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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Februar 2013; 16:30
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Debatte/Antifa:

> Es besteht immer noch Redebedarf!

Die *Autonome Antifa Wien" will eine Nachbereitung der Mobilisierung und
Proteste gegen den Wiener Akademikerball 2013. Wir geben hier ihren
Diskussionsbeitrag stark gekuerzt wieder:

Am 1.2.2013 fand der erste Wiener Akademikerball in der Wiener Hofburg
statt. Der Akademikerball gilt als Neuauflage des Balls des Wiener
Korporationsrings (WKR) und ist somit ein Stelldichein von
Rechtspopulist_innen, Burschenschaftern und Neonazis. Seit 2011 wurde aber
versucht den Protesten eine andere Schlagseite zu geben. Der Fokus der
Kritik wurde weg von in der Hofburg feiernden Burschenschaften, hin zu einer
Kritik der gesellschaftlichen Verhaeltnisse, welche reaktionaere Ideologien
erst hervorbringen, verschoben.

Zu aller erst laesst sich festhalten, dass der WKR-Ball eine Gelegenheit
bietet, sogar in Wien eine groeszere Anzahl von Menschen auf die Strasze zu
bringen und linksradikale Kritik einer breiteren Oeffentlichkeit zugaenglich
zu machen. Die autonomen Proteste ab 2008 verfolgten zunaechst das Ziel
Burschenschaften im Allgemeinen und den WKR-Ball im Besonderen aus ihrem
ruhigen Umfeld gesellschaftlicher Akzeptanz auf die Buehne der medialen
Oeffentlichkeit zu zerren und zu skandalisieren. Das "unpolitische" Image
des Balls und seiner rechtsextremen Veranstalter_innen konnte nicht laenger
aufrecht erhalten werden. Der Bedeutungsverlust des Balls zeichnetet sich
nicht Zuletzt an den stark sinkenden Besucher_innenzahlen (von ca. 3.000 auf
800) am diesjaehrigen Akademikerball ab. Trotz der erfolgreichen
antifaschistischen Interventionen, muss linksradikale Kritik mehr sein, als
die Skandalisierung von in der Hofburg tanzenden Burschis. Um nicht nur als
militanter Arm der Zivilgesellschaft zu fungieren, wurde der Kritikfokus in
den letzten Jahren weg von den Burschis, hin zu einer allgemeinen Kritik
reaktionaerer Ideologien und deren gesellschaftlichen Bedingtheit,
verschoben. In diesem Kontext wollen wir uns auch von der Vorstellung
verabschieden, dasz Antifaschismus ein revolutionaeres Unterfangen sei.
Vielmehr verteidigt antifaschistische Praxis die buergerliche Gesellschaft
vor ihren eigenen Kreaturen. Dennoch ist und bleibt Antifaschismus
notwendig, um ueberhaupt erst die Voraussetzungen fuer eine radikale
Gesellschaftskritik und Praxis zu schaffen. Denn reaktionaere Ideologien
verunmoeglichen die Perspektive auf eine befreite Gesellschaft.

In den letzten Jahren bildeten sich neben dem linksradikalen und autonomen
NOWKR-Buendnis verschiedene andere Buendnisse und Initiativen heraus, die
sich aber grundlegend von der Ausrichtung der bisherigen Proteste
unterscheiden.

Der zivilgesellschaftlichen Initiative "Jetzt Zeichen setzen" geht es in
erster Linie um die Imagerettung der eigenen Nation. Sie wollen das gute,
das andere, das bessere Oesterreich hochhalten. Doch selbst das beste
Oesterreich bleibt immer noch Oesterreich. Ihre Kritik richtet sich nicht
einmal gegen die Burschenschaften als solche, sondern lediglich gegen die
Nutzung der Hofburg als symboltraechtigem Ort der Nation. Antifaschismus
verkommt hier zum Versuch, das Ansehen der Nation vor denen zu bewahren, die
in ihrer Liebe zu Volk und Nation uebers Ziel hinausschieszen. Auszerdem
bleibt buergerlicher, an den Staat appellierender Antifaschismus ein
schizophrenes Unterfangen. Waehrend man am Heldenplatz gegen
Rechtsextremismus auftritt und ein staatliches Vorgehen gegen diesen
fordert, stoert man sich nicht an der staatlichen Abschiebepraxis oder der
militaerischen Abschottung der europaeischen Auszengrenzen. Das verwundert
auch nicht, da "Jetzt Zeichen setzen" nichts gegen Staat und Nation
einzuwenden hat. Vor genau 20 Jahren gab es am Heldenplatz das "Lichtermeer
gegen Auslaenderfeindlichkeit". Der konkrete Stein des Anstoszes war damals
das Anti-Auslaendervolksbegehren der FPOe - auch damals ging es dem
buergerlichen Protest groszteils um die Imagerettung Oesterreichs. Waehrend
die SPOe den Protest unterstuetzte und Franz Loeschnak, der damals
amtierende Innenminister der SPOe, eine Kerze am Fenster seines Bueros
entzuendete, uebernahm die Regierung wenig spaeter wesentliche Punkte aus
dem Anti-Auslaendervolksbegehren der FPOe fuer die restriktive Asylpolitik
Oesterreichs.

