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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. September 2012; 23:04
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Kirche/Wirtschaft/Interview:

> "Selber nichts zahlen, aber den Imagegewinn haben."

Interview mit Christoph Baumgarten ueber staatliche
Kirchenfinanzierung in Oesterreich


akin: Wir sind hier am Stand des Volksbegehrens gegen
Kirchenprivilegien am Volksstimmefest. Die OrganisatorInnen sammeln
noch immer Unterschriften, dem Vernehmen nach brauchen sie noch etwa
300 bis 400 fuer die Eintragungswoche. Hier ist auch Christoph
Baumgarten der zusammen mit anderen ein Buch geschrieben hat und es
hier auch zum erstenmal praesentiert hat. Und zwar welches?

CB: Das Buch heisst "Gottes Werk und unser Beitrag", ist geschrieben
von Carsten Frerk und mir und mit Beitraegen von einigen anderen. Und
wird ab 6.September im gut sortierten Buchhandel erhaeltlich sein.

akin: Worum geht es in dem Buch?

CB: Wir haben die erste systematische Analyse von Kirchenfinanzierung
in Oesterreich vorgenommen. Wir haben anhand dieser finanziellen
Verflechtungen der vielfaeltigen Transferzahlungen vom Staat an die
Religionsgemeinschaften -- vor allem an die katholische Kirche --
natuerlich auch viele politische Verflechtungen aufgezeigt oder
zumindest einmal andeuten koennen.

akin: Wir reden da jetzt definitiv nicht von den Kirchenbeitraegen,
die die Kirche mit Hilfe des Staates eintreibt, sondern von direkten
Zuwendungen der oeffentlichen Hand. Wieviel ist das ungefaehr?

CB: Insgesamt sind das 3,8 Milliarden Euro pro Jahr. Da ist der
Kirchenbeitrag nicht dabei. Allerdings haben wir auch diesbezueglich
ein Kapitel im Buch ueber diese eigenartigen Verstrickungen zwischen
Staat und Kirche. Und: Diese direkt bezahlten 3,8 Milliarden sind eher
noch als Untergrenze anzusehen.

akin: Unter welchen Titeln laeuft das?

CB: Das laeuft sehr stark unter dem Titel Soziales, Gesundheit und
Bildung. Caritas und Diakonie werden zu fast zwei Dritteln staatlich
finanziert, das macht allein im Jahr 600 Millionen im Jahr aus. Da
hingegen stehen nur etwa 2% der Finanzierung durch die Kirchen. Da
geht es auch um die Ordensspitaeler, die so etwa 1,8 Milliarden
bekommen und um den Bildungsbereich mit ungefaehr einer Milliarde.

akin: Besonders hat es dir ja da der Schulbereich angetan?

CB: Ja, weil da spielen eine Reihe von Faktoren rein. Da gibt es
einmal den Religionsunterricht, den wir ja fast alle zwangsgenossen
haben. Aber besonders stoeren mich die konfessionellen Privatschulen.
Ich sehe nicht ein, warum Missionierungstaetigkeit ueber Schulen
staatlich finanziert werden soll; und zwar besser finanziert als alle
anderen Privatschulen. Von Gesetzes wegen bekommen konfessionelle
Schulen, das sind grossteils katholische, alle Lehrerkosten ersetzt
und haben automatisch das Oeffentlichkeitsrecht -- um das andere erst
kaempfen muessen. Daneben gibt es dann noch einen Haufen anderer
Subventionen (was die Kirchen immer bestreiten) wie etwa hier eine
Turnsaalrenovierung oder dort ein paar hundertausend Euro fuer ein
neues Schulgebaeude. Das geht sogar soweit, dass man die wenigen
sozial Beduerftigen, die an solchen Schulen aufgenommen werden, zwar
vom Schulgeld befreit, sich das aber von der Republik Oesterreich
abgelten laesst.

akin: Was davon zahlt die Kirche selbst?

