**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. Oktober 2013; 17:12
**********************************************************

Oe/Kultur/Menschenrechte::

> Theatertraum und -wirklichkeit

Eine Rede ueber kulturelle Utopien und privatisierte Gefaengnisse
*

Vom 11.-13.Oktober 2013 fand am Wiener Burgtheater ein Kongress zum
125jaehrigen Bestehen des Theaterhauses an der Ringstrasse statt. Der
Kongress trug den Titel "Von welchem Theater traeumen wir?" und nahm
sich unter anderem vor, das utopische Potenzial des Theaters heute
auszuloten. Es wurden zwar viele interessante gegenwaertige Themen
angesprochen. Die eklatanten Widersprueche der eigenen
institutionellen Realitaet, welche sich zum Beispiel aus Sponsoring &
Outsourcing Kooperationen mit globalen Unternehmen wie G4S, Novomatic,
Agrana und Casino Austria ergeben, wurden nicht thematisiert.

Aus diesem Grund versuchte ein Mann, der sich als
Billeteur-Angestellter vorstellte, am 12.10.2013 im Burgtheater kurz
vor Beginn einer der Veranstaltungen unangekuendigt, eine "utopische
Rede" zu diesem Thema zu halten. Doch von der Veranstaltungsleitung
wurde er verscheucht, da dies nicht der richtige Ort sei fuer seine
Rede.

Der verhinderte Redner stellte daraufhin ein Video von der
Unterbindung seines Auftritts ins Netz und veroeffentlichte dort auch
sein Manuskript, das eben so gar nicht in die Realitaet buergerlicher
Kulturvertraeumtheit passte:
*

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrtes Ensamble, sehr geehrte Direktion!

Herzlich willkommen in der Utopie Theater! [...] Ich arbeite
nebenberuflich seit zwei Jahren als Billeteur am Burgtheater. Ich
stehe hier, weil ich eine gewisse Dringlichkeit dafuer empfinde, dass
auf diesem Theaterkongress auch ueber die Welt der Arbeit vor der
Buehne erzaehlt wird.

Der Kongress wird in wenigen Minuten seinem geplanten Verlauf folgen.
Bis dahin bitte ich Sie herzlich um Ihre Aufmerksamkeit.

Ich bin einer von ca. 400 ArbeitnehmerInnen, die in den Wiener
Bundestheatern als Publikumsdienst arbeiten. Als erste sichtbare
Repraesentanten der Haeuser tragen wir essenziell zur Inszenierung des
Gesamtkunstwerks Theater bei. Gegenueber den Besucherinnen und
Besuchern inszenieren wir das, was architektonisch oesterreichisches
Nationaltheater, oesterreichische Hochkultur zu sein behauptet. Auch
wir sind Performer des Burgtheaters.

"Von welchem Theater traeumen wir?" ist das Thema des Kongresses zu
dem Sie heute hierher gekommen sind. "Von welchem Theater traeumen
wir?", das fragte ich mich auch, als ich mir vor einigen Monaten
bewusst wurde, dass ich in Wirklichkeit nicht fuer das Burgtheater
arbeite.

1996 naemlich gliederte die Bundestheater Holding den gesamten
Publikumsdienst der Wiener Bundestheater aus, an den groessten
Sicherheitsdienstleister der Welt. Wir performen also das Burgtheater,
sind aber eigentlich Security Angestellte.

