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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. Dezember 2012; 02:05
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> Wenn Neonazis zu Opfern werden

Grazer Wiederbetaetigungsprozess zu Ende

Mit fuenf Verurteilungen und fuenf Freispruechen, neun davon nicht
rechtskraeftig, endete am 5.12. der Prozess wegen NS-Wiederbetaetigung
in Graz. Schuldsprueche gab es fuer Naziparolen und Radls
Propagandataetigkeit. Straflos, jedenfalls in diesem Verfahren, blieb
der Neonazi-Auftritt im Lokal "Zeppelin".

Zu 24 Monaten Haft, davon 8 Monate unbedingt, wurde Franz Radl
verurteilt. Die Geschworenen sahen es als erwiesen an, dass er die
Webseite honsik.com mit ihren holocaustleugnenden Texten betreut und
gestaltet hatte.

Sein Anwalt hatte argumentiert, Radls Neonazismus sei rein privater
Natur, strafrechtlich Relevantes habe er nicht getan. Seine Taetigkeit
fuer Honsik entspringe nicht dem Beduerfnis, NS-Propaganda zu
betreiben, sondern sei nur eine Unterstuetzung fuer seinen Freund, der
aus Radls Sicht unschuldig verfolgt werde. Radls Verhalten habe seine
Wurzel in dessen eigenen boesen Erfahrungen mit der oesterreichischen
Justiz. Aus einem ueberzeugten und skrupellosen Neonazi wurde so flugs
ein traumatisierter Verfolgter.

Diese unertraegliche Selbstdarstellung als Opfer zog sich durch Radls
gesamtes Auftreten. Da stand einer, der seine rechte Karriere damit
begonnen hatte, Jugendlichen in seiner Zeitschrift Sportpistolen
anzubieten, damit sie auf MigrantInnen schiessen konnten[1]; einer,
der seit Jahren einen schon fast pathologischen Antisemitismus
verbreitet und der in der Oststeiermark die jugendliche Neonazi-Szene
um sich sammelt; der auf Flugblaettern gegen MigrantInnen und ihren
angeblichen Helfershelfer, den SPOe-Buergermeister in Feldbach hetzte,
damit andere handfesten Terror praktizieren konnten; der alles daran
setzt, um dem Gedankengut des von ihm uneingeschraenkt verehrten
"Reichsfuehrers" wieder eine Basis zu verschaffen. Dieser Radl
praesentierte sich vor Gericht als Maertyrer, der halt ein bisserl
anders denkt als die meisten und dafuer gern auch eine lebenslange
Haftstrafe bekommen haette, wie er deklamierte. Am Schluss wurde sein
Auftritt schliesslich nur noch laecherlich, als er sich nach dem
Urteil an die Geschworenen mit einem "Ich verzeihe Ihnen" wandte.

Liendl: "6 Millionen? Haha."

Ein weiterer Schuldspruch betraf Markus Liendl fuer Beitraege auf
MySpace unter dem Pseudonym "MeXX" , wo er 2009 anlaesslich des
Prozesses gegen Gerd Honsik mehrmals postete: "Freispruch fuer Gerd
Honsik! Wo sind eure Beweise fuer eure Behauptung? 6 Millionen? Haha."
Vom Vorwurf, sich im Lokal "Zeppelin" nationalsozialistisch betaetigt
zu haben, wurde er wie alle anderen auch freigesprochen. Ebensowenig
verurteilten ihn die Geschworenen fuer Klebekationen in der
Oststeiermark, bei denen Honsiks Webseite beworben wurde. Ein Schueler
aus Wien, der auch freigesprochen wurde (was ausnahmsweise
nachvollziehbar war), hatte anfangs ausgesagt, die Pickerl von Liendl
und Taschner bekommen zu haben. Wenig spaeter wusste er aber auf
einmal nicht mehr so genau, welche Aufkleber die beiden ihm wirklich
gegeben hatten. Fuer die Holocaustleugnung im Web erhielt Liendl 8
Monate bedingt.

Neonazismus beim Public Viewing verurteilt

Ebenfalls bedingte Haftstrafen erhielten Christoph Schober (8 Monate),
Christoph Gornik (3 Monate)und Richard Pfingstl (1 Jahr) fuer die
neonazistischen Parolen beim Public Viewing waehrend des
Fussballspiels Ghana-Deutschland im Juni 2010. Bei diesem Vorfall war
ein Mitarbeiter der Gruenen vom Fussball-Hooligan Hans-Peter Auer
schwer verletzt worden. Die Beschuldigten und ihre Anwaelte hatten
waehrend des ganzen Prozesses argumentiert, diese Sprechchoere seien
keine Wiederbetaetigung, sondern nur das uebliche Herumschreien am
Fussballplatz gewesen.

Dem folgten die Geschworenen nicht: Slogans wie "SS, SA, wir sind
wieder da!" oder "SS SS es eskaliert" verstossen gegen das
Verbotsgesetz. Auer, der im Prozess wegen Koerperverletzung zu drei
Jahren Haft verurteilt worden war, hingegen entging einer Verurteilung
wegen Wiederbetaetigung.

Straflos: Neonazi-Attacke im Unilokal

Stefan und Christian Juritz sowie Gerhard Taschner wurden
freigesprochen. Fuer die massiven Gewaltattacken gegenueber der
feiernden Geburtstagsgesellschaft waren in einem Verfahren Anfang 2012
fuenf Beschuldigte, naemlich Gornik, Schober, Pfingstl, aber auch
Taschner und Christian Juritz bereits verurteilt worden. Stefan Juritz
und Markus Liendl wurden freigesprochen, nachdem sie ueberraschend
AlibizeugInnen aufgetrieben hatten. Die anderen erhielten unbedingte
Haftstrafen zwischen 18 Monaten und drei Jahren: dafuer, dass sie
einen jungen Mann, als er bereits bewusstlos am Boden lag, immer
wieder gegen den Kopf und ins Gesicht getreten und andere Gaeste, die
zu Hilfe kommen wollten, verletzt hatten.

