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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. November 2013; 13:48
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Glosse:

> Unter Bruedern

Seltsame Modernisierungsversuche in der SPOe

Warum schreibt man einen Offenen Brief? Ueblicherweise tut man das, um
eine oeffentliche Abgrenzung klarzumachen oder weil man hofft, der
Angesprochene wuerde endlich einmal reagieren, weil er das ohne
Oeffentlichkeit sonst nicht tut.

Einen solchen Offener Brief findet man -- obwohl die oesterreichische
Innenpolitik betreffend -- ausgerechnet in der deutschen "Zeit".
Geschrieben hat diesen Brief Christian Cap, ehemaliger Chef der Jungen
Generation in der SPOe und bis vor kurzem Manager in einer SP-nahen
Holding. Und zwar schrieb er an seinen Bruder Josef Cap, ehemaliger
Chef der SJ und jetzt Parteimanager. Das laesst doch schon einmal
prinzipiell die Frage stellen: Warum schreibt der juengere Bruder dem
aelteren, mit dem er noch dazu einen recht parallelen Karriereverlauf
hat, einen Offenen Brief? Koennen die nicht mehr miteinander reden?
Oder: Geht es eher darum, den weltoffeneren Teil der Parteielite, der
wohl am ehesten noch "Die Zeit" liest, zu beeinflussen?

Liest man den Brief, bleibt man eher verwirrt zurueck. Denn das ist
ein gar seltsames ideologisches Sammelsurium, das Bruder Christian da
Josef Cap empfiehlt. Zum einen blickt Christian Cap mit Wehmut auf die
Aera eines Bruno Kreisky zurueck: "Wie sehr hat er es verstanden, die
charismatische Vision der Modernisierung Oesterreichs, unter anderem
mit der Forderung nach Demokratisierung aller Lebensbereiche und dem
Ausbau des Sozialstaates, zu formulieren und erfolgreich in eine
absolute Regierungsmehrheit umzusetzen".

Interessanterweise geht es aber Christian Cap keineswegs darum, den
Sozialstaat zu erneuern: "Die SPOe, einst mit absoluter Mehrheit
ausgestattet, hat sich in den letzten 20 Jahren thematisch zu einer
Einthemenpartei zurueckentwickelt. Alles, was unter dem nach wie vor
grossen Dach des europaweiten Konzepts der sozialen Marktwirtschaft
mit Erwerbsarbeit und sozialer Absicherung zu tun hat, ist ihr
zentrales Anliegen geblieben. ... Nur: Der klassische Begriff der
Erwerbsarbeit als zentraler Orientierungspunkt wahlstrategischer
Themenentwicklung ... greift inzwischen viel zu kurz." Und: "Viele
junge, gut ausgebildete Menschen leben heute in einer neuen
Selbststaendigkeit. Oftmals freiwillig, nicht selten aber auch
unfreiwillig, um der Jugendarbeitslosigkeit zu entgehen. Die
Gewerkschaft hat fuer diese Menschen bis heute kein
Integrationsangebot unterbreiten koennen, das ausreichend attraktiv
waere."

Worauf will der juengere Cap also hinaus? Auf die mangelnde Erkenntnis
der Partei, dass sich unsere Arbeitsgesellschaft massiv gewandelt hat?
Darauf gar, dass der Klassenkampf heute anders gefuehrt werden
muesste? Nicht so ganz! Denn weniger die neue Armut und die
grassierende Existenzangst, sondern das ueberreiche Angebot der
modernen Welt sei die Herausforderung: "Unser Leben hat neue, auch
virtuelle Existenzraeume hinzugewonnen. Die Freizeitgesellschaft steht
gleichberechtigt neben der Arbeitsgesellschaft, die Moeglichkeiten der
Selbstfindung und -verwirklichung in der Medien- und
Spielegesellschaft sind ungemein herausfordernd." Und so empfiehlt der
juengere Bruder dem aelteren bei dessen Entwicklung eines neuen
Parteiprogramms, die SPOe solle sich mehr um Fragen der
Internetfreiheit, der Demokratisierung und des Umweltschutzes
bemuehen.

