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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 8. Jänner 2014; 09:46
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EU/Kapitalismus

> Irland zahlte mehr als ausgemacht

Dank EZB wurden auch Spekulanten gerettet

Am 15. Dezember beendete Irland als erstes Land das
"Rettungs"-Programm der Troika aus EU-Kommission, Europäischer
Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Während die
politischen Eliten Europas den Inselstaat als Erfolgsgeschichte
verkaufen, hat ATTAC nachgerechnet: Den 67,5 Milliarden Euro an
Hilfsgeldern, die Irland seit Ende 2010 erhielt, stehen 89,5
Milliarden Euro gegenüber, die im selben Zeitraum aus dem Land in den
Finanzsektor flossen.

Die Ergebnisse im Detail:

- 18,1 Milliarden flossen in die Rekapitalisierung irischer Banken.

- 55,8 Milliarden kamen GläubigerInnen des irischen Staats zugute.
Davon wurden 37,5 Milliarden für auslaufende Staatsanleihen und 18,3
Milliarden für Zinsen laufender Anleihen bezahlt.

- 1,6 Milliarden verwendete die National Asset Management Agency
(NAMA), die vom Staat garantierte Bad Bank, um Banken faule
Immobilienpapiere abzukaufen.

- 14 Milliarden kostete den Staat bisher die Abwicklung der Irish Bank
Resolution Corporation (IBRC), einer Fusion zweier verstaatlichter
Pleitebanken. Davon fielen 12,9 Milliarden bei NAMA an, die die
verbleibenden IBRC-Anlagen aufkaufte. Weitere 1,1 Milliarden gingen
als Folge einer staatlichen Garantie an GläubigerInnen der Bank.

Irland hat während seiner angeblichen Rettung mehr Geld in den
Finanzsektor gesteckt, als es an Hilfskrediten erhalten hat. Bezahlt
hat dafür die irische Bevölkerung, die ausgepresst wird, um den
europäischen Bankensektor am Leben zu erhalten.

Der irischen Bevölkerung wurde aber schon im Vorfeld des
"Rettungs"-Programms die mit Abstand größte nationale Bankenrettung
der gesamten Eurozone aufgebürdet. 76,5 Milliarden Euro öffentlicher
Mittel flossen zwischen 2008 und 2010 direkt oder indirekt in die
irischen Finanzinstitute.

EZB erpresst Irland, Hedgefonds auszuzahlen

Der Einfluss der Troika zeigt sich auch in Details der irischen
Krisenpolitik: Die verstaatlichten irischen Banken müssen sogar jene
GläubigerInnen zur Gänze auszahlen, die nicht von der staatlichen
Garantie erfasst sind -- was 16 Milliarden Euro öffentlicher Mittel
erforderte (4). Wie ein Gutachten für das Europäische Parlament
festhält, zwang die EZB die irische Regierung zu diesem Schritt. Als
Druckmittel drohte die Zentralbank damit, Notkredite für irische
Banken zu verteuern oder gänzlich zu streichen. Sie tat das, obwohl es
im "Rettungs"-Programm keine Auflagen zur Rückzahlung ungarantierter
Bankschulden gibt und der IWF sich für eine Kostenbeteiligung der
GläubigerInnen ausgesprochen hatte. Die EZB schützt damit zu einem
großen Teil hochspekulative AkteurInnen wie Hedgefonds. Sie hatten den
irischen Banken zu einem Zeitpunkt Geld geliehen, als bereits klar
war, dass diese kurz vor dem Zusammenbruch oder der Notverstaatlichung
standen. (2) Das Gutachten kommt zum Schluss, dass die EZB damit
möglicherweise ihr Mandat überschritten hat und empfiehlt, sie in
Zukunft nicht mehr in eine Troika aufzunehmen. (3)

Wer die geretteten GläubigerInnen sind, wird von den politischen
Eliten geheim gehalten. Eine vom Ex-Broker und Blogger Paul Staines
geleakte, unvollständige Liste der GläubigerInnen von Anglo Irish, der
größten irischen Pleitebank, umfasst internationale Großbanken wie
Allianz, Barclays, Crédit Suisse, Deutsche Bank, Goldman Sachs, HSBC
oder Société Générale. Auch Töchter österreichischer Banken wie Erste
und Raiffeisen gehörten laut Staines zu den ProfiteurInnen. (5) Im
Oktober 2013 kommentierte der deutsche Finanzminister Wolfgang
Schäuble die Lage mit: "Irland hat getan, was Irland tun musste ... und
jetzt ist alles gut." (6)