Bereits im Vorfeld des 1. Februars gab es von Seiten der Polizei und Teilen
der buergerlichen Medien Stimmungsmache und Kriminalisierungsversuche gegen
die antifaschistischen Proteste. Die "groesztmoegliche Eskalation" wurde
herbeiphantasiert und vor den anarchistischen Horden aus Deutschland
gewarnt. Nach den Demonstrationen stellte die FPOe ein Video online, in dem
zu sehen ist wie Ballgaeste beschimpft und bespuckt werden. Erschreckender
als das Video war die Reaktion darauf - auch von Teilen der Linken.
Gleichzeitig verlor niemand ein Wort ueber die Uebergriffe von Neonazis, die
in der selben Nacht zwei Aktivist_innen krankenhausreif schlugen. Ziel der
radikalen Linken kann aber nicht sein, die Gewaltdiskussion ueberhaupt auf
diese Weise zu fuehren, sondern den Diskurs ueber Gewalt an sich als Moment
buergerlicher Ideologie zu dechiffrieren. Gewalt wird nicht als diese
Gesellschaft grundlegend strukturierendes Moment wahrgenommen, sondern immer
nur als der ihr aeuszerliche Skandal. Strukturelle Gewalt in Form von
rassistischer Asylpolitik, vom Zwang zur Lohnarbeit und von der
gesellschaftlichen Unterdrueckung der Frau, bildet den blinden Fleck des
buergerlichen Gewaltbegriffs. In der buergerlichen Ideologie wird lediglich
diejenige Gewalt als solche benannt, die die Verkehrsformen kapitalistischer
Vergesellschaftung beeintraechtigt, waehrend sie sich notwendigerweise auf
andere stuetzt.

Die diesjaehrige Mobilisierung gegen den Wiener Akademikerball startete
bereits Ende November mit einer fuenfteiligen Vortragsreihe unter dem Motto
"Nein, wir lieben dieses Land und seine Leute nicht!" und war durchwegs gut
besucht. Es folgte ein umfassender Aufruftext um im Zuge der
diesjaehrigen .umsGanze!-Kampagne rassistische und antifeministische
(Krisen-)Ideologien theoretisch aufzuschluesseln und anzugreifen. Mindestens
2000 Personen beteiligten sich am kraftvollen und entschlossenen
Demonstrationszug vom Europaplatz zum Heldentor, wo die Versammlung
aufgeloest wurde. Das anschlieszend verfolgte Kleingruppen und
Blockadekonzept war ebenfalls erfolgreich. Die Aktionsform des blackblock
stellte sich aber nicht nur aus repressionstechnischen Gruenden als sinnvoll
heraus, sondern erschien den meisten Journalist_innen auch als die
attraktivere Fotovorlage. Unsere inhaltliche Kritik hingegen konnte leider
nur punktuell in den Medien untergebracht werden. Positiv sticht hier unser
Interview im Standard hervor. Dass man sich mit linksradikaler Politik aber
nicht viele Freund_innen macht, hat uns letzten Endes kaum verwundert.
Schlieszlich geht es ihr nicht um ein konstruktives Mitmachen, sondern um
die Negation des falschen Ganzen. Eine vernuenftige Veraenderung der
bestehenden Verhaeltnisse steht momentan zwar nicht auf der Tagesordnung und
auch der Weg dahin ist bekanntlich keineswegs klar. Die Suche nach dem
Notausgang kann aber nur in antikapitalistischer Kritik und Praxis liegen.
Der Ausbruch braucht nicht nur Eventhopping, sondern vor allem Kontinuitaet
und Organisierung.
(stark gekuerzt)


Volltext:
http://antifaw.blogsport.de/2013/02/24/es-besteht-immer-noch-redebedarf-nachbereitung-der-mobilisierung-und-proteste-gegen-den-wiener-akademikerball-2013/




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