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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. Oktober 2013; 17:28
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Griechenland:

> Es ist noch nicht vorbei

Die Neonazi-Organisationen Griechenlands sind nicht von gestern auf
heute aufgetaucht und sie werden auch morgen wohl noch nicht
verschwunden sein.
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Es gibt es eine verbindliche und systematische Befehlskette fuer
Mordaktionen der griechischen neonazistischen Organisation (1). Im
Verlauf dieser Tage kann immer genauer dokumentiert werden, wie diese
Befehlskette beim Mord am antifaschistischen Rapper Pavlos Physsas
funktionierte und was fuer Strukturen dahinterstehen.

Patélis, der Ortskommandant der gefaehrlichsten Brigade der Region und
sein politischer Vorgesetzter, der im Parlament sitzt, der Abgeordnete
Lagós, waren am Abend des Mordes permanent in telefonischer
Verbindung. Dies dauerte zunaechst eineindreiviertel Stunden lang, von
22 Uhr bis 23 Uhr 45. Das war vor dem Mord. Nach dem Mord wurden die
Kontakte erneut aufgenommen (2).

Die Befehlskette zwischen Parlament und dem Ortsfuehrer wurde also
erwiesenermassen um den Mord herum aktiviert. Die zweite
Gespraechsserie dauerte von 0 Uhr 10 bis 2 Uhr 30. (2) Unmittelbar
nach dem Mord wurde ausserdem Michaloliákos, der oberste Fuehrer,
dessen Befehl sich alle unterzuordnen haben, von dem Mord in Kenntnis
gesetzt. Wie aus den inzwischen umfangreichen Akten hervorgeht,
erhielt Michaloliákos tatsaechlich einen Anruf von Lagós (3), was
zuerst nur vermutet wurde, bzw. als sehr wahrscheinlich angenommen
worden war (2).

Es ging bei den Gespraechen, die zwischen Patélis und Lagós nach
Mitternacht stattfanden, unter anderem auch darum, dass man den Status
des festgenommenen Moerders Roupakiás´ als eines hochrangigen
Mitglieds der Ortsgruppe Níkaia vertuschen wollte. Ebenso versuchte
Roupakiás selbst zu verheimlichen, dass es sich um ein koordiniertes
Vorgehen einer Gruppe handelte: bei seiner Ersteinvernahme behauptete
er, er haette allein agiert und er haette zugestochen, weil er sich
gegen Physsas wehren haette muessen (2).

Aus den abgehoerten Gespraechen geht den Ermittlern zufolge klar
hervor, dass es sich um einen von Patélis und Lagós geplanten und
organisierten Angriff auf die Gruppe um Pavlos Physsas handelte. Die
Abhoerprotokolle umfassen 300 Seiten. Hier erfaehrt man, wie die
Strategie aussah. An der Aktion waren 13 – 14 Leute beteiligt – von
denen 8 verhaftet wurden (Zeitpunkt 2. Oktober). Zunaechst ging es
darum zu verhindern, dass die Gruppe um Pavlos Physsas zusammenblieb,
und um zu verhindern, dass die Freunde von Pavlos jeweils zu ihren
Autos gelangten, wurde jeder Einzelne von ihnen von 2 bis 3 Leuten
angegriffen.

In der Cafeteria selbst, in der sich Physsas und seine Freunde
befanden, waren zwei Leute von der Goldenen Morgendaemmerung postiert
gewesen, die ihre Wahrnehmungen dem Kommandanten des Sturmtrupps
weitergaben (2).

Gewalt seit zwei Jahrzehnten

In einer Zusammenstellung von Radio Bubble (4) ueber gewalttaetige
Uebergriffe der Goldenen Morgendaemmerung werden allein fuer den
Zeitraum ab 1990 bis Ende 2011 8 Angriffe speziell gegen politische
Organisationen der Linken aufgelistet, resp. deren Vertreter, daneben
10 Angriffe/Uebergriffe gegen SchuelerInnen, auch StudentInnen, dazu
MigrantInnen und einer gegen einen Musiker einer Band. Die letzten
eineinhalb Jahre sind da noch nicht erfasst. Im vergangenen Jahr
gingen die Angriffe gegen Vertreter der Linken, besonders aus Anlass
der Wahlen, mit grosser Haerte und Brutalitaet weiter.

Die kontinuierliche Gewalt dieser Faschisten erstreckt sich also
bereits ueber zweieinhalb Jahrzehnte. Zusaetzlich ist eine noch
groessere Anzahl von rassistischen Uebergriffen speziell gegen
MigrantInnen bekannt, bei denen die Urheberschaft der Chryssi Avgi
nicht festgestellt wurde, aber wahrscheinlich ist , oder zumindest in
einer Nachvollziehung/Nachahmung der Praxis der Goldenen
Morgendaemmerung besteht.