Nun kann ich dieser Kritik weitgehend rechtgeben, aber was soll das
fuer eine neue SPOe dann wirklich sein? Gegen Ende des Briefes wird es
dann noch verwirrender: "Die Neos, als Ueberraschungsgast am Wahlabend
das Frischedeodorant unserer Demokratie schlechthin, haben es immerhin
verstanden, der Idee der liberalen Individualgesellschaft ohne
Ellbogenbrutalitaet vorerst neues Leben einzuhauchen. Sie waren fuer
viele junge Menschen inspirierend genug, zur Wahl zu gehen und sich
danach mit der neuen Partei zu freuen. ... Das ist es, was das neue
SPOe-Programm leisten muss: die Freude am Politischen ins politische
Leben zurueckzubringen und das traurige Gefuehl vieler Waehler, nur
eine duldsame Wartesaalexistenz zu sein, aufzuloesen."

Was heisst denn das? Soll sich die SPOe einen moderneren Anstrich
geben? Ein Deodorant ist ja etwas, dass man verwendet, damit man nicht
so stinkt und der Umgebung gefaelliger ist. Die Partei von
neoliberalen Karrieristen mit OeVP-Vergangenheit als Vorbild fuer eine
SPOe, der man den Geruch der eigenen Vergangenheit nicht mehr so
anmerken soll? Ja zum Neoliberalismus, aber mit mehr Anschein von
Demokratie?

Zurueck zur Eingangsfrage: Was soll dieser Brief? An wen wirklich ist
er gerichtet? War er gar mit dem formalen Adressaten Josef Cap
abgesprochen? Und hat ihn "Die Zeit" veroeffentlicht, weil sie gerne
Sachen abdruckt, wo der Sozialdemokratie die Neos als Vorbild
hingestellt werden? Man denke an die auch dort abgedruckte Wahlanalyse
Anton Pelinkas: "Die Pinken lassen hoffen, in Oesterreich koennte sich
eine liberale Stimme auf Dauer etablieren. Ein liberales oder
zumindest liberaleres Oesterreich, in dem der kulturelle Liberalismus
vor allem von den Gruenen, der wirtschaftliche von den Neos
verkoerpert wird? Nicht einmal der oesterreichischen Gesellschaft
sollte man die Lernfaehigkeit absprechen. Und der Erfolg der Neos
hilft, die Hoffnung am Leben zu erhalten."

Ist das die Richtung, in die sozialdemokratie-interne oder
zumindest -nahestende Eliten die SPOe zum Zwecke der Modernisierung
bringen wollen?

Ja, es gibt auch eine Parteilinke. Die wirklich entzueckende Sektion 8
der Alsergrunder Bezirkspartei versucht sie zu organisieren. Die
Sektion mobilisiert immer noch andere Sektionen und Ortsgruppen, sich
doch fuer eine Urabstimmung ueber das Ergebnis der
Koalitionsverhandlungen einzusetzen. Da kann man nur viel Erfolg
wuenschen, etwas bringen wird es wahrscheinlich nicht. Denn die
Parteibasis ist der SPOe schon seit Jahrzehnten scheissegal.

Wenn diese Partei ueberhaupt modernisierbar ist, wird sie sich das
unter ihrer eigenen gutbetuchten Elite ausmachen. Dass das aber nur
eher noch mehr Wirtschaftsliberalismus und kaum Demokratisierung
bedeuten wird, ist irgendwie auch klar.
*Bernhard Redl*
*

Der Brueder-Brief: http://www.zeit.de/2013/48/josef-cap-spoe-brief

Wahlanalyse Pelinkas:
http://www.zeit.de/2013/41/oesterreich-nationalratswahl-neos

Sektion 8 der SPOe Wien-Alsergrund: http://www.sektionacht.at/

SPOe-Urabstimmungsplattform: http://www.spoe-urabstimmung.at/



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