Staatlicher Pensionsfonds geplündert

Tatsächlich bezahlt die Bevölkerung die mehrfache Rettung des
Finanzsektors mit einer brutalen Kürzungspolitik. So musste Irland
seine eigene "Rettung" mit 17,5 Milliarden mitfinanzieren. Davon kamen
10 Milliarden aus dem staatlichen Pensionsfonds NPRF, der irische
Pensionen in der Zukunft absichern sollte. Die Gelder aus dem
Pensionsfonds wurden für Bankenrekapitalisierungen verwendet (7). Ende
2013 entschied die Regierung, ihn vollständig in einen Investmentfonds
umzuwandeln. (8). Zahlreiche weitere Austeritätsmaßnahmen trafen die
Bevölkerung hart: Die Mehrwertsteuer wurde auf 23 Prozent erhöht, das
Kindergeld gekürzt, das Arbeitslosengeld für Jugendliche halbiert (9).
Die Studiengebühren stiegen um das Dreifache auf 2.500 Euro (10).
Insgesamt wurden der irischen Gesellschaft seit 2008 mit
Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen 28 Milliarden Euro entzogen
(11).

Höchste Auswanderungsrate in der EU

Die sozialen Folgen der Krisenpolitik sind desaströs: Knapp ein
Drittel der irischen Bevölkerung ist von Armut oder sozialer
Ausgrenzung bedroht (12), ein Zehntel leidet unter Hunger (13).
Während das verfügbare Einkommen des einkommensschwächsten Zehntels
der Bevölkerung innerhalb eines Jahres um 26 Prozent fiel, stieg jenes
des Zehntels mit den höchsten Einkommen um 8 Prozent: Die Stoßrichtung
der Krisenpolitik ist eindeutig (14). Inzwischen denkt die Hälfte der
18- bis 24-Jährigen darüber nach, den Inselstaat zu verlassen. Bereits
300.000 Menschen sind in den letzten vier Jahren emigriert. (15).
Irland erlebte 2012 die höchste Netto-Auswanderung der gesamten EU.
Nur sechs Jahre zuvor hatte es noch die höchste Netto-Zuwanderung
verzeichnen können (16).

Staatsschulden steigen weiter

Auch die irische Wirtschaft hat sich als Folge der Kürzungspolitik
keinesfalls erholt: Das Bruttoinlandsprodukt ist heute um 12,6 Prozent
niedriger als vor der Krise (17). Die Arbeitslosigkeit ist mit 13
Prozent nach wie vor mehr als doppelt so hoch wie vor der Krise, unter
Jugendlichen beträgt sie sogar 27 Prozent (18). Der Bankensektor
erfüllt seine Kernaufgabe, die Versorgung der Realwirtschaft mit
günstigen Krediten, weiterhin nur schlecht: Die Hälfte der Klein- und
Mittelbetriebe, die sich im letzten Quartal um einen Kredit bemühten,
wurden von den Banken abgewiesen (19). Die Staatsschulden, die als
Folge der Bankenrettungen zwischen 2007 und 2010 von 25 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts auf 91 Prozent explodiert waren (20), stiegen
unter Troika-Kontrolle weiter und erreichen 2013 laut aktueller
Prognose 124 Prozent (21).

Nachdem Europas Banken seit 2008 bereits 670 Milliarden Euro an
direkter staatlicher Hilfe erhalten haben (22), fließen nun über den
Umweg von Staaten wie Irland oder Griechenland weitere hunderte
Milliarden öffentlicher Mittel in den Finanzsektor. Dass nicht die
irische Bevölkerung, sondern europäische Finanzeliten gerettet wurden,
bestätigt Andy Storey, Soziologe und Ökonom am University College
Dublin und Aktivist von Attac Irland: "Das Geld, das europäische
SteuerzahlerInnen Irland geliehen haben, wurde großteils für die
Rückzahlung sozialisierter Privatschulden verwendet. Diese hätte die
Öffentlichkeit nie übernehmen dürfen, ob in Irland oder anderswo in
Europa. Illegitime Schulden sind der Kern dieser Krise."

Doch Klaus Regling, Vorsitzender der Rettungsschirme EFSF und ESM,
bezeichnete das Ende des irischen "Rettungs"-Programms als "riesigen
Erfolg für Irland und die gesamte Eurozone" und als Beleg für den
Erfolg der bisherigen Krisenpolitik (23). Tatsächlich planen die
politischen Eliten den Beschluss des Wettbewerbspakts, der das irische
Modell auf die gesamte EU ausdehnen soll: Alle Staaten sollen sich
vertraglich verpflichten, neoliberale Maßnahmen wie den Abbau von
Arbeitsrechten, Lohnsenkungen oder Privatisierungen durchzusetzen. Die
EU-Kommission soll deren Umsetzung kontrollieren und mit Prämien bzw.
Strafzahlungen durchsetzen können.

