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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. April 2014; 22:48
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Glosse/Kapitalimus/Linke:

> Bitte ein bisserl mehr Internationalismus!

Die Proteste gegen die Globalisierung sind oft recht einseitig
-- zwei Fallbeispiele
*

Zwei Meldungen geisterten letzte Woche durch die Netze und beide
lösten heftige Empörung aus. Zum einen ist das die Überantwortung der
österreichischen Telekom an Carlos Slim, einem mexikanischen
"Mega-Oligarchen", dessen Firma América Móvil mittlerweile mehr als
25% der ehemaligen Staatsmonopolfirma hält.(1) Der auf 10 Jahre
abgeschlossene Vertrag bestimmt, daß die ÖIAG -- die eine ähnlich
große Sperrminorität hält -- zwar weiterhin den Generaldirektor
beruft, inhaltlich aber die "alleinige industrielle Führerschaft und
Kontrolle über die Telekom-Austria-Group" (so der Vertrag) an Slim
geht. Große Aufgebrachtheit und die Betriebsräte im Aufsichtsrat haben
sich geschlossen gegen diesen Vertrag ausgesprochen. Verständlich,
denn damit wird die Telekom Austria nicht mehr vom österreichischen
Staat kontrolliert -- die Sorge um die Erhaltung von Arbeitsplätzen
wird damit natürlich genauso größer wie die Befürchtung, die Telekom
werde sich nur mehr um Infrastruktur kümmern, die gewinnbringend ist.


Von der Telekom zur EU...

Die andere Meldung: "Europaparlament stimmt Investorenschutz nach
TTIP-Vorbild zu" (2). Ja, im Europarlament hat man noch kurz vor
Schluß der Amtsperiode mehrheitlich einer Regelung bezüglich
Investor-Staats-Streitigkeiten (Investor-State-Dispute-Settlement,
ISDS) zugestimmt. Dafür waren die EVP, die SPE und die Liberalen,
dagegen Grüne und Linke. Dieser Regelung gibt der Europäischen
Kommission diesbezüglich mehr Macht und unter anderem das Recht, einen
Mitgliedsstaat dazu zu zwingen, einem Vergleich mit einem Kläger
zuzustimmen. Praktisch soll das so gehandhabt werden: Wenn ein
EU-Staat von einem Konzern verklagt wird, weil dieser sich durch ein
Gesetz finanziell benachteiligt fühlt, kann die Kommission
vertretungsweise einen angebotenen Vergleich des Investors annehmen,
diesen ausbezahlen und diese Zahlung dem Staat in Rechnung stellen.

Das ist natürlich problematisch, greift diese Regelung doch noch mehr
in die Souveränität der Teilstaaten ein als dies die EU schon bislang
durfte. In den Debatten um die nun vom EP beschlossene Regelung wird
diese aber vor allem als Vorleistung für das US-EU-Freihandelsabkommen
TTIP gesehen. Auch hier natürlich große Empörung und die Befürchtung,
daß US-Konzerne europäische Gesetze durch Klagsdrohung zunichte machen
könnten, wenn das Freihandelsabkommen und speziell der darin
enthaltenen Investitionsschutz tatsächlich Rechtskraft erhalten
würden -- Stichwörter: Chlorhuhn, Fracking, etc. Also steht
wiedereinmal der Ausverkauf der europäischen Nationalsouveränitäten
resp. der Primat des Kapitals über den Rechtsstaat, also "unsere"
Gesetze, im Raum.

Nur so ganz einfach ist es nicht. Zum einen ist nicht so ganz sicher,
ob in diesem Freihandelsabkommen ein Investitionsschutz enthalten sein
wird, denn nach heftigen Protesten wackelt dieser Teil des Vertrag
nun. Zum anderen hat diese Regelung, die jetzt durch das EU-Parlament
gegangen ist, noch einen ganz anderen Hintergrund. Denn mit dem
Vertrag von Lissabon fielen die Angelegenheiten des
Investitionsschutzes auch in die EU-Zuständigkeit.
Investitionsschutzabkommen werden nämlich nicht erst seit dem
umstrittenen MAI in den 1990ern diskutiert, sondern sind ein alter
Hut. Die ersten Verträge dieser Art wurden in den 1950ern
abgeschlossen, die meisten davon bilateral. Etwa 3000 solcher Abkommen
dürfte es heute weltweit geben. Es braucht also eine klare Regelung,
wie denn die EU ihre Zuständigkeit bezüglich Investitionsschutz
praktisch ausüben soll -- die Frage war nur, wie diese Regelung
aussehen kann. Wollte man gar keine Regelung, müßte man den Vertrag
von Lissabon wieder abändern.


... und zurück

Zurück zur Telekom. Denn auch hier waren die Akteure Getriebene. Die
Gefahr steht nämlich im Raum, daß Carlos Slim noch weitere Anteile,
die schon länger nicht mehr im Besitz der ÖIAG sind, aufkaufen würde
und dann die Aktienmehrheit hätte. Tatsächlich hat Slim den Aufkauf
weiterer Anteile schon angekündigt. Da Slim weiters angekündigt hat,
eine Kapitalaufstockung vornehmen zu wollen, was die ÖIAG befürwortet,
könnte auch das Gesamtaktienvolumen steigen, wodurch die ÖIAG, wenn
sie sich an der Aufstockung nicht beteiligen will, sogar die
Sperrminorität verlieren dürfte. Mit dem jetzt abgeschlossenen Vertrag
will man daher eine Einflußnahme auf den Konzern durch die ÖIAG
zumindest auf eine gewisse Zeit sicherstellen. Hätte man die komplette
Kontrolle über den Konzern behalten wollen, hätte der Staat niemals
eine Privatisierung der Mehrheitsanteile durchführen dürfen.

