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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. Dezember 2012; 02:21
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Debatten/KPOe

> Willkommen im Kalten Krieg

Profil, Presse, Standard, Oe1 -- ein Rundblick ueber die
Wiedererweckung McCarthys im politischen Feuilleton Oesterreichs

Kommunisten sind wie Nazis -- zwar mit netteren Theorien, aber in der
Praxis das Gleiche. So koennte man einige massenmediale Kommentare der
letzten zwei Wochen zusammenfassen. Waren die ersten Reaktionen im
Blaetterwald auf den Erfolg der KPOe noch recht milde, wueteten jetzt
die Verfolger unoesterreichischer Umtriebe aber ganz gewaltig. Und das
in jenen Publikationen, die sich als Qualitaetsmedien verstehen.
Beispiele gefaellig?

Christian Rainer ("profil online", 3.12.) ueber die KPOe: "Es draengt
sich zunaechst ein Vergleich -- nicht eine Gegenrechnung -- mit dem
Nationalsozialismus auf." Rainer stellt dann zwar fest, dass die
Ideologie der Nazis halt nicht ganz so menschenfreundlich wie die der
Kommunisten gewesen waere, aber Stalins Verbrechen haette es ja doch
gegeben. Und daher resuemmiert der profil-Herausgeber: "Darf ein
entsprechend reflektierender Mensch kommunistisch waehlen? Nein,
sollte er nicht. Der Kommunismus ist irreversibel belastet durch eine
verbrecherische Realitaet. Sich von dieser tauglich zu distanzieren
erscheint unmoeglich angesichts des Gewichts dieser Geschichte und
aufgrund der ontologischen Naehe von Ideologie und Verbrechen."

Christian Ortner in der "Presse" (30.11.) wird gleich noch deutlicher
in seinen Vergleichen: "Nehmen wir einmal an, in Graz waere eine
"Nationale Sozialistische Demokratische Arbeiterpartei" (NSDAP),
angefuehrt von einer Parteichefin, die stolz von sich behauptet,
,Faschistin zu sein', am vergangenen Sonntag zur Gemeinderatswahl
angetreten und haette 20 Prozent der Stimmen errungen. ...
Oesterreichs versammelte zu spaet gekommene Widerstandskaempfer
wuerden die unmittelbar bevorstehende Machtuebernahme durch die
Neonazis herbeiraunen. ... Nun hat die Grazer Wahl bekanntlich keine
rechtsextreme Partei gewonnen, sondern die ,Kommunistische Partei'.
Das ist zwar nicht viel besser, regt aber interessanterweise fast
niemanden auf." Doch die "Tarnung" der KPOe "als blosse Lobby von
Mieterinteressen" waere nicht sonderlich glaubwuerdig, so Ortner. Und
schliesst: "Dass die Erinnerung an die Verbrechen des
Nationalsozialismus bis heute vom Staat wachgehalten wird, ist
vernuenftig. Das Grazer Wahlergebnis aber kann man auch als Hinweis
darauf deuten, wie dringend notwendig es waere, die Verbrechen des
Kommunismus nicht einfach dem grossen Vergessen anheimfallen zu
lassen. Sonst glauben die kommenden Generationen, Stalin waere ein
Pionier des Mieterschutzes gewesen."

Und auch der "Standard" (7.12.) laesst Peter Ulram -- allerdings im
"Kommentar der Anderen" -- diesen Vergleich ziehen. Denn Ulram meint,
die Kommunisten koennten sich nicht darauf ausreden, dass die Idee des
Kommunismus in der Sowjetunion oder in China nicht richtig ausgefuehrt
worden sei. Denn: "Nach 1945 hat es bei den frueheren Anhaengern eines
anderen totalitaeren und massenmoerderischen Regimes uebrigens ein
wortgleiches Argument gegeben: ,Der Nationalsozialismus war eine gute
Idee, die nur schlecht ausgefuehrt wurde.'"