Der geplante Wettbewerbspakt bedeutet ‚Troika für alle'. Nach breiten
europäischen Protesten wurde sein Beschluss von Mitte Dezember auf
Juni 2014 verschoben.
(Attac/gek.)
*

Quelle: http://www.attac.at/bailout-irland

Eine genaue Auflistung und Erläuterung der einzelnen Posten/Verweise
findet sich unter:
http://www.attac.at/uploads/media/Hintergrundmaterial_Irland_deutsch-GESPERRT.pdf
*

Fußnoten:
(2) Karl Whelan (2012): The ECB's Role in Financial Assistance
Programmes, http://www.karlwhelan.com/EU-Dialogue/Whelan_June2012.pdf,
S.9.
(3) Ebd., S. 14.
(4) Central Bank of Ireland (2011): Clarification - Senior Debt and
Subordinated Debt Issuance by Irish Credit Institutions, 01.04.2011,
http://www.centralbank.ie/press-area/press-releases/Pages/Clarification-SeniorDebtandSubordinatedDebtIssuance.aspx
(5) Guido Fawkes' Blog (2010): Anglo-Irish Bondholders Should Take the
Losses, 15.10.2010,
http://order-order.com/2010/10/15/anglo-irish-bondholders-should-take-the-lossesis-the-ecb-forcing-ireland-to-protect-german-investments
(6) The Irish Times (2013): Schäuble pours cold water over idea of ESM
relief for Ireland, 16.10.2013,
http://www.irishtimes.com/business/sectors/financial-services/sch%C3%A4uble-pours-cold-water-over-idea-of-esm-relief-for-ireland-1.1561748
(7) European Commission (2011): The Economic Adjustment Programme for
Ireland,
http://ec.europa.eu/economy_finance/publications/occasional_paper/2011/pdf/ocp76_en.pdf,
S. 39.
(8) NPRF (2013): Ireland Strategic Investment Fund,
http://www.nprf.ie/ISIF/IrishStrategicInvestmentFund.htm
(9) Oxfam (2013): The true cost of austerity and inequality. Ireland
case study,
http://www.oxfam.org/sites/www.oxfam.org/files/cs-true-cost-austerity-inequality-iceland-120913-en.pdf,
S. 2f.
(10) Channel 4 (2013): Irish Students take to the streets to protest
against cuts, 01.10.2013,
http://www.channel4.com/news/irish-student-protest-demo-cuts-austerity-ireland
(11) The Economist (2013): Ireland: The eight austerity budget,
19.10.2013,
http://www.economist.com/news/europe/21588110-government-end-economic-emergency-sight-eighth-austerity-budget
(12) Eurostat (2013): Von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte
Bevölkerung nach Alter und Geschlecht, http://eurostat.ec.europa.eu
(13) Mandate/Unite (2013): Hungry for Action. Mapping Food Poverty in
Ireland,
http://unitetheunionireland.files.wordpress.com/2013/12/hungry-for-action1.pdf,
S. 2.
(14) Central Statistics Office (2012): Survey on Income and Living
Conditions (SILC) 2010,
http://www.cso.ie/en/media/csoie/releasespublications/documents/silc/2010/silc_2010.pdf,
S. 11.
(15) BBC (2013): 300.000 Irish people emigrate in four years,
09.05.2013, http://www.bbc.co.uk/news/uk-northern-ireland-22461030
(16) The Irish Times (2013): Ireland has highest net emigration level
in Europe, 21.11.2013,
http://www.bbc.co.uk/news/uk-northern-ireland-22461030
(17) Eurostat (2013): BIP und Hauptkomponenten - Jeweilige Preise,
http://epp.eurostat.ec.europa.eu
(18) Eurostat (2013): Arbeitslosenquoten nach Geschlecht und
Altersgruppe - Vierteljährliche Daten,
http://epp.eurostat.ec.europa.eu
(19) The Irish Times (2013): Small firms ‚denied bank credit',
02.12.2013,
http://www.irishtimes.com/business/small-firms-denied-bank-credit-1.1614285
(20) Eurostat (2013): Defizit/Überschuss, Schuldenstand des Staates
und damit zusammenhängende Daten, http://epp.eurostat.ec.europa.eu
(21) Europäische Kommission (2013): Autumn forecast 2013, November
2013,
http://ec.europa.eu/economy_finance/publications/european_economy/2013/ee7_en.htm,
S. 59.
(22) Der Standard (2013): Bankenrettungen kosteten EU-Staaten 670
Milliarden, 22.04.2013,
http://derstandard.at/1363708829426/Bankenrettungen-kosteten-EU-670-Milliarden-Euro
(23) EFSF (2013): EFSF financial assistance for Ireland ends with
successful Irish exit, 08.12.2013,
http://www.efsf.europa.eu/mediacentre/news/2013/efsf-financial-assistance-for-ireland-ends-with-successful-irish-exit.htm


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