CB: Das ist eine gute Frage, die ich nicht beantworten kann. Was wir
rekonstruieren konnten, zahlen sie im Bildungsbereich so gut wie nicht
selber. Sie bekommen die Personalkosten bezahlt, sie bekommen
Schulgeld -- das sind dann so etwa 1000 Euro im Jahr, das koennen auch
mehr sein, je nach Schule -- und fuer diverse andere Taetigkeiten
bekommen sie auch Subventionen. Da fragt man sich, was da noch
uebrigbleibt, was sie noch selber zahlen koennten.

akin: Und das fuer Schulen, in denen man auf Staatskosten
indoktriniert wird...

CB: Ja, in den meisten konfessionellen Privatschulen duerfen sich
Kinder nicht vom Religionsunterricht abmelden oder aus der
Religionsgemeinschaft austreten, weil sie sonst aus der Schule
gewiesen werden.

akin: Du hast bei der Buchpraesentation einen Vergleich angestellt,
der Religionsunterricht sei so aehnlich wie die fruehere Segregation
von Schwarz und Weiss in den USA. Ist das nicht ein bisserl hart?

CB: Nein. Jetzt stellen wir uns einmal vor, ein sechsjaehriges Kind
wird ja wohl so etwas wie eine religioese Identitaet nicht haben. Die
wird ihm eingeredet und das passiert ja vom ersten Schultag an.
Ueberspitzt formuliert: In dem Eckerl stehen die Katholiken und die
anderen muessen sich dann halt in ihre jeweiligen Eckerln stellen. Und
sagt, die anderen duerfen jetzt nicht in diese Stunde gemeinsam mit
euch gehen, weil die sind irgendwie anders... Entschuldigung, was soll
das? Da fuehrt man den Kindern vor, dass verschieden Religionen
trennend sind. Wenn das nicht Segregation ist, dann weiss ich aber
nicht was sonst! Es ist natuerlich nicht so schlimm wie damals in den
USA, aber das Prinzip dahinter ist das gleiche.

akin: Und was kostet allein der Religionsunterricht den Steuerzahler?

CB: Das duerften um die 250 Millionen Euro im Jahr sein -- plus
Pensionen fuer Religionslehrer.

akin: Daneben bekommt die Kirche ja noch aus einem sehr interessanten
Titel jaehrlich Geld und zwar unter dem Titel NS-Wiedergutmachung. Und
zwar bis in alle Ewigkeit, wenn ich das richtig verstanden habe?

CB: Ja! Das ist voelkerrechtlich abgesichert, zumindest halbwegs,
durch ein Konkordat. Tatsaechlich wurde 1938 von den
Nationalsozialisten der Religionsfond enteignet, der von Josef II.
eingerichtet worden war. Aus dem wurden bis 1938 die Gehaelter der
Priester bezahlt -- und wenn der Fonds das nicht leisten konnte, was
in der ersten Republik meistens der Fall war, musste die
Bundesregierung Geld zuschiessen. Die Nazis fuehrten explizit als
Ersatz den Kirchenbeitrag ein -- der im Uebrigen ein Vielfaches dessen
einbrachte, was der Fonds eingebracht hatte -- und trotzdem bekommt
die katholische Kirche seit 1960 fuer diesen enteigneten Fonds einen
Geldbetrag. Das ist ein Sockelbetrag plus die Gehaelter fuer 1250
Kirchenbedienstete. Das wird regelmaessig valorisiert und macht heute
44 Millionen im Jahr aus.

akin: Kriegen die anderen Kirchen auch irgendwas aus so einem
schwindligen Titel?

CB: Die evangelische und die altkatholische Kirche ja. Die
israelistische Kultusgemeinde bekommt zwar auch Geld, die sind aber
interessanterweise nicht als Entschaedigungszahlungen tituliert. Also
ich glaube, wenn jemand solche Entschaedigungszahlungen bekommen
sollte, dann wohl die!

akin: Sehr am Herzen liegen dir ja auch die Finanzierung im
Kommunalbereich...

