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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Dezember 2013; 16:17
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Interview:

> "Das System nicht sehen oder nicht sehen wollen"

Die Praesidentschaftswahlen in Honduras standen unter internationaler
Beobachtung -- auch einer EU-Mission. Oder war es doch eher eine
Wegschauung?


2009 war der honduranische Praesident Manuel Zelaya unter Beteiligung
der Militaers entmachtet worden. Kurz darauf fanden in Honduras unter
den Kontrolle der Putschisten Praesidentschaftswahlen statt. 2013
sollten erstmals wieder einigermassen demokratische Wahlen
stattfinden. Am Sonntag, den 24.November war es soweit, als
aussichtsreichste Kandidaten galten Juan Orlando Hernández von der
Nationalen Partei sowie Xiomara Castro, die Frau des Expraesidenten
Zelaya, vom linken Buendnis LIBRE. Laut offiziellen Ergebnis hatte der
Kandidat der Nationalen Partei die Wahlen deutlich gewonnen. Eine
Beobachtungsmission der Europaeischen Union unter Fuehrung der gruenen
Abgeordneten Ulrike Lunacek attestierte dem Wahlgang einen "weitgehend
geordneten Verlauf".

*Leo Gabriel*, oesterreichischer Journalist und ebenfalls Mitglied der
EU-Mission sah das etwas anders und sorgte international fuer
Aufregung, als er in Honduras seine Bedenken der Presse praesentierte.
Seine Schilderung des Ablaufs der Wahl und des Verhaltens der
Beobachtungsmission wirft ein schlechtes Licht auch auf solche
EU-Missionen im Allgemeinen.

akin: Leo, du hast international fuer ziemliche Aufregung gesorgt,
weil du vor der Presse gesagt hast, die Wahl waere keineswegs ruhig
und ordnungsgemaess abgelaufen. Und die EU-Mission waere da sehr
zerstritten gewesen, was war da wirklich?

Leo Gabriel: Das ist ja immer so eine relative Sachen mit dem ruhig
und ordentlich. Es ging uns aber darum, ob die Wahlen transparent
waren. Die Unregemlaessigkeiten, die sich da angehaeuft haben und die
fuer uns an der Basis arbeitenden Beobachter vielfach spuerbar
geworden sind, die sind darauf zurueckzufuehren, dass die Nationale
Partei schon im Vorfeld den Zugang zur Wahlurne gefiltert hat, in dem
sie gewisse Leute ganz einfach als tot gemeldet hat. Die haben dann
ihren Ausweis hergezeigt und man hat ihnen gesagt, sie seien tot. Nur
wenn jemand das rechtzeitig vorher gemerkt hat, was nur einige wenige
getan haben, brauchte es zwei Tage intensiver Arbeit, um einen wieder
zum Leben zu erwecken.

Umgekehrt hat es Leute gegeben, die wirklich tot waren -- das ist ja
eine altbekannte Praxis -- fuer die dann jemand anderer gewaehlt hat.
Dann hat es um die Wahllokale einen ziemlichen Zirkus gegeben, obwohl
nach dem Wahlgesetz die Parteien mindestens 100 Meter entfernt nur
ihre Standln aufmachen durften. Mir ist es persoenlich passiert, dass
jemand, der nicht sofort mein Beobachterabzeichen gesehen hat, mir
angeboten hat, er werde mich "durch die Wahl durchschleusen". Und da
hab ich ihn gefragt, was er mir dafuer zahlt und er hat mir eine Summe
von 500 Lempiras (Anm. das sind etwa 18 Euro) genannt. Also
Stimmenkauf.

Im Wahllokal selbst hat es von jeder Partei einen Vertreter gegeben.
Die anwesenden Rechtsparteien, fuer deren Kandidaten es oft gar keine
Stimmen gab, sollten dabei die Vertreter von LIBRE und
Anti-Korruptions-Partei neutralisieren. Wenn es Schwierigekeiten
gegeben hat, ob eine Stimme anerkannt werden soll oder nicht, hat dann
die Nationale Partei immer die Mehrheit gehabt.

Letztenendes war auch nicht klar, wohin die Ergebnisse der einzelnen
Lokale gesendet werden. Das hat mich erinnert an ein Gespraech, das
ich mit einem Mathematikprofessor gefuehrt habe. Der hat gesagt, er
haette Informationen, dass die Resultate zuerst auf einen Drittserver
einer Firma uebertragen worden seien, und dann erst zum Obersten
Wahlrat gegangen seien. Das heisst, es sind Wahlbeobachter bei der
Stimmenabgabe, aber auch Beobachter bei der Wahlzentrale gewesen. Nur:
Es hat niemand gewusst, wie das uebermittelt wurde. Und wenn das ueber
eine Zwischenstelle gegangen ist, dann kann die natuerlich ein neues
Wahlresultat fabrizieren.

Aber: Von den Resultaten in den einzelnen Lokalen hat jede Partei eine
Kopie bekommen. Und die Kopien zusammengenommen -- die Meldung ist
erst gestern gekommen (Anm. Interview vom 9.12.) -- hat laut LIBRE
denen einen Vorteil von 100.000 Stimmen gebracht gegenueber dem, der
sich schon zwei Stunden nach der Wahl recht voreilig zum Praesidenten
ausgerufen hat, naemlich dem rechtsextremen Juan Orlando Hernández.

akin: Du hast eine Menge Macheloikes beobachtet. Gab es von den
anderen Berichterstattern aehnliche Berichte?

