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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 27. November 2012; 21:18
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Kapitalismus:

> Das lukratives Geschaeft mit Investitionsschutzabkommen

Internationale Anwaltselite verdient Millionen mit Klagen gegen
Staaten

Eine kleine Gruppe von internationalen Anwaltskanzleien,
Schiedsrichtern und Spekulanten schuert weltweit eine Welle
internationaler Investitions-Schiedsverfahren. Diese kosten
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Milliarden und verhindern Gesetze
zum Schutz des Allgemeinwohls, so eine neue Studie des Transnational
Institute und des Corporate Europe Observatory.

Die Untersuchung "Profiting from Injustice" ("Profit aus Un-Recht")
deckt eine florierende Rechtsbranche auf, die auf Kosten von
Steuerzahlern, Umweltschutz und Menschenrechten die Interessen
multinationaler Konzerne vertritt. Anwaltskanzleien und
Schiedsrichter, die mit Investitionsklagen gegen Regierungen Millionen
verdienen, treiben aktiv die Zahl der Klagen in die Hoehe [1] und
lobbyieren gegen Reformen im oeffentlichen Interesse.

Zu den laufenden Klagen von Investoren gegen Staaten gehoeren die des
Tabakkonzerns Philip Morris gegen Uruguay und Australien wegen
Gesundheitswarnungen auf Zigarettenschachteln sowie die US$3,7
Milliarden-Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen den
deutschen Atomausstieg.

Die 76 Seiten lange Studie beschreibt die juengste Hochkonjunktur der
internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, die urspruenglich
fuer Faelle von direkter Enteignung gedacht war. Im Jahr 2011 gab es
450 bekannte Investor-Staat-Klagen, gegenueber 38 im Jahr 1996.[2]
Anwalts- und Prozesskosten betragen im Durchschnitt mehr als 8
Millionen Dollar pro Streitfall, in manchen Faellen bei ueber
Millionen Dollar.[3]

Die Branche wird von einer kleinen Gruppe von Anwaltskanzleien [4] und
fuehrenden Schiedsrichtern [5] aus dem Norden beherrscht. Drei
Kanzleien - Freshfields (GB), White & Case (US) und King & Spalding
(US) - geben an, alleine 2011 an 130 Investor-Staat-Klagen beteiligt
gewesen zu sein. Fuenfzehn Schiedsrichter - die "innere Mafia" - haben
55% aller bekannten Klagen entschieden.

Viele Schiedsrichter fungieren parallel als Anwaelte der
Streitparteien und arbeiten an Hochschulen, fuer Regierungen, als
Lobbyisten und Medien-Kommentatoren. Manche haben enge persoenliche
und wirtschaftliche Verbindungen zu Unternehmen. Sie haben einen
enormen Einfluss auf das Rechtssystem, an dessen Erhalt sie ein
wirtschaftliches Eigeninteresse haben.[6]

Prozessspekulation

Die Studie stellt auch einen neuen Akteur in der
Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vor: Prozessfinanzierer.
Investmentfonds wie Burford (US) und Juridicia (GB) spekulieren
zunehmend mit Prozessen, indem sie Investor-Staat-Klagen finanzieren
und dann 20 bis 50 Prozent der am Ende zuerkannten
Entschaedigungssumme einstreichen. [7]

Einige Regierungen wenden sich bereits von der
Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit ab. Australien verhandelt keine
entsprechenden Klauseln mehr in seinen Handelsabkommen. Bolivien,
Ecuador und Venezuela haben mehrere Investitionsschutzabkommen
aufgekuendigt. Suedafrika will weder neue Vertraege unterzeichnen,
noch bestehende verlaengern.

"Das in-die-eigene-Tasche-Wirtschaften von Kanzleien und
Schiedsrichtern entlarvt die Ungerechtigkeit des internationalen
Investitionsrechts. Regierungen sollten entweder keine
Investitionsschutzabkommen unterzeichnen oder keine Klauseln
akzeptieren, mit denen Investoren sie direkt vor internationale
Schiedsgerichte zerren koennen. Zumindest sollten Regierungen
sicherstellen, dass Gesetze zum Schutz des Allgemeinwohls nicht vor
solchen Schiedsgerichten angegriffen werden koennen", sagt Pia
Eberhardt von Corporate Europe Observatory, Mitautorin der Studie.
(Attac)
*