Unser Arbeitgeber heisst G4S. Das steht fuer Group 4 Securior. G4S ist
ein daenisch-britisches Securityunternehmen mit Hauptsitz in
Grossbritannien. Es ist mit mehr als 600.000 Mitarbeitern der groesste

Arbeitgeber an der Englischen Boerse. Es agiert in mehr als 120
Laendern auf der Welt. G4S Oesterreich hat ca 3.000 MitarbeiterInnen
und ist in Oesterreich einer der Marktfuehrer in Outsourcing und
Security-Solutions. Das Dienstleistungsportfolio des Unternehmens ist
sehr umfangreich. Hier eine kleine Zusammenfassung:

G4S ist spezialisiert auf Outsourcing Solutions. Das heisst, es
profitiert von der Uebernahme ehemals oeffentlicher oder korporativer
Dienste. Es leitet und unterhaelt private Gefaengnisse in England und
den USA. Es organisiert Fluechtlingsheime, Abschiebegefaengisse und
Sozialhilfe-Zentren in Nordengland. Ausserdem kuemmert es sich um den
Schutz von Minen seltener Erden in Suedamerika und Afrika, es faehrt
Sicherheitstransporte, es sichert westliche Unternehmen in
Afghanistan, sichert Banken und Botschaften, Oelpipelines,
Atomkraftwerke und Flughaefen weltweit. Mitte September diesen Jahres
hat G4S Oesterreich einen 68 Millionen Euro Vertrag mit dem
oesterreichischen Staat unterschrieben. Das Unternehmen wird in den
naechsten 15 Jahren ein Abschiebegefaengnis in Vordernberg in der
Steiermark unterhalten und leiten.

G4S ist international in unzaehlige Kontroversen, Skandale und
Anklagen wegen Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des
Internationalen Rechts verwickelt.

Die Outsourcing Modelle des Unternehmens beruhen auf Kostensparung und
das heisst de facto: Personalkosten-Einsparung.

G4S wird von einer Vielzahl von NGOs weltweit dafuer angeprangert
schlecht ausgebildetes Personal stark unterbezahlt arbeiten zu lassen.
In den letzten 7 Jahren zaehlt die Research-Kooperative "Corporate
Watch" aus London, Proteste und Streiks gegen die
Unterbezahlungsstrategie des Unternehmens in Nepal, Sued Korea,
Namibia, Mozambique, Sued Afrika, dem Kongo, Israel, den USA, Kamerun,
Indonesien, Marokko, Panama, Griechenland. Und das sind nur die
dokumentierten Proteste.

2006 zahlte G4S in den USA erst unter gerichtlichem Druck, eine
Million Dollar Ueberstunden an seine Angestellte aus, die es seit 1995
einbehalten hatte.

2011 veroeffentliche G4S die Kampagne "Arbeitende Gefaengnisse,
arbeitende Menschen", um englische Unternehmer fuer Gefaengnisse als
Produktionsstaette zu begeistern. In den G4S-Gefaengnissen in England
arbeiten mehrere hundert Haeftlinge 40 Stunden die Woche. Die
Arbeitsstunden in den Gefaengnissen sind so guenstig und profitabel,
dass Arbeit an Bueromoebeln fuer das Unternehmen Norpro --
zwischenzeitlich in Indien hergestellt -- nun wieder in England
hergestellt werden.

2010 gingen Security-Angestellte -- meine Kollegen -- bei der
Abschiebung des Angolaners Jimmy Mubenga in London gegen dessen
Widerstand so aggressiv vor, dass dieser an Luftmangel erstickte.
Dieser Fall wird in England momentan vor Gericht verhandelt.

Aufzaehlungen von Kritiken und Kontroversen um den multinationalen
Konzern G4S liessen sich fast endlos fortsetzen.

Was, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben diese Fakten mit der
Theaterpraxis dieses Hauses zu tun?

Was bedeutet es fuer die Utopie oder Heterotopie Theater, dass eine
der renommiertesten kulturellen Institutionen dieses Landes schon seit
vielen Jahren unhinterfragt mit multinationalen Unternehmen wie G4S,
Novomatic, Agrana oder Casino Austria in einem Boot sitzen? Was sagen
uns diese Fakten ueber eine Politik, die diese Outsourcing-Praktiken
foerdert und forciert? Was bedeutet das alles fuer die
Glaubwuerdigkeit dieses Theaters?

Von welchem Theater traeumen wir?

