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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. Jänner 2014; 12:37
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Bücher:

> Syrische Defizite

Wolfgang Gehrcke / Christiane Reymann (Hg.)
SYRIEN. Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft
islamisiert.
PapyRossa Verlag, Köln 2013, 187 Seiten, EUR 9,90

Eine eingehende Beschäftigung mit Syrien ist für Linke unerläßlich.
Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann haben einen Sammelband
herausgegeben, durch den man/ frau wichtige Hintergrundinformationen
über das Land und die in ihm geführten Kriege bekommen kann, die
bereits über 100 000 Menschen das Leben gekostet haben und
Millionen(!) in die Flucht trieb.

Das aktuelle Assad-Regime und die früheren Baath-Regierungen werden
von den AutorInnen des vorliegenden Buches zu recht als Diktaturen
charakterisiert. Der beste Beitrag ist gleich der erste von Harri
Grünberg "Aufstieg, Niedergang und Sturz des säkularen Arabischen
Nationalismus" (S. 10 ff).

Nie hat es unter den Baath-Regierungen demokratische Strukturen
gegeben. Ein Rattenschwanz von Geheimdiensten überzog das Land.
Während der Beginn der Baath-Herrschaft noch linksnationalistisch war,
ging es nach 1970 zunehmend nach rechts. Kritiker, selbst vorsichtige,
wurden "aus dem Verkehr gezogen", verschwanden oder wurden ermordet.
"Zeitlich verzögert beginnt in Syrien die Politik der Öffnung der
Märkte 2005 unter Baschar al-Assad (S.21). Kein Wunder, daß es auch in
Syrien -- wie in vielen arabischen Ländern -- 2011 zum "Frühling"
kam -- nur der Diktator zeigte sich "überrascht".

Bei einigen AutorInnen erfolgt -- trotz Kritik an Vergangenheit und
Gegenwart -- eine zu rosige Rezeption der neueren Geschichte Syriens.
Die Selbstetikettierung der Baath- Partei als "sozialistisch" wird für
bare Münze genommen. Realiter war sie stets nationalistisch. Diese
Fehleinschätzung kommt nicht von ungefähr: sie entspringt der -- aus
dem Stalinismus herrührenden -- Überinterpretation Nassers, Nkrumahs
etc., also den RepräsentantInnen "des Arabischen bzw. Afrikanischen
Sozialismus" -- obwohl diese bekanntlich extrem brutal gegen die Linke
vorgegangen sind. Diese rosige Sichtweise führt zu dem verengenden
Untertitel des Buches "Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine
Gesellschaft islamisiert".

Diese Insuffizienz trägt auch dazu bei, die Rolle islamischer Kräfte
nicht ausreichend zu interpretieren -- obwohl bereits die klare
Aussage Samir Amins, daß die politischen Defizite des "Arabischen
Sozialismus" und das damit "geschaffene Vakuum, den politischen Islam
einlud es zu füllen" (S.20) als analytisches Leitmotiv fungieren
könnte.

Spielten die Islamisten aller Schattierungen zu Beginn der
Volkserhebung in Syrien 2011 in dem sammelband keine Rolle, wuchs in
der Folge ihr Einfluß Zug um Zug: durch geopolisch motivierte (und
religiös überfrachtete ) Interventionen von außen (Saudi-Arabien,
Katar, Türkei, diverse imperialistischer Länder) und die
internationale Isolation der progressiven Kräfte.

Die heutige Opposition ist extrem breit gefächert. In dem Kapitel "Who
is Who in der syrischen Politik" kann man/frau einen guten Überblick
gewinnen (S.161 ff).

Die inhaltliche Beiträge der Opposition in dem Sammelband spiegeln
beträchtliche politische Unzulänglichkeiten wider -- soziale
Gesichtspunkte spielen nur eine marginale Rolle. Oft ist abstrakt von
der Herstellung von "Demokratie" (S.145), "Säkularismus" oder "neuer
patriotischer Identität" (S.131) die Rede -- ohne näher auf
klassenspezifische Differenzierungen einzugehen.

Eine kritische Lektüre des Buches ist dennoch anzuraten. Darüber
hinaus wird es bitter notwendig sein, daß die -- europäische -- Linke
endlich ihre weitgehende Passivität gegenüber Syrien abschüttelt. Wenn
in bälde in Montreux die "Internationalen Friedengespräche" beginnen
und für Wien eine zivilgesellschaftliche Konferenz geplant ist, gibt
es konkret die Möglichkeit, Solidarität mit der syrischen Linken zu
zeigen.
*Hermann Dworczak*




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