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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. Mai 2012; 23:41
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EU/Lateinamerika/Glosse:

> Die armen Investoren

"Spanien bangt um Investitionen" titelte ORF-online neulich.
Untertitel: "'Gespenst der Enteignung' geht um". Worum geht es?
Nachdem kuerzlich in Argentinien die Oelfirma YPF verstaatlicht worden
war, wurde am 1.Mai in Bolivien der Stromversorger TDE, bisher eine
"Tochter" von Red Eléctrica de España (REE), in Staatsbesitz genommen.
Ein "Dominoeffekt" an Verstaatlichungen in Lateinamerika wird nun
befuerchtet. Und so heisst es im ORF-Bericht: "Fuer Spanien ist das
eine gefaehrliche Entwicklung. Das Land ist, wie die Regierung immer
wieder betont, nach den USA der zweitgroesste Investor in
Lateinamerika. Spanische Firmen gaben in den vergangenen zwei
Jahrzehnten mehr als 140 Mrd. Euro fuer ihre Niederlassungen in den
ehemaligen Kolonien aus. ... Zahlreiche spanische Konzerne wie die
Grossbanken Santander und BBVA, der Telekom-Riese Telefonica sowie die
Energiekonzerne Iberdrola und Endesa erzielen betraechtliche Teile
ihrer Gewinne in Lateinamerika. Die Enteignungen, die vor allem
innenpolitisch motiviert sind, treffen Spanien in einem besonders
heiklen Moment: Die heimische Wirtschaft ist angeschlagen und hat mit
der Schuldenkrise und einer Rekordarbeitslosigkeit zu kaempfen."

Diese Verstaatlichungen kommen aber nicht aus heiterem Himmel, sondern
passieren aus gutem Grund. Und es waren in Lateinamerika in den
letzten Jahren auch nicht die ersten Verstaatlichungen -- oder besser:
Wiederverstaatlichungen. Denn sowohl der bolivianische Stromversorger
als auch der argentinische Oelkonzern waren frueher staatliche
Unternehmen. YPF wurde in den 1990ern privatisiert und damit Teil des
spanischen Konzerns Repsol. Und dieser habe die vorhandene
Infrastruktur genutzt, aber nichts in die Erschliessung neuer Quellen
investiert, sodass Argentinien nun zum Gas- und Oel-Importeur geworden
sei, begruendet jetzt die Argentinische Regierung die Verstaatlichung.
Aehnlich duerfte es bei TDE abgelaufen sein: 1997 wurde die Firma, die
immerhin fuer drei Viertel des Elektrizitaetsnetzes Boliviens
verantwortlich ist, privatisiert. Und dann habe REE nichts mehr in das
Netz investiert, so Boliviens Praesident Evo Morales: "Bolivien
braucht Partner, aber keine Besitzer", so der Praesident. Und weiter:
"Nur um es der nationalen und internationalen Oeffentlichkeit zu
verdeutlichen: Wir verstaatlichen ein Unternehmen, das zuvor uns
gehoert hat".

Wenn also der ORF-Bericht so sueffissant betont, die Verstaatlichungen
waeren "innenpolitisch motiviert", fragt man sich schon, was denn
ausser Innenpolitik ein vernuenftiger Grund fuer die Verstaatlichung
national ueberlebenswichtiger Infrastruktur sein sollte.

Vor etwa zwanzig Jahren war ich bei einer Veranstaltung im Rahmen
eines Symposiums in der Wirtschaftskammer. Da berichteten die extra
nach Wien gereisten Handelsattachés der oesterreichischen
diplomatischen Vertretungen in Lateinamerika ueber die Situation in
ihren Gastlaendern -- und kamen dabei fast ins Schwaermen, was denn
auf dem Kontinent alles nun an staatlichem Eigentum von europaeischen
Konzernen billig eingekauft werden koennte. Der Vertreter aus Buenos
Aires, gefragt, wie es denn in seinem Gastand aussaehe ressuemmierte
damals ganz kurz: "In Argentinien steht alles zum Verkauf!" Jetzt wird
dieser Ausverkauf sukzessive rueckgaengig gemacht, da viele
neoliberale Regierungen gerade auch ueber die zum Teil katastrophalen
Folgen dieser Privatisierungen gestolpert waren.

In Europa sieht der Common Sense allerdings anders aus: Der Begriff
der "Investitionen" ist mittlerweile vollkommen pervertiert. Darunter
versteht man nicht mehr, dass ein Unternehmen in reale Anschaffungen
investiert, um damit etwas Neues zu schaffen, sondern einfach, dass
Vorhandenes gekauft wird. Wenn jetzt diese "Investoren" jammern, ist
die Berechtigung dazu eher beschraenkt: Die Konzerne haben die
vorhandenen Anlagen zumeist billig gekauft, viel Geld damit verdient
und werden nun auch noch bei den Wiederverstaatlichungen entschaedigt.
In vielen Faellen stellt sich die Frage, ob diesen Konzerne mit ihren
Zentralen in Europa -- auch die franzoesische GDF Suez, das britische
Unternehmens Rurelec und die Telecom Italia sind in Bolivien schon
enteignet worden -- nicht sogar froh sein koennen ueber die
Verstaatlichungen. Denn in vielen Faellen waeren wohl bald doch echte
Investitionen faellig geworden, um auch weiterhin verdienen zu
koennen. Die Gewinnmargen waeren dann -- falls ueberhaupt noch
vorhanden -- wohl nicht mehr so prickelnd gewesen. Und so steht fast
zu befuerchten, dass jetzt aus oeffentlichen Geldern die
wiederverstaatlichten Unternehmen saniert werden muessen -- und danach
kapitalfreundlichere Regierungen diese dann wieder leistungsfaehige
Infrastruktur erneut an europaeische oder US-amerikanische Konzerne
verschleudern. Und das wahrscheinlich wieder mit der Argumentation,
dass "in privater Hand" doch alles besser funktioniere als in
staatlichem Besitz...
*Bernhard Redl*

Link: http://orf.at/stories/2118554/2118543/



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