LG: Unterschiedlich! Es gab Leute, die aehnliches beobachtet haben.
Aber es hat auch andere gegeben, die gesagt haben -- und das ist
meistens aus jenen Bundesstaaten gewesen, wo die Nationale Partei
traditionellerweise ohnedies eine grosse Mehrheit hat --, da sei die
Wahl gut organisiert gewesen -- was immer das heissen mag -- und der
Wahlablauf voellig normal.

akin: Und so kommt die Beobachtermission dann auf ein derartiges
Abschwaechen der "Unregelmaessigkeiten"? Oder war es einfach opportun
diese Wahl als regulaer zu erklaeren?

LG: Hernández hat sich ja schon fruehzeitig zum Praesidenten erklaert
und er wurde von der Liberalen Partei auch als solcher gleich
anerkannt. Da war jetzt die Frage, soll man da mitmachen und sagen,
die Wahlen waren in Ordnung, wie das etwa die US-Botschaft oder die
Organistaion amerikanischer Staaten gleich getan haben, oder soll
man -- was vernuenftig gewesen waere -- etwas zuwarten.

Jetzt hat aber Ulrike Lunacek schon Dienstag frueh die Pressekonferenz
abgehalten -- obwohl sie gewusst hat, das sogar nach Aussagen des
obersten Wahlrats 20 Prozent der Stimmen wegen Unleserlichkeit einer
Sonderbehandlung zugefuehrt werden sollten. Trotzdem hat die Mission
gesagt, das Waehlen und Auszaehlen waere transparent gewesen. Das
haben die honduranischen Medien zum Anlass genommen, zu sagen, wenn
die EU sagt, dass die Wahl transparent gewesen waere, dann waere Juan
Orlando wirklich Praesident. Wenn die Mission zugewartet haetten, dann
haetten sie spaetestens, als wir alle in die Hauptstadt
zurueckgekommen sind, die wir an der Basis gearbeitet haben, gemerkt,
dass alle, die da zurueckgekommen waren, irgendetwas auszusetzen
gehabt haben.

Aber jetzt war der Bericht schon heraussen und ich hab dann den
Vorschlag gemacht, dass wir einen neuerlichen Bericht auf Grundlage
der Aussagen der etwa 48 Wahlbeobachter vor Ort -- die ganze Mission
bestand aus 72 Leuten -- abgeben. Aber da war Ulrike Lunacek schon
abgereist gewesen und der Vizechef der Mission, ein Spanier, hat sich
nicht zu einer neuen Erklaerung bereitgefunden. Und darauf bin ich
dann am Flughafen zu den Journalisten gegangen und hab ihnen meine
Beobachtungen erzaehlt.

akin: Mittlerweile ist es ja so, dass der Oberste Wahlrat neu
auszaehlen moechte und LIBRE hat gemeint, sie machen mit, aber nur
wenn genug eigene Techniker mitmachen duerfen. Welche Chancen siehst
du da auf eine jetzt regulaere Auszaehlung?

LG: Auf dieser Ebene werden die nicht viel Chancen haben. Was moeglich
waere, dass auf der Ebene der Gemeinden unter Uebereinstimmung aller
Parteien die Kopien der Wahlresultate zusammengezaehlt werden und dann
alles neuberechnet wuerde. Denn im obersten Wahlrat sind nur die
traditionellen Parteien, also die Nationale Partei, die Liberalen und
die Christdemokraten vertreten -- und die LIBRE und die
Anti-Korruptions-Partei nicht. Aber auf der Gemeindeebene sehr wohl.

akin: Aber kann sich da am offizielle Ergebnis noch wirklich etwas
aendern?

LG: Da ist die Mobilisierung auf der Strasse wichtig. Da hat es Sachen
gegeben, dass LIBRE-Leute erschossen worden sind. Die Nationale Partei
ist ja nicht irgendeine konservative Partei wie die OeVP, sondern das
sind Leute, die den Putsch befuerwortet haben und die jenes System
mitgetragen haben, dem zum Beispiel 36 Journalisten zum Opfer gefallen
sind. Die sind in unserem Sinne Faschistoide, Rechtsextreme.

Deswegen verstehe ich eigentlich nicht diese Fuehrung der Mission, die
Ulrike Lunacek und die Spanier -- die sind ja von der spanischen
Sozialdemokratie. Warum haben sie immer nur politische Fehler der
LIBRE kritisiert, aber nie gewagt, die Machenschaften dieses Juan
Orlando Hernández herzuziehen? Mir ist es schleierhaft, wenn sie
wissen, dass Honduras ein sehr gewaltsames Land ist, was sie auch
immer wieder selbst gesagt haben, dann nicht den zweiten Schritt
machen, festzustellen, dass diese Gewalt ja von irgendjemand ausgeht.
Diese Gewalt hat ja auch politische Gruende und ist kein
Naturereignis. Da arbeiten Drogenkapitaene mit der Oligarchie
zusammen, die sich dann wieder zu parteiaehnlichen Strukturen
zusammenfuegen. Dass das alles ein System hat, das da dahintersteht,
das haben die Spitzen der EU-Mission einfach nicht gesehen oder nicht
sehen wollen.

akin: Lieber Leo, ich danke dir fuer das Interview.

Interview: Bernhard Redl

*

Das komplette 20-minuetige Interview ist nachzuhoeren unter:
http://cba.fro.at/251266

Spanischsprachiges Interview (miserabler Ton):
http://www.youtube.com/watch?v=E5wQpMhm6tM



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