Es ist dringend an der Zeit, dass sich das Burgtheater der
ungerechten, hierarchischen und unsolidarischen Arbeitsbedingungen am
eigenen Hause stellt. Es reicht nicht aus, sich mit pompoesen
Charityveranstaltungen wie dem "Lifeball" in der Oeffentlichkeit ein
gutes Image zu verschaffen. Es ist dringend an der Zeit, dass sich das
Burgtheater wieder um alle Menschen kuemmert, die zur Realisierung des
Gesamtkunstwerks Theaters beitragen!

Ich traeume von einem Burgtheater, dass sich gegen das Unternehmen G4S
positioniert. Ich traeume von einem Theater, dass sich gegen die
Politik stellt, welche Outsourcing, Privatisierung und damit wachsende
Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft foerdert.

Ich traeume von einem Theater, das sich gegen die Abschiebung von
Menschen wendet, die in anderen Teilen der Welt unterbezahlt und in
Elend die Produkte unseres Wohlstands herstellen.

Ich wuensche Ihnen in diesem Sinne, einen informativen und produktiven
restlichen Jubilaeumskongress! Vielen Dank fuer Ihre Aufmerksamkeit!

(Blog: http://burg4s.tumblr.com/ )
*

Die Site nachtkritik.de veroeffentlichte dazu folgende Erklaerung des
Burgtheaters:

"Wien, 14. Oktober 2013. Auf dem Jubilaeumskongress des Burgtheaters
nutzte ein Billeteur die offene Buehne, um eine Anklage gegen seinen
Arbeitgeber, die Firma G4S, vorzubringen, die den Publikumsdienst
stellt, seitdem 1996 diese Dienste aus Einsparungsgruenden vom
Bundestheaterverband ausgelagert werden mussten.

Er verteilte ein Flugblatt, in dem er faelschlicherweise das
Burgtheaterlogo verwendete, um auf die verzweigten Geschaefte der
weltweit agierenden Konzerne hinzuweisen, welche mit dem Burgtheater
in Zusammenhang zu bringen sind.

Die Direktion des Burgtheaters hat Sympathien mit allen, die in den
globalisierten Maerkten Gerechtigkeit suchen. Es ist uns bewusst, dass
mit dem Besuch einer Tankstelle oder eines Oberbekleidungsgeschaeftes
der aufgeklaerte Buerger in staendigen Gewissenskonflikt geraet. Nach
unseren Recherchen wurden die Geschaeftsgebaren der Sicherheitsfirma
in Oesterreich immer wieder als gesetzeskonform ueberprueft.

Die diensthabenden Kollegen des Billeteurs haben sich nicht mit seiner
Aussage solidarisiert."
*

Quellen der Vorwuerfe aus der Rede:
http://www.theguardian.com/uk-news/2013/aug/04/jimmy-mubenga-coroner-report-deportations
http://www.g4s.gg/en/Corporate/Who%20we%20are/History/
http://www.corporatewatch.org/?lid=337
http://publiceye.ch/de/vote/
http://www.g4s.gg/en/Corporate/Media%20Centre/News/2013/09/12/G4S%20wins%20groundbreaking%20Austrian%20Government%20contract/
http://www.waronwant.org/news/latest-news/17996-east-london-teachers-association-condemns-g4s-contract-with-israels-prison-system
http://www.irr.org.uk/news/g4s-and-housing-abuse-of-asylum-seekers-the-truth-emerges/#_edn6
http://www.burgtheater.at/Content.Node2/home/spielplan/Programm-125-Jahre.at.php
http://whoprofits.org/g4s_report
http://www.whoprofits.org/content/g4s-lost-its-tender-securing-european-parliament-brussels
http://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:118611-2012:TEXT:EN:HTML&src=0&tabId=0,
http://www.corporatewatch.org/?lid=4343



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
Blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
Facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
Mail: akin.redaktion@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin