Er erkläre ihnen deswegen nur immer, dass sie
"halt ein paar Rechte haben, wie, dass sie einen Anwalt haben dürfen
und so".

Konkrete Fragen nach der Bedeutung von einzelnen Punkten der
Rechtsbelehrung konnte der Dolmetscher nicht beantworten. Wegen der
Sprachunkenntnis des Dolmetschers war es auch nicht möglich den
Angeklagten die Protokolle zu übersetzen. Daher hat ein Angeklagter
das Protokoll nicht unterschrieben.

Ein anderer der Angeklagten sagte aus, dass ihm am Anfang seiner
Einvernahme übersetzt wurde: "Du bekommst 10 Jahre weil du bist ein
Schlepper".Zu einer anderen Einvernahme sagte der Dolmetscher: "Er
[der Beschuldigte] hat damals gesagt, er möchte einen Anwalt haben,
aber er hat keine Telefonnummer gehabt, dann haben wir halt weiter
gemacht."

Auch der zweite Zeuge wurde befragt, warum er Telefongespräche, in
denen von "Leuten/Personen" gesprochen wurde mit "Schleppungswillige"
übersetzt habe. Er erklärte immer wieder, dass das ja aus dem Kontext
und den Folgegesprächen klar war. Die Frage, wo diese Folgegespräche
dann seien, konnte er nicht beantworten.

Die Untersuchungshaft sowie die gesamte Anklage basiert zu einem
großen Teil auf Telefonüberwachungen, die von nicht befähigten
Dolmetschern übersetzt worden waren. Die Angeklagten saßen sechs bzw.
acht Monate in Untersuchungshaft aufgrund von willkürlichen
Interpretationen der überwachten Telefongespräche.


Das geschulte Auges des Gesetzes

Der siebte Verhandlungstag begann mit der Befragung von drei
Polizist_innen, welche bei einer Personenkontrolle am Bahnhof Wien
Meidling dabei waren.

Die Zeug_innen antworteten auf die Frage, warum bestimmte Leute
kontrolliert wurden und andere nicht, durchwegs rassistisch: Sie
würden "nicht wie Österreicher aussehen", wären "nicht ordentlich
gekleidet gewesen". Ein Zeuge gibt an, dass er am bloßen Aussehen
erkennen könne, wer ein Tourist, wer ein "Österreicher mit
Migrationshintergrund" und wer ein "illegaler Grenzgänger" oder
"Asylwerber" ist.

Auf die Frage, wie die Polizisten auf die Idee gekommen seien, dass
diese Personenkontrolle "etwas mit Schlepperei zu tun haben könnte",
antwortete der Zeuge, dass er "schon ein wenig Gespür habe". Der ganze
Fall - und wohl nicht nur dieser - basiert also auf persönlichen
Einschätzung und "Gespür" von Seiten der Polizei.

Anschließend wurden zwei weitere Dolmetscher einvernommen, welche für
die Übersetzung der Telefonüberwachungen zuständig waren. Es wurde gar
nicht geleugnet, dass Wörter wie "Schleppungswillige" im
Originalgespräch nicht vorkommen, weil es dafür auf Punjabi kein Wort
gibt. Die Dolmetscher haben sich am Anfang der Ermittlungen aufgrund
der Vorwürfe gegen die überwachten Personen darauf geeinigt, dass sie,
wenn am Telefon von "Personen" oder "Burschen" die Rede ist,
"Schleppungswillige" übersetzen werden. Es wurde auch offen zugegeben,
dass sie, wenn sie nicht gewusst hätten, um welche Vorwürfe es sich
handelt, anders übersetzt hätten. Dann hätten sie statt
"Schlepperlohn" nur "Lohn" und statt "Schleppungswillige" nur "Leute"
übersetzt. Die Hinweise der Verteidigung, dass sie damit aber nicht
bloß übersetzen, sondern interpretieren und dass das
Übersetzungsfehler seien, sahen beide Dolmetscher bis zum Schluss
nicht ein.

Sie gaben weiters an, dass ihre Aufgabe dezidiert war,
"Schlepperrelevantes" aus den Gesprächen zu filtern und teilweise
Inhalte zusammenzufassen.

Auf die Frage, was "Unschuldsvermutung" oder "Zweifelsgrundsatz" (bzw.
"Im Zweifel für den Angeklagten") bedeuten würde, konnte zumindest der
eine Dolmetscher gar keine, der andere nur eine nicht ganz richtige
Antwort geben.

Die Identifikation der sprechenden Personen passierte über eine Liste
der Polizei von den überwachten Nummern und über "Stimmerkennung"
durch den Dolmetscher. Wobei oft im Nachhinein Namen zu den
Protokollen hinzugefügt wurden.
(solidarityagainstrepression/bearb.)

Geplante Verhandlungstermine: 21. Mai, 22. Mai, 23. Mai, 11. Juni, 12.
Juni, 16. Juni, 17. Juni, 18. Juni, 24. Juni, 25. Juni, 26. Juni,
jeweils 9-15.30h; Schwurgerichtssaal im 1. Stock, Landesgericht Wiener
Neustadt, Maria-Theresien-Ring 5, 2700 Wiener Neustadt

Quelle: http://solidarityagainstrepression.noblogs.org/



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