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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Montag, 29. April 2013; 02:45
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USA:

> Demokratie in Zeiten des Defizits

In den USA werden die Staatsausgaben bis auf weiteres nach dem
Rasenmaeherprinzip gekuerzt. Das Spardiktat geht auf Kosten von
sozialer Gerechtigkeit und Demokratie.
(von Lotta Sutter, geklaut aus der WoZ)
*

Das Weisse Haus in Washington D.C, bleibt vorlaeufig geschlossen.
Zumindest fuer die Scharen von Touristlnnen, die auch diesen Sommer
einen Rundgang durch die Residenz des US-Praesidenten auf ihrem
Reiseprogramm hatten. Denn wie der Rest des Staatshaushalts ist auch
das Betriebsbudget des Weissen Hauses seit Anfang Maerz von pauschalen
Zwangskuerzungen, dem soge- nannten Sequester betroffen. Gespart
werden muss also auch beim Geheimdienst, der die Sicherheit der
Praesidentenfamilie angesichts der zahlreichen Besucherlnnen gewahrt.

Die republikanischen Kongressabgeordneten, die mit ihrer kategorischen
Ablehnung jeglicher Steuererhoehung den Budgetkonflikt in den USA
entfacht haben, sind nun ueber die Absetzung der beliebten "White
House Tours" entsetzt. Wenn Praesident Obama auf Golfpartien, Ferien
und aehnlich frivole Ausgaben verzichten wuerde, klagen sie, dann
koennte das Weisse Haus offen bleiben. Die Verweigerung des Zugangs zu
einer mit Steuergeldern finanzierten Institution sei willkuerlich und
ein Fehler.

Genauso funktioniert der Sequester aber auch im Rest der USA. Das
Spardiktat ist willkuerlich. Es dreht den von Steuerzahlerlnnen
finanzierten Projekten den Hahn zu. Und ja, es ist ein grosser Fehler.

Bildung als Lotterie

Da die Zwangskuerzungen erst vor sieben Wochen in Kraft traten, sind
die konkreten Auswirkungen bisher eher anekdotisch: das Ende der
besagten Besichtigungen im Weissen Haus, die angedrohte und dann
wieder aufgeschobene Schliessung von Kontrolltuermen auf bestimmten
Flugplaetzen. Weniger militaerische Flugschauen. Das kann eine
demokratische Gesellschaft wohl verkraften. Aber nicht, wie bereits
geschehen, die Abschiebung von krebskranken Patientlnnen, weil auch
Medicaid, die staatliche Krankenversicherung fiir die Armen, von den
Zwangskuerzungen betroffen ist.

Tausende von Lehrpersonen muessen im Herbst wegen fehlender
Bundessubventionen entlassen werden. Besonders gefaehrdet ist der
Spezialunterricht fur bildungsschwache Schuelerlnnen. Manche
Bildungseinrichtungen verkuerzen den Schultag oder verzichten auf
Sommerprogramme, um Geld zu sparen. Schaetzungsweise 70000
Vorschulkinder aus einkommensschwachen Familien koennen wegen des
Spardiktats das Foerderprogramm "Head Start" nicht besuchen. Im
Bundesstaat Indiana wurde mancherorts per Lotterie bestimmt, welche
Buben und Maedchen aus Kostengruenden weggeschickt werden. In einem
"Head Start»-Programm in Tampa, Florida, verzichten die
Erziehungspersonen bis auf weiteres auf ihren Pension skassen-
beitrag, um das Uberleben "ihrer" Scbule zu sichern.

Kurzarbeit beim Oeffentlichen Dienst

Da die Salaere von fast drei Millionen Staatsangestellten - vom
Nationalparkwaechter ueber die Steuerbeamtin bis zum
Fleischbeschauer - in den USA gesetzlich abgesichert sind, loest man
das Sparproblem in diesem Sektor vorab mit Kurzarbeit. Doch die
oeffentlichen Aufgaben werden deswegen nicht weniger- Sie werden in
Zukunft einfach langsamer, oberflaechlicher oder gar nicht mehr
erledigt - paradoxerweise gilt das selbst fiir die praesidiale
Finanzverwaltung (Office of Management and Budget), wo 480 Personen
auf Kurzarbeit gesetzt worden sind.

Grosse Auswirkungen haben die Ausgabenkuerzungen auf das Funktionieren
des Rechtsstaats. Praevention und Aufklaerung fallen der Sparwut als
Erstes zum Opfer. Justizminister Eric Holden setzt die verbliebenen
Mittel am Ende des Strafvollzugs ein: Er will wenigstens das
Aufsichtspersonal in den ueberfuellten Gefaengnissen beibehalten. Das
reicht wohl kaum. Denn die nun eingefuehrte Kurzarbeit der
PflichtverteidigerInnen, die gegenwaertig etwa 200000 Faelle pro Jahr
betreuen, wird die Zahl der Insassen in Untersuchungshaft
vergroessern. Und sie wird die ungleiche Rechtsbehandlung von reichen
und armen oder von weissen und schwarzen Angeklagten noch
verschaerfen.