Doch fuer das, was diesem Blutrausch vorangegangen war - die
Hitlergruesse, das Absingen des Horst-Wessel-Liedes ("Die Reihen dicht
geschlossen - SA marschiert") - dafuer wurde im jetzigen Verfahren
kein einziger der Beteiligten verurteilt. Der Staatsanwalt
argumentierte in seinem Plaedoyer, die Aktion im "Zeppelin" sei der
"wiedergekehrte Terror aus SA-Zeiten". Die Beschuldigten wuerden nicht
fuer Gesinnungen bestraft, sondern ihr Nationalsozialismus knuepfe an
Taten an. Ihre Gewalt zeige, dass sie ihre Propaganda auch "so
meinen". "Glauben Sie, die haetten von selbst aufgehoert zu treten?"

Doch die Verteidigung hielt dem entgegen, dass die ZeugInnen keinem
ihrer Mandanten direkt etwas zuschreiben konnten. Wie auch, wenn eine
Gruppe, die mensch nicht kennt, auf einmal losschlaegt! Natuerlich
waren die attackierten Geburtstagsgaeste nicht in der Lage genau
anzugeben: Ja, der Herr XY hat den Hitlergruss gemacht, der da hat
mitgesungen, der nicht... Sie konnten nur sagen, was passiert und wer
dabei gewesen war.

Einige AnwaeltInnen und Beschuldigte stellten ueberhaupt die
Glaubwuerdigkeit der ZeugInnen in Frage. Dass nicht alle im "Zeppelin"
Anwesenden die NS-Parolen bzw. das Lied gehoert hatten, war fuer sie
der Anlass zu unterstellen, dass es so etwas ueberhaupt nicht gegeben
hatte. Die ZeugInnen, die den Hitlergruss oder das SA-Lied bestaetigt
hatten, wuerden sich entweder irren oder haetten eine "besondere"
Motivation, die Beschuldigten faelschlich zu belasten, weil die
politisch rechts stuenden: ein "besonderes Interesse, vermeintliche
Neonazis zu beschuldigen", wie es der Anwalt von Gornik formulierte.
Dahinter stuende "politische Feindseligkeit", mutmasste etwa Pfingstl.
Schober warf den Opfern ein "uebersteigertes Vergeltungsbeduerfnis"
vor, um ihre "ueberzogenen Schmerzensgeldforderungen" zu
rechtfertigen.

Es war unklar, ob die Geschworenen nun den Verschwoerungstheorien der
Angeklagten glaubten oder ob sie einfach vor dem Problem standen, dass
die Naziaeusserungen keinen Einzelpersonen zugeordnet werden konnten.
Das Ergebnis ist, dass ein Auftritt im Stil der SA fuer die Akteure
folgenlos bleibt, nicht was die Koerperverletzungen angeht, aber was
die neonazistische Manifestation betrifft.

"Halbjugendliche" Familiengruender und Haeuselbauer

Die Beschuldigten praesentierten sich in ihren letzten Auftritten vor
allem wie schon Radl als Opfer: Pfingstl ortete einen "politischen
Angriff gestartet mit Hilfe einer 10%-Partei und willfaehriger
Medien". Ausgerechnet Schober, der Poster auf alpen-donau.info,
beschwerte sich ueber "linksextreme Hetzartikel" im Internet. Dabei
arbeite er doch, bezahle Steuern, wolle ein Haus bauen und eine
Familie gruenden.

Den Gipfelpunkt an Selbstverleugnung lieferte allerdings wiedermal
Gerhard Taschner: Keine Rede war mehr vom "politischen Soldaten" und
leidenschaftlichen Neonazi, als der er sich auf MySpace vorstellte. Er
mutierte zum gelaeuterten Bittsteller, der niemals etwas mit
menschenverachtender Propaganda zu tun gehabt habe und nur mehr den
Wunsch habe, ein braver Familienvater zu werden. Seine
Neonazi-Aktivitaeten habe er als "Halbjugendlicher" gesetzt, das sei
aber vorbei. "Halbjugendlich" mit ueber 30 Jahren, offenbar haben
Neonazis eine sehr lang andauernde Jugend, wenn sie sich vor Gericht
verantworten muessen. Sein Hauptargument war allerdings, dass seine
Frau - die er mitgebracht hatte - ein Kind erwarte, und er daher doch
bitte eine zweite Chance verdiene. Ausgerechnet ein Taschner, der seit
Jahren zum harten Kern der Neonazi-Szene zaehlt, und der als
bevorzugte Musik im Internet einen Liedermacher nannte, der den
Massenmord an juedischen Maennern, Frauen und Kindern bejubelte -
ausgerechnet dieser Taschner benutzte sein eigenes kuenftiges Kind, um
Milde zu erbitten.
(Mayday Graz/gek.)

Quelle:
http://maydaygraz.wordpress.com/rechtsextremismus-dokumentiert/oststeiermark-connection/
201212-wenn-neonazis-zu-opfern-werden-grazer-wiederbetatigungsprozess-zu-ende/


[1] Die von Radl herausgegebene Zeitung "Gaeck" richtete sich Anfang
der 90er Jahre an Jugendliche u.a. mit Texten wie: " Nur das Beste
fuer unsere Auslaender! Sportpistole Hermann Goering trifft jeden
Turban auf 30 Meter Entfernung, wird mit Dum-Dum-Geschossen geladen
und gehoert in jeden Schulranzen."



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