Ungeheuerlich ist der geschaetzte Gesamtumfang der Angriffe gegen
Migrantinnen, in erster Linie gegen Pakistanis. Laut Javed Aslam, dem
Vorsitzenden der Pakistanischen Gemeinschaft, habe es in den letzten 3
Jahren etwa 900 (!) Attacken auf Pakistanis gegeben. Und wie in
Lateinamerika gibt es auch schon hier das Verschwindenlassen. Mindest
100 MigrantInnen sollen verschollen sein.(s. u. (9))

Waffen- und Trainingslager

Die Funktion der Goldenen Morgendaemmerung geht weit ueber die
bekannte Gewaltserie der letzten Jahre hinaus . Diese Organisation hat
das Potential fuer einen grossflaechige Vernichtung der
Fundamentalopposition und fuer eine Umwandlung der Gesellschaft in
eine faschistische Diktatur mit Hilfe der Gewehrlaeufe geschaffen.
Wesentliche Erkenntnisse dazu finden sich auch im Abschlussbericht des
Athener Staatsanwaltes Charálambos Vourliótis (5).In ganz Attika sind
geheime Waffenlager der Goldenen Morgendaemmerung. Zeugen haben
ausgesagt, dass diese Waffen fuer das militaerische Training der
Mitglieder der Organisation verwendet werden. Die Orte, an den sich
diese Depots befinden, sind unbekannt. Die Trainingslager befinden
sich in der Naehe zweier kleinerer Orte in Attika: bei Malakasa, 38 km
noerdlich von Athen, bei Mandra westlich von Athen, sowie auf der
Insel Salamina (Salamís) , die zwei Kilometer vor Piraeus gelegen ist
(5). Auf dieser Insel befindet sich auch das Hauptquartier der
griechischen Militaerflotte (6). Das sind bloss einige der
Ausbildungslager der Region Attika, die in dem Vourliotis-Bericht
angefuehrt werden.

Ganz offen formuliert der Bericht, es handle sich um "eine
militaerische Struktur und Ausbildung, die sich nach der Ausbildung
der Streitkraefte richtet." (5).

"Ab den 90er Jahren", heisst es weiter, "wurde die Gruppe zu einer
politischen Kraft. Seit damals wird zwischen dem ‘operativen’ und dem
politischen Teil der Organisation unterschieden. Aufgabe der ersten
ist es, ausserhalb des rein politischen Bereichs mit Einsatz von
Gewalt gegen all diejenigen vorzugehen, die als Feinde der
Organisation gelten. In den Statuten der Goldenen Morgendaemmerung
wird diese Unterscheidung explizit festgeschrieben. Die beiden Teile
sind der Fuehrungsschicht und dem absoluten obersten Befehlshaber
untergeordnet, entsprechend dem Dogma des Fuehrerprinzips der Nazis.
Auch bei den kleinsten Aktionen ist die Entscheidung des Fuehrers
unantastbar und unwiderruflich." (5).

Die XA und der Staat

Aber er ist nicht der alleroberste Fuehrer! Zahlreich sind bereits die
dokumentierten Verbindungen der griechischen Neonazis zur Polizei, zur
Justiz, zum uebrigen Staatsapparat, insbesondere zur Nea Dimokratia,
aber auch zur Pasok (von der die XA (8) ebenfalls Zuschuesse fuer die
Wahlen bekommen hat (9)) und last but not least zu bedeutenden Teilen
des Grosskapitals und Teilen der Unternehmerschaft im allgemeinen –
was gesondert zu behandeln sein wird.

Die XA geht sowohl tief in die Geschichte zurueck, reicht aber auch
tief in die gegenwaertige Machtstruktur sowohl Griechenlands als auch
der EU hinein.

Nur kurz als Hinweis folgende Passage: "… Der Durchbruch gelang Chrysi
Avgi schliesslich, als die rechtsextreme Partei Orthodoxer Volksalarm
(LAOS) auf Vorschlag von EU-Vertretern in die Technokratenregierung
von Lukas Papadimos aufgenommen wurde. Mit diesem seit dem Ende der
Militaerjunta einmaligen Schritt wurden rechtsextreme Standpunkte
wieder hoffaehig gemacht.

Zugleich leitete die Regierungsbeteiligung den Zerfallsprozess der
bisher dominierenden rechtsextremen Partei ein. Chrysi Avgi wurde zur
staerksten rechtsextremen Kraft. Bei den Wahlen verpasste LAOS mit 1,6
Prozent den Wiedereinzug ins Parlament, waehrend Chrysi Avgi mit 6,9
Prozent 18 Mandate gewann.

Die Uebergaenge zwischen ND, LAOS und Chrysi Avgi sind fliessend und
es bestehen enge Verbindungen zwischen den drei Parteien.