Dieser platte Antikommunismus des Gleichsetzens von "Extremismen"
kommt einem aber auch an medialen Orten in die Quere, wo man nun
wirklich nicht mit ihnen gerechnet hat. Oe1 brachte letzten Samstag
zum 100.Geburtstag Jura Soyfers in der "Hoerspiel-Galerie" das Stueck
"Astoria" in einer Inszenierung von 1979. Da musste man sich in der --
wohlgemerkt: aktuell eingesprochenen -- Einleitung Folgendes anhoeren:
"Soyfer, wohl bedeutendster und zweifellos literarischster Kopf des
antifaschistischen Kabaretts der 30er-Jahre -- damals durfte man den
Ausdruck ,antifaschistisch' noch guten Gewissens gebrauchen -- kam mit
nicht einmal 27 Jahren ... im KZ Buchenwald ums Leben." Wie dieser
Schlenker zum Begriff "antifaschistisch" zu verstehen ist, macht der
Sprecher in einer weiteren Bemerkung klar: "Dass der ueberzeugte
Marxist und Radikaloppositionelle gegen den Staendestaat, nachmals zur
Ikone erstarrt, ideologisch vom Linksfaschismus missbraucht worden
ist, kann man ihm nun nicht anlasten."

Ein Gespenst geht um

Sind wir also wieder im Kalten Krieg, nur weil die KPOe in Graz 20%
der Stimmen fuer sich errungen hat? Oder geht es darum, mittels der
alten Tante Antikommunismus wieder ein bisserl mehr Publikum zu
bekommen? Oder ... nein, das kann doch wohl nicht sein ... fuerchten
sich da manche Kommentatoren gar wirklich vor dem Gespenst, das da
umgehen koennte in Oesterreich?

Die "Bedrohung" ist eingrenzbar. Die Chancen fuer die KPOe, wieder
bundesweit zu punkten, sind miserabel. Allerdings veroeffentlichte
"Oesterreich" am 1.Dezember eine Gallup-Umfrage, wonach 4% der
Bevoelkerung KPOe waehlen wuerden, wenn jetzt Nationalratswahlen
waeren -- wodurch 7 kommunistische Mandatare ins Parlament einziehen
wuerden. Nun sind 1) solche Umfragen bekanntermassen generell nicht
sehr serioes und 2) bei einem Sample von 400 schon gar nicht und 3)
sind jetzt eben keine Nationalratswahlen -- die KPOe ist derzeit
(neben Stronach) DER Hype und daher steht sie gerade jetzt auch so gut
in der Erhebung da. Doch solche Umfragen haben insofern Bedeutung, als
dass sie etwas darueber aussagen, was die Umfrager fuer moeglich
halten -- und damit natuerlich auch auf die Rezipienten projizieren.
Denn wann war die KPOe in den letzten Jahrzehnten in solchen Umfragen
anders rubriziert als unter "Sonstige"? Offensichtlich wird das
Gespenst wieder ernstgenommen -- deswegen auch diese seltsamen
Kommentare.

Vergangenheitsbewaeltigung

Jetzt hat die KPOe -- auch wenn sie sich wirklich glaubwuerdig vom
Stalinismus distanziert hat -- natuerlich diese ungute Geschichte der
absoluten Moskautreue und Stalinverehrung ueber Jahrzehnte hinweg.
Voellig richtig! Und diese Partei wird sich auch in Zukunft immer
wieder mit dieser Geschichte auseinandersetzen muessen -- eine letzte
Absolution und danach das Vergessen wird nicht moeglich sein. Nur hat
man bei der KPOe nicht das Gefuehl, sie wuerde ihre Geschichte
verdraengen. Von welcher Partei in Oesterreich kann man das noch
sagen? Denn es ist ja nicht so, dass die Parlamentsparteien
geschichtlich alle eine lupenreine Weste haben. Am besten kommt da
noch die Sozialdemokratie weg. Die hatte zwar ein paar seltsame
Figuren wie etwa Renner oder Olah, doch kann man ihr (zumindest in
Oesterreich) keine echten Verbrechen unterstellen -- wenn man beim
geringsten Windstoss einknickt, hat man eben auch nicht die Statur, um
wirklich etwas Grausliches anzustellen. Die OeVP hingegen verehrt
immer noch ihren Dollfuss und bestimmte Kreise dieser Partei haetten
wohl nicht einmal Probleme, das Haus Habsburg wieder mit der
Erzherzogskrone zu betrauen. Von der FPOe, ihren diversen Abspaltungen
und Abverkaufsparteien brauchen wir da mal gar nicht reden. Die
Gruenen sind als Partei noch nicht so alt, dass sie eine befleckte
Vergangenheit haben koennten -- aber haben die sich jemals ernsthaft
mit der allerdings teilweise sehr braun eingefaerbten fruehen
Umweltbewegung auseinandergesetzt, auf die sie sich so gern berufen?

