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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. Februar 2014; 20:43
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Soziales/Wien:

> Rotgrüner Krach wegen Mindestsicherung

Es kracht und knirscht wieder mal in der Wiener rotgrünen
Rathausgemeinschaft. Nein, nicht wegen der Mahü -- das ist zwar
derzeit das kommunale Lieblingsthema, aber es gibt ganz andere Bomben,
die da ticken. Denn während die Veränderungen auf der
Mariahilferstraße unmittelbar für alle sichtbar sind, sind es nur
relativ wenige, die die Folgen einer ganz anderen Rathausidee zu
spüren bekommen könnten, wenn eine von der SPÖ im Oktober 2013 im
Alleingang initiierte Landesgesetz-Novelle durchgeht. Das Wiener
Mindestsicherungsgesetz (WMG) soll -- im Zuge der Abschaffung der
befristeten Invaliditätspension -- reformiert werden.

Und diese Reform hat es in sich -- wenn sie auch für Nichteingeweihte
kaum durchblickbar ist (siehe auch akin 25&28/2013). Fakt ist: Wenn
die Betroffenen keine Ausgleichszulage mehr bekommen, bleibt durch die
Bundesnovelle nun als letzte soziale Absicherung nur mehr die
Mindestsicherung, die von den Ländern geregelt wird. Diese sehen sich
damit konfrontiert, daß mehr Menschen nun diese letzte Nothilfe in
Anspruch nehmen müssen. Deswegen will die Rathaus-SPÖ etwas dagegen
unternehmen, daß das allzuviele Leute sein werden und greift zum
Repressionsapparat: Nur wer sich willkürlich ansetzbarer
"arbeitsintegrativen oder rehabilitativen Maßnahmen" unterwirft und
glaubhaft macht, selbst alles zu tun, um wieder arbeitsfähig zu
werden, hat Anspruch auf die Mindestsicherung -- eine Verschärfung der
schon bisher ziemlich restriktiven Pflichten der Betroffenen zur
Reintegration. Und um genau diese Repression geht es in dem Entwurf.
So heißt es lakonisch in der Begründung: "Die Novelle ermöglicht die
Abwendung drohender Mehrkosten."

NGOs wie die "Aktiven Arbeitslosen" laufen dagegen Sturm. Da bei der
Rathaus-SPÖ kaum zu erwarten ist, daß diese sich davon beeindrucken
läßt, wird der Protest zunehmend an die Grünen adressiert. Zuständig
ist für dieses Thema Birgit Hebein. Bei Hebein stößt die Novelle aber
sowieso auf Widerstand. Sie will stur bleiben und erklärt kategorisch:
"Mit uns gibt es keine Verschärfung des Zugangs zur Mindestsicherung".

Die Begutachtungsfrist endete im Jänner -- für die SPÖ ist die Sache
anscheinend beschlußreif. Nur zur Beschlußfassung angesetzt werden
kann die Novelle nicht, weil es einen klaren Koalitionsbruch bedeuten
würde, wenn der Beschluß mit FPÖ oder ÖVP und gegen die Grünen gefaßt
würde.

Bleibt die Frage: Werden die Grünen die Gesetzesänderung letztlich
doch akzeptieren und ihre Sozialsprecherin bitten, das großartige
rotgrüne Projekt nicht noch mehr zu gefährden? Oder frißt die SPÖ die
Krot und begräbt die Novelle -- zumindest einstweilen mal?
-br-

*

Kasten:

> Last Exit Mindestsicherung

Die Verschlechterungen für die befristet Invaliditäts-Betroffenen
(siehe Artikel nebenan) ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Bundes-
und Landesgesetzgebung. Dadurch wird der Sozialstaat immer mehr in
Richtung Leistungen aus der Mindestsicherung verschoben und diese nur
mehr unter laufend strenger werdenden Kriterien gewährt. Die Caritas
Wien faßte diese Misere in ihrer Stellungnahme zur WMG-Novelle
zusammen:

"Durch den Wegfall der befristeten Invaliditäts- bzw,
Berufsunfähigkeitspension sieht sich das System der
Bedarfsorientierten Mindestsicherung einer neuen Anspruchsgruppe
gegenüber. Wurde befristet invaliden bzw. berufsunfähigen Personen bei
geringen Pensionsansprüchen bislang ein finanzielles Existenzminimum
durch die Ausgleichszulage im Rahmen der Pensionsversicherung gewahrt,
wird dieselbe Personengruppe künftig fur aufstockende Leistungen
zusätzlich zu einem unter der Mindestsicherungsschwelle liegenden
Rehabilitationsgeld und Umschulungsgeld an die Bedartsorientierte
Mindestsicherung verwiesen.

... Im Zusammenspiel dieser Reform mit dem System der
Bedarfsorientierten Mindestsicherung scheint uns Folgendes relevant:
Es wird einmal mehr deutlich, dass das letzte System der sozialen
Sicherheit ... die ihm ursprünglich zugedachte Aufgabe langst
eingebüßt hat. Diese bestand darin, die wenigen, a-typischen Fälle
aufzufangen, die durch die engmaschig geknüpften, vorgelagerten Netze
des Systems der sozialen Sicherheit fallen, allen voran jene der
Sozialversicherung. Mit dem Wegfall der Normalitätsannahmen, auf denen
das österreichische System der sozialen Sicherheit nach wie vor
aufbaut (Vollbeschäftigung, Normalarbeitsverhältnis,
male-breadwinner-family-Modell und Zwei-Eltern-Familien etc.) und
fehlender bzw. ungenügender Reformen im Sozialversicherungssystem
wurde aus der Ausnahme-Lösung ein immer wichtiger werdender
Systembaustein im österreichischen Wohlfahrtsstaat. Im
gegenständlichen Fall sind es Reformen im Sozialversicherungssystem
selbst, die in Hinsicht auf die Sicherstellung eines finanziellen
Existenzminimums zur ,Aussteuerung' aus dem Sozialversicherungssystem
und zum Wechsel in das System der Bedarfsorientierten Mindestsicherung
führen.

Wien ist ... im Rahmen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung
ungleich mehr gefordert als jedes andere Bundesland. Wohl auch deshalb
reagiert das Land Wien auf die Zuweisung einer neuen Gruppe von
Anspruchsberechtigten, wie aus dem Novellierungsentwurf klar
hervorgeht, mit Maßnahmen der Schließung, die eindeutig gegen das
Verschlechterungsverbot der Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG
verstoßen. ...

Als Caritas der Erzdiözese Wien ist es uns im Rahmen unseres
advokatorischen Auftrags wichtig, unmissverständlich darauf
hinzuweisen, dass mit dem Systemwechsel und den geplanten Änderungen
im WMG gravierende Verschlechterungen für die Personengruppe derer,
die bislang befristete Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension
bezogen haben, absehbar sind, sofern sie, statt Ausgleichszulage zu
beziehen, auf aufstockende Leistungen der Bedarfsorientierten
Mindestsicherung angewiesen sind. Dass es sich hierbei um eine
besonders verwundbare Personengruppe handelt, muss nicht weiter
erläutert werden."

*

Links:

Caritas-Stellungnahme:
http://www.wien.gv.at/recht/landesrecht-wien/begutachtung/pdf/2013021s8.pdf

Gesetzentwurf:
http://www.wien.gv.at/recht/landesrecht-wien/begutachtung/html/2013021.html

Petition: http://chn.ge/1hgC0QN



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