Deutschsprachige Zusammenfassung der Studie (3 Seiten):
http://www.attac.at/uploads/media/exec_summary-DE.pdf

Langfassung:
http://www.tni.org/sites/www.tni.org/files/download/profitingfrominjustice_0.pdf
*

Anmmerkungen:

[1] Mitten in der gegenwaertigen Schuldenkrise in Griechenland haben
Anwaltskanzleien Unternehmen ermuntert, Investitionsschiedsverfahren
gegen Griechenland einzuleiten. Die Kanzlei K & L Gates schlug ihren
Mandanten vor, die Androhung einer Klage als Druckmittel bei
Verhandlungen ueber die Umschuldung einzusetzen. Waehrend des
Buergerkriegs in Libyen legten Kanzleien wie Freshfields ihren
Mandanten nahe, Libyen auf Basis von Investitionsschutzabkommen zu
verklagen. Die neue Regierung muss vielleicht bald Firmen
entschaedigen, die einst die Diktatur unterstuetzt haben. (Siehe
Kapitel 3)

[2] Bis Ende 2011 waren der UN Organisation fuer Handel und
Entwicklung UNCTAD 450 Investor-Staat-Klagen bekannt. Da die meisten
Schiedsgerichtsgremien der Vertraulichkeit unterliegen, ist die
tatsaechliche Anzahl an Klagen vermutlich groesser. 1996 waren nur 38
Investor-Staat-Klagen beim Weltbank-Schiedsgericht ICSID registriert,
das vermutlich die meisten Klagen verwaltet. (Siehe Kapitel 2)

[3] In den Jahren 2009 und 2010 verlangten Konzerne in 151 Faellen
eine Entschaedigung von mindestens US$100 Millionen. Ein Land ist
gerade zu einer Entschaedigungszahlung von US$1,7 Milliarden verklagt
worden. (Siehe Kapitel 2 und 3)

[4] Fuehrende 20 Kanzleien: Freshfields Brukhaus Deringer (GB); White
& Case (USA); King & Spalding (USA); Curtis Mallet-Prevost, Colt &
Mosle (USA); Sidley Austin (USA); Arnold & Porter (USA); Crowell &
Moring (USA); K&L Gates (USA); Shearman & Sterling (USA); DLA Piper
(USA); Chadbourne & Parke (USA); Cleary Gottlieb Steen & Hamilton
(USA); Appleton & Associates (Kanada); Foley Hoag (USA); Latham &
Watkins (USA); Hogan Lovells (USA / GB); Clyde & Co (GB); Norton Rose
(GB); Salans (Frankreich); Debevoise & Plimpton (USA) (Siehe Kapitel
3)

[5] Fuehrende 15 Investitionsschiedsrichter: Brigitte Stern
(Frankreich); Charles Brower (USA); Franciso Orrego Vicuña (Chile);
Marc Lalonde (Kanada); L. Yves Fortier (Kanada); Gabrielle
Kaufmann-Kohler (Schweiz); Albert Jan van den Berg (Niederlande);
Karl-Heinz Bocksteigel (Deutschland); Bernard Hanotiau (Belgien); Jan
Paulsson (Frankreich); Stephen M. Schwebel (USA); Henri Alvarez
(Kanada); Emmanuel Gaillard (Frankreich); William W. Park (USA);
Daniel Price (USA) (Siehe Kapitel 4)

[6] Daniel Price hat beispielsweise sowohl fuer die US-Regierung
gearbeitet, als auch als Anwalt fuer Investitionsschutz und als
Schiedsrichter. Er hat von Investitionsschutzabkommen profitiert, die
er selbst mit verhandelt hat. Als stellvertretender Leiter der
Rechtsabteilung des US Aussenhandelsbevollmaechtigten hat Price das
Investitionskapitel des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA
und das bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen den USA und
Russland verhandelt. Als Russland ueber US$103 Milliarden verklagt
wurde, der bisher hoechsten bekannten Schadensersatzforderung, haben
die Klaeger Price zum Schiedsrichter ernannt. (Siehe Kapitel 4)

[7] Prominente Prozessfinanzierer von Investitionsschiedsverfahren:
Burford Capital (USA); Juridica Investment Ltd (GB); Omni Bridgeway
(Niederlande); Fulbrook Management (USA); Calunius Capital (GB) (Siehe
Kapitel 5)



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