LAOS selbst wurde im Jahr 2000 von einem ehemaligen ND-Mitglied
gegruendet und arbeitete von Anfang an eng mit Chrysi Avgi zusammen.
Erst als Diskussionen ueber Chrysi Avgis Eingliederung in LAOS in den
Jahren 2006 und 2007 fruchtlos blieben und LAOS schliesslich der
Regierungskoalition beitrat, wandte sich Chrysi Avgi gegen den
einstigen Partner und gewann in den folgenden Jahren viele seiner
Waehler und Mitglieder.

Einige LAOS-Mitglieder wechselten allerdings auch in die konservative
Regierungspartei ND. Prominente ND-Politiker wie der parlamentarische
Sprecher und Obristen-Anhaenger Makis Voridis oder der
Gesundheitsminister Andonis Grigoriadis kommen aus der rechtsextremen
Partei.

ND selbst hatte schon immer enge Verbindungen zur rechtsextremen
Kreisen und alten Obristen-Seilschaften. Ein bedeutender Teil ihrer
gegenwaertigen Fraktion hatte sich bereits in der Vergangenheit fuer
eine Allianz mit Chrysi Avgi ausgesprochen. Anfang des Jahres
versuchten 84 ND-Abgeordnete im Buendnis mit den Faschisten einen
rassistischen Gesetzesentwurf gegen die Regierungsmehrheit
durchzusetzen." (Chrysi Avgi und ihre Verbindungen zum griechischen
Staat, 9)

Die bekannten faschistischen Trainingslager bilden einen weiten Ring
um die Hauptstadt und placieren sich quasi im Kreis in der
bevoelkerungsreichste Region Griechenlands, Attika. Dazu berichtet ein
langjaehriges Chryssi-Avgí-Mitglied gegenueber der linksliberalen To
Vima: "Bei Chrysi Avgi haben wir eine ganze Militaerstruktur mit
mindestens 3.000 Leuten, die zu Allem bereit sind! Wir haben ungefaehr
50 Einheiten fuer Strassenkaempfe und nochmal so viele sechskoepfige
Kommandotruppen fuer organisierte Attacken, die von drei Mitgliedern
koordiniert werden" (9).

Die paramilitaerischen Strukturen der XA sind gewissermassen ein
Schattenheer. Der Tageszeitung To Vima beschrieb ein langjaehriges
XA-Mitglied: "Wir bekommen ein Sondertraining, auch mit Waffen, in den
Regionen Rafina, Parnitha, Fyli, Porto Germeno, Mani, Zentraleuboea
u.a.. Unsere Leiter sind Militaeroffiziere der Spezialeinheiten",
sagte er. "Ehemalige und gegenwaertig aktive Mitglieder der Kommandos
und der Spezialeinheiten sind unsere Ausbilder. Viele von denen, die
in den Kolonnen der Chrysi Avgi organisiert sind, kommen aus den
Spezialeinheiten der Armee." (9)
*Aug und Ohr* (bearb.)

***

(1) Siehe: AuO: Indymedia Deutschland, 18. 9. 2013
http://de.indymedia.org/2013/09/348674.shtml, und insbesondere:
http://de.indymedia.org/2013/09/348901.shtml

(2) Newsit, 29. 9. 2013,
http://www.newsit.gr/default.php?pname=Article&art_id=241746&catid=

Così è stato pianificato l’omicidio di Pavlos Fyssas, Atene Calling,
3. 10. 2013

Atene Calling ist eine der Gegeninformationsinitiativen, die am
schnellsten und relevantesten ueber Griechenland berichten. Hier
findet man zusammenfassend das Wesentlichste. Atene Calling fokussiert
auf Mechanismen der Macht und ist nahe an den Bewegungen.

(3) Alba Dorata nasconde delle armi pesanti, Atene Calling, 6. 10.
2013. Die Nachricht stammt vom Nachrichtenportal skai, Titel nicht
eruiert.

(4) #rbnews 3: Radio Bubble 28. 9. 2013,
http://news.radiobubble.gr/2013/09/rbnews-3.html

(5)To koutí tis pandóras, 29. 9. 2013, http://www.koutipandoras.gr/
Le conclusioni dell’inchiesta della Corte Suprema su Alba Dorata,
Atene Calling 1. 10. 2013

(6) "Salamis (Insel)", wikipedia deutsch.

(8) Wir kuerzen ab XA fuer Chryssí Avgí (oder Avjí, Awjí), die
Uebersetzung mit "Goldene Morgenroete" ist ein bisschen
widerspruechlich; es koennte auch "Goldener Morgenstrahl" heissen.

(9) Katerina Selin: Chrysi Avgi und ihre Verbindungen zum griechischen
Staat, WSWS, 11. Oktober 2013 (World Socialist Web Site, herausgegeben
vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI))
http://www.wsws.org/de/articles/2013/10/11/chry-o11.html



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