Die heutige SPOe ist nicht die Partei der Renners und Olahs. Die
Gruenen werden heute nicht mehr alles fuer gut halten, was ein Konrad
Lorenz oder ein Otto Koenig einst verzapft haben. Und selbst die OeVP
ist nicht mehr die eines Dollfuss oder Seipel. Und auch Strache ist
nicht Hitler. So zumindest ist der common sense. Aber die KPOe ist
immer noch die Partei Stalins.

In der Presse erschien auf Ortners Pamphlet uebrigens ein recht
wuetender Leserbrief von Michel Reimon, gruener Landtagsabgeordnete im
Burgenland. Reimon schreibt: "Herr Ortner ist ein intellektuelles
Wrack, sich ueber ihn aufzuregen, lohnt sich nicht. Aber wie kann so
was in dieser Zeitung in Druck gehen? Lesen die Gastkommentare nur
noch Praktikanten? Entschuldigt euch gefaelligst bei Elke Kahr."

Dem kann man sich nur anschliessen. Aber entschuldigen werden sie sich
wohl alle nicht.

*Bernhard Redl*

*

> Darf man KPOe waehlen, Christian Rainer?

(Zu den Beitraegen zur KPOe von Rainer und Christa Zoechling im
profil)

Mir ist die Gleichsetzung von Stalinismus mit Kommunismus oder gar mit
Marxismus unverstaendlich, genauso wie sich auch CIA/Pinochet und
Christentum oder gar Bergpredigt diametral widersprechen.

Christa Zoechling erwaehnt kurz die Passage aus Walter Baiers Buch, wo
er meint, dass ja auch dem Christentum die Morde der Inquisition nicht
vorgeworfen wuerden. Dieser Hinweis verdient meiner Meinung nach
jedoch mehr Beachtung: Was die roem. kath. Kirche alles verbrochen,
vertuscht und geduldet hat, erfahren wir heute an Hand der sog.
Missbrauchsfaelle nur ansatzweise. Niemand jedoch wuerde die
Bergpredigt oder die Evangelien, das "Programm" des Christentums
dafuer verurteilen oder verantwortlich machen.

Der unermessliche Reichtum des christlichen Abendlandes fuehrt nicht
dazu, die Hungrigen und Duerstenden, die Obdachlosen und Sterbenden in
aller Welt zu unterstuetzen. Millionen verhungernder Kinder ruetteln
die Konrads, Treichls und Ackermanns samt ihren Aktionaere und
Vasallen in den Finanzministerien nicht soweit auf, dass sie die
Entwicklungshilfe erhoehen oder Medizinpatente aufheben. Es gibt viele
Arten, Menschen zu Tode zu bringen. Nur wenige davon sind gesetzlich
verboten.

Die dem Marxismus anhaftende Ablehnung des "Klassenfeindes", der die
Entwicklung des Sozialismus gefaehrdet und das damit begruendete
Verbot von Privatbesitz an Produktionsmitteln, zeigt sich heute
angesichts der Zerstoerung sozialer und oekologischer Errungenschaften
durch die Umsetzung der neoliberalen Wirtschaftstheorien als durchaus
berechtigt. Und dass die damaligen Industriellen den Vormarsch der
Nazis finanziell unterstuetzten oder gar erst moeglich machten, laesst
sich nicht leugnen.

Dass dies alles keine Entschuldigung fuer den Missbrauch des Marxismus
und des Kommunismus als Legitimation fuer unsagbare Verbrechen ist,
sollte klar sein, aber die differenzierte und selbstkritische
Wahrnehmung derzeitiger Verbrechen, sollte dadurch nicht verwischt
werden.

*Robert Reischer*

(Gek., Volltext:
http://akinmagazin.wordpress.com/2012/12/04/leserbrief-darf-man-kpo-wahlen-christian-rainer/)

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Zitate aus:
Rainer: http://www.profil.at/articles/1248/568/347594/
Zoechling: http://www.profil.at/articles/1249/560/347756/
Ortner: http://diepresse.com/home/meinung/1318522
Ulram: http://derstandard.at/1353208463306
Reimon: http://diepresse.com/home/meinung/1320963



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