Ein Sieg der Tea Party

Generell trifft der auf den ersten Blick politisch "blinde" Sequester
in erster Linie diejenigen Bevoelkerungsteile, die auf staatliche
Sozialleistungen angewiesen sind und die in den letzten beiden
Praesidentenwahlen mehrheitlich demokratisch gewaehlt haben.
Rechtskonservative Kreise sehen die aktuellen Zwangskuerzungen denn
auch als eine Art Abrechnung mit den "FalschwaehlerInnen", einer
Nation unter dem verhassten Praesidenten Obama darf es ganz einfach
nicht gut gehen. Auch deshalb feiert die erzkonservative
Tea-Party-Bewegung die erzwungene Defizitreduzierung als ihren ersten
grossen Sieg.

Gemaess Angaben des Weissen Hauses verlieren aufgrund der
Ausgabenkuerzungen schon dieses Jahr 125 000 Familien ihre
Mietbeihilfe und damit in vielen Faellen auch gleich ihren festen
Wohnsitz. Staatliche Programme fuer Obdachlose werden ebenfalls
gekuerzt; das betrifft etwa l.000.000 Menschen, viele davon
Kriegsveteranlnnen. 400.000 psychisch Kranke und Behinderte,
Erwachsene wie Kinder, werden keinen Zugang mehr zu kostenloser
ambulanter Behandlung haben. Manche werden nun in den
Notfallaufnahmen - oder im Gefaengnis landen.

Die Liste der Negativfolgen fuer die US-Gesellschaft wird mit jedem
Tag Zwangskuerzung laenger, insbesondere da die Angestellten bereits
im Januar 2013 mit einer Erhoehung der Sozialabgaben auf ihren Lohn im
Wert von insgesamt 120 Milliarden US-Dollar belastet wurden. Seit Marz
kommt nun das 85-Milliarden-Spardiktat dazu- Die Kaufkraft der
US-Bevoelkerung ist gesunken. Millionen von Arbeitsplaetzen sind
bedroht. Das fuer dieses Jahr prognostizierte Wirtschaftswachstum der
USA wird sich gemaess Schaetzungen des parlamentarischen
Haushaltsausschusses, des Congressional Budget Office, halbieren.

Demokratie oder Raeuberstaat?

Gleichzeitig nimmt die Polarisierung und Blockierung im bereits
dysfunktionalen US-amerikanischen Politsystem zu. Das zeigte sich auch
bei der juengsten Konfrontation ueber das Fiskaljahr 2014. Die
praesentierten Budgetvorschlaege der republikanischen und der
demokratischen Kongressabgeordneten waren Welten voneinander entfernt.
Diese ideologische Kluft vermochte auch der ewig kompromissbereite
Praesident Obama mit seinem eigenen Budgetentwurf nicht zu
ueberbruecken.

Hingegen begab sich Praesident Obama selber gefaehrlich nah an den
politischen Abgrund, als er der Gegenpartei Kuerzungen bei der
Altersvorsorge in Aussicht stellte, Auch wenn die geplanten
Einschnitte noch nicht dramatisch sind: Die Erhaltung der
Sozialversicherungen, die in den USA finanziell aeusserst gesund
dastehen und nichts zum Defizit beitragen, ist das Markenzeichen der
Demokra- tischen Partei, Es ist ihr Wahlschlager. Denn Social Security
(staatliche Pensionsversicherung) und Medicare (staatliche
Gesundheitskasse fur Pensionsberechtigte) sind bei der ansonsten eher
staatsfernen US-Bevoelkerung aeusserst populaer. Fuer die Haelfte
aller heute 55- bis 64-jaehrigen US-BuergerInnen besteht die
Altersvorsorge einzig aus der knapp bemessenen staatlichen Rente der
Social Security.

Wenn solches Geld vom Staat weggeschafft oder weggespart wird, um die
Reichen noch reicher zu machen, bedeutet dies das Ende einer durch
Defizite und Defizitbekaempfung schon arg geschwaechten Demokratie.
Und es waere der Sieg einer Regierungsform, bei der demokratische
Institutionen vollends in Ma- schinen zur privaten
Vermoegensanhaeufung und Machtsicherung verwandelt werden. Der Okonom
James Galbraith bezeichnet diesen Zustand als «Raeuberstaat».
(WOZ Nr.16 /18.04.2013)

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Der Sequester

Die US-Amerikanerlnnen kennen den Sequester (Zwangsverwaltung) als
staatliches Spardiktat: automatische lineare Ausgabenkuerzungen
angesichts von Budgetdefiziten. Die erste solche Massnahme trat 1986
unter Praesident Ronald Reagan in Kraft. Weitere, jedoch nur
kurzfristige Zwangskuerzungen gab es 1988, ebenfalls unter Reagan,
sowie 1990 und 1991 unter Praesident George Bush senior.

Der jetzige Sequester ist die bisher einschneidendste Ausgabenbremse
in der Budgetgeschichte der USA Der US-Kongress ist jederzeit befugt,
das "blinde" Zwangssparen aufzuheben und durch regulaere, politisch
ausgehandelte Budgetbeschluesse zu ersetzen. Doch wenn sich die
zerstrittenen Parteien nicht auf ein gemeinsames Haushaltsbudget
einigen koennen, gilt der aktuelle Sequester bis ins Jahr 2021 und der
Staatshaushalt der USA bleibt auf Autopilot geschaltet.



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