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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. November 2012; 20:26
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                                                      Audiofassung: http://cba.fro.at/66589

Debatten:

> Gut und Boese

Es ist wiedermal soweit -- in Palaestina/Israel krachts. Und wieder
stellen sich alle in Chor und Gegenchor auf. Auf Facebook kommen die
Bilderbotschaften. Die einen sagen: "Boese Israelis - Solidaritaet mit
Palaestina!" Und die anderen: "Boese Palaestinenser - Solidaritaet mit
Israel!" Wenn irgendjemand sagt, dass das im Sinne des Friedens nicht
hilfreich waere, kommt das Zitat: "Hinter dem Ruf nach Frieden
verschanzen sich die Moerder." Das hat ein frueherer Vorsitzenden des
Zentralrats der Juden in Deutschland gesagt -- haette aber auch
genauso gut von einem Moslem stammen koennen. Motto: "Wenn du nicht
fuer mich bist, bist du gegen mich." Und dazu kommen dann die Bilder
von israelischen Kindern und palaestinensischen Kindern und ich soll
empoert sein ueber jeweils eine bestimmte Seite -- und nicht etwa
darueber, dass dieser Konflikt staendig auf beiden Seiten
Menschenleben kostet.

Differenzierte Ansichten, die vielleicht irgendwie dem Verstaendnis
eines Konflikts hilfreich sein koennten? Fehlanzeige -- in der realen
Welt genauso wie in den elektronischen Netzwerken! Wir koennen gerne
diskutieren, wer schuld an dem Schlammassel ist. Aber hilft das
irgendjemandem, der an einer Konfliktloesung interessiert ist? Kaum.

Der Umgang mit diesem Konflikt ist ein katastrophaler. Er zeigt aber
einen Mechanismus auf, der auf einem Missstand beruht, der leider auch
(und vielleicht sogar: vor allem) in der Linken weit verbreitet ist:
Die Unfaehigkeit zur Dialektik. Vielleicht ist gerade das klassische
Widerspruchsdenken, also das Denken in eindeutig zuordenbaren
Konfliktparteien, wie es durch den Widerspruch unter anderem zwischen
Kapital und Arbeit gepraegt ist, eine Grundlage eben dieser
Unfaehigkeit. Es interessiert niemanden eine Synthese, es gibt nur
These und Antithese, der Hegelsche Dreisprung findet nicht statt. Von
der Idee, dass vielleicht schon die Ausgangsthese grundlegend falsch
war und die Antithese damit auch, brauchen wir da gar nicht zu
reden...

Dieses Muster kehrt immer wieder. Ich kann mich gut erinnern an den
Bosnienkrieg, wo man sich innerhalb der Friedensbewegung einig
glaubte, dass es wichtig sei, ohne Schuldzuweisungen die Frage zu
stellen, wie man denn die friedensorientierten Gruppen in der Region
unterstuetzen koennte -- und ploetzlich ging die Debatte los, ob nicht
vielleicht doch "die Serben" die Boesen seien. Weil: Schliesslich
braucht man ja doch einen Schuldigen. Und der muss natuerlich genau
den Mustern entsprechen, die vom common sense vorgegeben werden: Nicht
etwa die Warlords oder die Waffenhaendler oder bestimmte Regierungen
mit vitalen Interessen, nein, ein ganzes Volk muss daran schuld sein
und alle anderen koennen nichts dafuer. Nicht einmal das wird wirklich
hinterfragt. Und selbst wenn es hinterfragt wird, ist das oft genug
wenig hilfreich. Denn das Prinzip von Schuld und Suehne war noch
selten in der Geschichte dazu angetan, die Zukunft besser zu
gestalten.

Natuerlich kann man sich da auch dem Vorwurf aussetzen, die Welt
ahistorisch zu betrachten, wenn man so argumentiert wie ich nun. Doch
wenn Geschichte nicht zum Zweck der Erkenntnis eingesetzt wird und
niemand wirklich aus ihr lernen will, sondern es nur darum geht,
leicht handhabbare Totschlagargumente aus ihr abzuleiten, dann hilft
uns Geschichte nicht weiter. Wenn mir jemand sagt, man muesse aus der
Geschichte lernen, werde ich gleich vorsichtshalber aggressiv, weil
ich annehmen muss, dass jetzt ein Vortrag kommt von jemandem, der
genau gar nichts aus der Geschichte zu lernen bereit ist, sondern
lediglich ein paar Versatzstuecke braucht, um sein Arsenal
aufzufuellen.

Das Denken in Antagonismen ist leicht. Und das Schoenste daran: Man
kann sie so schoen moralisch ausfuellen, dass man sich nachher richtig
gut fuehlen kann -- als Mensch mit Prinzipien eben. Hoch die
Solidaritaet mit... eh scho wissn! Wer ein Gewissen haben will,
braucht auch eine Fahne. Oder so.

Dieses Muster setzt sich allerdings auch ausserhalb kriegerischer
Auseinandersetzungen fort. Ich denke da an die Debatte ueber die
Europaeische Union. Warum muss man gleich in den Chor der
Oesterreich-Patrioten eingemeindet werden, wenn man die EU als Moloch
ansieht? Warum muss man zum EU-Fan mutieren, wenn man die
oesterreichische Kleingeistigkeit kritisiert? Warum soll ich mich
zwischen einem oesterreichischen und einem europaeischen Vaterland
entscheiden? Ich brauch kein Vaterland! Und ich brauch auch keine
Hymne, nicht mal eine gendergerechte, wenn ich diesen schwuelstigen
Singsang, der einzig und allein zum Zwecke des Strammstehens tradiert
wird, so oder so fuer verzichtbar halte.

Diese Grundhaltung, sich entscheiden zu wollen, welche Position von
zwei -- von einem hegemonialen Diskurs vorgegebenen -- Moeglichkeiten
denn nun die richtige sei, anstatt die Frage selbst erst einmal auf
ihre Legitimitaet zu pruefen, zieht sich durch die gesamte
Gesellschaft in Oesterreich und wohl auch im Rest der Welt. Aber
gerade die Linke laesst sich in ihrer Sehnsucht nach klaren
Frontstellungen, wo klar scheint, gegen wen man ins letzte Gefecht zu
ziehen habe, immer wieder dazu hinreissen, Fragen zu beantworten,
deren Sinnhaftigkeit erst einmal hinterfragt werden muesste.

Die Welt ist kompliziert. In Oesterreich wurde ein Bundeskanzler
verlacht, weil er genau dies festgestellt hatte. Er galt als schwach,
weil er ein um Ausgleich und Differenzierung bemuehter Intellektueller
war. Doch solange wir die plumpe Akzeptanz vorgegebener Dichotomien
fuer ein Zeichen von moralischer Staerke halten, werden wir diese Welt
wohl kaum verbessern.

Franz Werfel laesst seinen Jakobowsky zum Oberst, fuer den es als
"Ehrenmann" immer nur eine einzige Moeglichkeit gibt, sagen, es gaebe
immer zwei Moeglichkeiten. Aber wahrscheinlich gibt es immer
mindestens drei.
*Bernhard Redl*



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