CB: Es gibt da diesen beruehmten Budgetposten mit der Kennziffer 39 --
bei groesseren Gemeinden 39000 --, Bereich "Kunst, Kultur und Kultus",
der heisst dann "Kultus und Religionsgemeinschaften". Darueber kann
man Gemeinden in bestimmten Bereichen vergleichen. Laut einer
Schaetzung aus den 1990ern brachte das den Religionsgemeinschaften
[umgerechnet] 17 Millionen Euro pro Jahr, das wird heute deutlich mehr
sein. Aber da laeuft auch im Jugendbereich sehr viel ueber die
Foerderung von Jugenzentren der Religionsgemeinschaften, aber auch
ueber Soziales und natuerlich im Kulturbereich, ueber Renovierungen
und Sonstiges. Das ist aber alles etwas, was sich nur sehr schwer
recherchieren laesst, weil nicht sehr viele Gemeinden ueberhaupt ihr
Budget ins Internet stellen und wenn dann kaum einzelne Empfaenger
ausgewiesen werden. Aber allein, was wir rekonstruieren konnten bei
einigen Gemeinden sind das schon ein paar Millionen Euro zusaetzlich
zu diesem Unterpunkt fuer religioese Angelegenheiten. Wenn wir sagen,
die Kirchen kriegen zusaetzlich noch so etwa 40 oder 50 Millionen Euro
von den Gemeinden, liegen wir da sicher nicht falsch.

akin: Aber da gibt es ja fuer dieses Geld oft auch eine Leistung
dafuer, gerade im Sozialbereich. Ist da die Kritik da noch
gerechtfertigt?

CB: Ja, weil vor allem die katholische Kirche legitimiert sich
staendig ueber die Caritas. Sie sagt immer, sie leiste soviel
Soziales, das sei ihre Leistung. Wenn man aber bei der Caritas nur 2%
der Kosten traegt, dann frage ich mich schon, wo ist die eigene
Leistung? Der Sozialstaat zieht sich immer mehr zurueck, es wird
staendig ausgelagert, auch und vor allem an religioese Organisationen.
Die Kirchen nehmen das gerne an, muessen selber nichts zahlen, haben
aber den Imagegewinn davon. Auch zum Schaden der
Caritas-MitarbeiterInnen, denn die haben es sich wirklich nicht
verdient, dass sie von der katholischen Kirche vereinnahmt werden.

akin: Und was habt ihr fuer die Recherche an Quellen verwendet?

CB: Zum Grossteil oeffentlich Aufliegendes -- auch wenn das nicht
immer sehr aussagekraeftig war. Fuer einige Bereiche haben wir
parlamentarische Anfragen gebraucht, die dankenswerterweise die gruene
Abgeordnete Daniela Musiol eingebracht hat -- das hat uns erst das
Kapitel ueber die Bildung ermoeglicht. Da kamen bestimmte
Informationen aber nicht, weil das Unterrichtsministerium gesagt hat,
das laege im Bereich der Landesschulraete. Bei der Statistik Austria
hat man sich zuerst geweigert, Informationen zu erstellen, welche
Gebaeude der katholischen Kirche gehoeren, und erst nach langem Hin
und Her haben wir Informationen bekommen. Und wenn man kirchliche
Informationen recherchiert, besagen die in der Regel nur die halbe
Wahrheit -- die muss man immer sehr genau nachpruefen und auf
Plausibilitaet checken. Da ist die Transparenz kaum gegeben.

akin: Ich danke fuer das Interview.
*
Das Interview fuehrte Bernhard Redl.
Ungekuerzte Audiofassung (17:04) unter http://cba.fro.at/63285
*

> Das Buch:

Carsten Frerk,
Christoph Baumgarten
Gottes Werk und unser Beitrag
Kirchenfinanzierung in Oesterreich
Czernin-Verlag, 2012
284 Seiten, Euro 24,90
ISBN: 978-3-7076-0430-6


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