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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 8. Jänner 2014; 09:34
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International:

> 20 Jahre Rebellion in Chiapas

Am 1.Jänner 1994 tauchten sie aus dem lacandonischen Dschungel auf und
forderten die mexikanische Zentralgewalt heraus: Die Zürcher
"Wochenzeitung" und die deutsche "Graswurzelrevolution" widmeten zum
Jahreswechsel den Zapatisten eine breite Berichterstattung, die wir
hier gekürzt wiedergeben. (Teil I, Teil II)
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> Die Echos der Maskierten

Seit 20 Jahren wird der Zapatismus weltweit positiv aufgegriffen

Die Kämpfe der südmexikanischen Landbevölkerung sind auf ein Echo
gestoßen, das enorm war. Etwas mehr als drei Jahre vor Beginn des
Aufstands war die Sandinistische Revolution abgewählt worden, der
Ostblock - für viele Linke wenn auch kein Gegenmodell, so doch ein
machtpolitisch gern gesehenes Korrektiv gegenüber der kapitalistischen
Expansion - war zusammengebrochen und George Bush senior hatte die
Neue Weltordnung verkündet. In Mexiko regierte seit 1929 dieselbe
Partei, seit den 40er Jahren unter dem schönen Namen Institutionell
Revolutionäre Partei (PRI). Die politischen Rahmenbedingungen erklären
zumindest die Überraschung, die die indigen geprägte Bewegung am 1.
Januar 1994 auslöste. Die eigenen Inhalte, das basisdemokratische, auf
Zuhören basierende Politikmodell und der Kampf gegen den
Neoliberalismus waren die Schlüssel für die große Anschlussfähigkeit.
Und nicht zuletzt die Formen, eine ungewohnt poetische Sprache in den
Verlautbarungen und eine extrem einfallsreiche Kampagnenpolitik
(Konvent, Marsch, Verhandlung, Intergalaktische Treffen, Befragung,
Buskarawane, Festival u.v.a.), machen die Begeisterung
nachvollziehbar.

Für die globalisierungskritischen Bewegungen wurde der Zapatismus zu
einer - wenn auch, wegen seiner Fundamentalopposition gegenüber dem
staatspolitischen System umstrittenen - zentralen Bezugsgröße. Wegen
der offensiven Suche nach Alternativen zur kapitalistischen
"Modernisierung".

Auch wenn die "dritte Schulter", wie Subcomandante Marcos die
transnationale Unterstützung nannte, in den letzten Jahren merklich
schwächelt und auf ihr nicht mehr allzu viel ruht: Jenseits von
konjunkturellen Tiefs revolutionsromantischer wie journalistischer
Logiken sind die Zapatistas nach wie vor eine wichtige Konstante in
den Kämpfen gegen rassistische Ausgrenzung, gegen die Diskriminierung
von Frauen aber auch gegen infrastrukturelle Großprojekte und
Umweltzerstörung.

Es gab Solidaritätsgruppen und es gibt Kooperativen, die fair
gehandelten, ökologischen Kaffee aus den zapatistischen Gebieten
vertreiben. Und es gab und gibt auch zahlreiche Protestbewegungen, die
zapatistische Forderungen und Konzepte aufgriffen und in ihren eigenen
Kämpfen nutzten, die Tute Bianche in Italien zum Beispiel. Selbst bei
Studierendenprotesten in Frankreich, Deutschland oder Österreich
tauchten zapatistische Parolen auf.

Und dann das intellektuelle Feld: Hier wurde konzeptuell vermittelt,
warum die Frage der Landverteilung, die Frage nach Autonomie und
kulturellen Rechten, die Frage der Bildung verarmter Bevölkerungsteile
und die Frage politischer Organisierung und Repräsentation nicht nur
im mexikanischen Bundesstaat Chiapas zu stellen sind. Auch in Mexiko
leben mittlerweile drei Viertel der Bevölkerung in Städten, auch aus
deren objektiven Lage ergeben sich nicht notwendiger Weise
Gemeinsamkeiten mit ihren bäuerlichen Landsleuten. Und dennoch geht es
um universelle Fragen.

Die Feministin Silvia Federici etwa beschrieb den zapatistischen
Widerstand gegen die Aufhebung der verfassungsmäßigen Garantie von
Gemeindeland als Auftakt für eine Auseinandersetzung um "commons" (in
etwa: "das, was allen gehört") in der radikalen Linken.

Der Literaturwissenschaftler und Theoretiker der Dekolonisierung,
Walter Mignolo, bescheinigte den Zapatistas einen "epistemischen
Bruch", d.h. einen grundsätzlichen Wandel herbeigeführt zu haben in
der Art und Weise, wie Politik zu denken ist. Michael Hardt und
Antonio Negri, die Autoren der viel diskutierten Bücher "Empire" und
"Multitude" haben die zapatistische Praxis als Beispiel für ihr
Konzept der (nicht-staatlichen) "konstituierenden Macht" aufgeführt.

Und der marxistische Philosoph Étienne Balibar beschrieb die
zapatistischen Forderungen als prototypisch für jene nach dem "Recht
auf Rechte", das Marginalisierte in aller Welt mehr und mehr
formulieren würden. In Philosophie, Politikwissenschaft, Soziologie,
soziale Bewegungsforschung und andere Wissensproduktionen, das soll
damit gesagt sein, intervenierten die Zapatistas also nicht nur als
(passiv beforschter) Gegenstand, sondern auch als Inhalte generierende
Kraft.
(Jens Kastner, Graswurzelrevolution Jänner 2014/gek.)

Quelle: http://www.graswurzel.net/385/maske.php


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