Doch hier hakt es. Denn viel Druck auf den Aufsichtsrat, diesen
Vertrag abzuschließen, kam auch aus dem Vorstand der Telekom -- mit
dem ganz speziellen Hintergrund eben dieser Kapitalaufstockung. Denn
das Management möchte auch weiterhin die Telekom-Gruppe wachsen sehen,
sprich: Auf Einkaufstour gehen. Der Telekom gehören nämlich schon von
Liechtenstein bis Mazedonien acht andere europäische
Telekomgesellschaften. Denn wir reden hier nicht von der netten
kleinen österreichischen Telefongesellschaft, die von einem bösen
Mega-Oligarchen aus dem Ausland geschluckt wird. Diese ehemalige
österreichische Telefonverwaltung ist mittlerweile selbst ein
multinationaler Konzern, der anderswo diktiert, welche Arbeitsplätze
erhaltenswert und welche Infrastruktur gewinnbringend ist -- der
Ingrimm darob war aber hierzulande eher verhalten. Erst jetzt, wo ein
noch größerer Fisch die Telekom schluckt, gibt es Proteste. Daß die
Telekom unter Kontrolle Slims auch weiterhin in Europa expandieren
möchte, stört hingegen immer noch kaum jemand. Also: Wer ist hier der
amoralische Räuber? Carlos Slim ganz alleine? Oder vielleicht nicht
auch die Telekom Austria Gruppe?

Hier geht es nicht um das arme kleine Österreich, dessen Betriebe vom
bösen Ausland geschluckt werden, sondern das ist der internationale
Kapitalismus. Das ist das Fressen und Gefressenwerden und die in
Österreich beheimateten Konzerne wie zum Beispiel auch die OMV oder
die hiesigen Banken sind oft genug diejenigen, die anderswo sich
Firmen einverleiben und den Profit abziehen.


Die Imperialisten, ...

Und hier komme ich wieder zurück zur Debatte um das Geschehen im
EU-Parlament. Denn die meisten der bilateralen
Investitionsschutzabkommen bestehen zwischen reichen alten
Industriestaaten und Schwellenländern. Die Etablierung dieser Abkommen
ist nämlich vor allem im Kontext der formalen Entkolonialisierung zu
sehen. Damals wollten sich vor allem europäische Staaten ihr Eigentum
in den neuen souveränen Staaten sichern, denen man nicht mehr einfach
befehlen konnte, welche Gesetze sie zu erlassen hätten. Eine weitere
Welle an Abkommen kam nach 1989 -- als sich die westeuropäischen
Konzerne ihren Anteil an den Privatisierungen jenseits des Eisernen
Vorhang sichern wollten. So ist es kein Wunder, daß Deutschland mit
130 Staaten solche Abkommen hat, aber keines mit den USA --
genausowenig wie Österreich, das immerhin mit 67 Staaten
Investitionsschutzabkommen hat. Und da regt sich natürlich niemand
auf, denn wenn Österreich ein Abkommen mit Pakistan hat, ist schon
klar, daß es nicht viele pakistanische Investoren geben wird, die
Österreich verklagen. Nein, hier geht es um europäische Konzerne, die
in Ländern mit geringen arbeits- und umweltrechtlichen Standards
mittels Klagsdrohungen die dortigen Gesetze beeinflußen oder sich ihre
behaupteten Investitionsverluste sehr lukrativ von ohnehin schwachen
Volkswirtschaften "entgelten" lassen können. Wie oft das schon
passiert ist, weiß man nicht, denn die meisten dieser Klagen bleiben
geheim, nur wenige erlangen durch glückliche Umstände das Licht der
Öffentlichkeit -- schließlich möchte kein Konzern als Erpresser
dastehen und kein Staat als erpreßbar.


... das sind nicht immer die anderen

Aber jetzt gibt es die große Erregung darüber, so ein Abkommen mit den
USA abzuschließen. Natürlich auch nur mit der Erregung darüber, daß
US-Konzerne europäische Gesetze beeinflussen könnten -- daß
EU-Konzerne das Gleiche in den USA machen könnten, ist da kein Thema.

Jetzt zu jammern, daß US-Konzerne mit den EU-Staaten das Gleiche
machen könnten, wie europäische Konzerne das seit mehr als einem
halben Jahrhundert im Trikont praktizieren, ist ein wenig einseitig
und naiv -- nett gesagt. Man könnte auch sagen: verlogen.

Die großartig zivilisierte EU genauso wie das liebe kleine Österreich
sind nicht die Opfer der Globalisierung, sondern bislang die
Profiteure -- obwohl mittlerweile auch in Westeuropa viele Menschen
pauperisiert sind.

Kritik an der Globalisierung ist dringend notwendig. Sinnvoll ist sie
jedoch nur, wenn man aus dem Blickwinkel der weltweit Ausgebeuteten
auf das heimische wie internationale Kapital schaut -- und nicht aus
der nationalen Perspektive.
*Bernhard Redl*


(1) http://orf.at/stories/2227277/
(2) http://www.heise.de/newsticker/meldung/Europaparlament-stimmt-Investorenschutz-nach-TTIP-Vorbild-zu-2173345.html



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