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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. Maerz 2012; 21:44
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Interview:

> "Die Zeiten der grossen Gewissheiten sind vorbei"

*Bernhard Redl* sprach mit *Karl Oellinger* ueber sein Engagement
gegen Rechtsextremismus, die Entwicklung der Gruenen und was heute
linke Politik sein kann -- sowie ueber die Aufregung in der
oberoesterreichischen Anti-Atom-Politik.
(Das komplette, ueber eine Stunde dauernde Interview
ist nachzuhoeren unter: http://cba.fro.at/55931)

*

Ich besuche Karl Oellinger im Gruenen Klub. Der Klub ist in einem
hochherrschaftlichen Bau in der Loewelstrasse untergebracht. Die
Rezeption ist recht buerokratisch, das Ambiente ist eher das einer
Gruppenarztpraxis. Gluecklicherweise taucht ein alter Bekannter auf
und bringt mich zum Buero Oellingers. Dort ist die Stimmung weitaus
angenehmer, das Kammerl ist hinreichend rauchgeschwaengert -- da
laesst es sich reden.

Es sollte ein Interview werden, aber keines von den ueblichen. Und das
wird es dann auch nicht, zeitweise wird es mehr ein Streitgespraech
zwischen zwei politisch engagierten Menschen, die sich schon lange
kennen. Und so passiert es dann auch, dass im Verlauf des Gespraechs
eher der Interviewte, mich, den Reporter, aus der Reserve lockt, als
das ueblicherweise umgekehrt bei einem professionellen Interview
intendiert ist.

Aber der Reihe nach: Oellinger ist dem Grossteil des akin-Publikums
wahrscheinlich nicht nur als Gruenmandatar bekannt, sondern vor allem
als Aktivist der "Arbeitsgemeinschaft fuer gewerkschaftliche
Einheit -- Alternative Gewerkschafter/innen" (GE), der heutigen AUGE.
In Oellingers Studienzeiten in Salzburg war er noch beim
sozialdemokratischen VSStOe und 1976-78 dessen Bundesvorsitzender, kam
dann aber -- woher ihn auch der Interviewer kennt -- zur "undogmatisch
kommunistischen" GE und landete auf diesem Weg bei den Gruenen. Seit
1994 sitzt er im Nationalrat.

Dieses Interview erschien dem Interviewer schon lange einmal faellig,
um die Entwicklung der Gruenen aus linker Sicht zu beleuchten.
Unmittelbarer Ausloeser fuer dieses Interview war aber die nun bereits
seit Jahren in Oberoesterreich gefuehrte Debatte um den "Weltbund zum
Schutz des Lebens" (WSL). Es handelt sich dabei um einen vom
ehemaligen SA-Mitglied Guenther Schwab gegruendeten Verein, der vom
DOeW im rechtsextremen Bereich verortet wurde. Der langjaehrige und
aktuelle Praesident Friedrich Witzany referierte auch beim
Dichterstein Offenhausen -- und ist den Gruenen in St. Florian
verbunden. 2009 wurde Witzany in das Komitee "Raus aus Euratom"
berufen. Daraufhin schlug der Verein "Antiatom-Szene" Krach, dass man
mit solchen Leuten doch keine gemeinsame Sache machen koennte. Dabei
ging es auch um Foerderungen des Landes OOe. Antiatom-Szene wandte
sich an den zustaendigen gruenen Landesrat Rudi Anschober, der aber
von Naziverstrickungen nichts wissen wollte. In den letzten Wochen
wurde daher auch Oellinger -- als Rechtsextremismusexperte der
Bundesgruenen -- mit Protesten konfrontiert, der aber diesbezueglich
auch kein Problem sehen wollte. Und daher bat ich Oellinger zuerst
einmal, das zu erklaeren:

Karl Oellinger: Ich hab mir das Gutachten des DOeW angeschaut. Es
enthaelt entscheidende Feststellungen, wie zB. dass man in den letzten
20 Jahren auf Grund dessen, was der Witzany publizierte hat, nicht den
Befund aufrecht erhalten koennte, dass er rechtsextreme Positionen
vertrete.

akin: Das heisst, er hat sich einfach nur bloed verhalten? Immerhin
hat er ja in der NS-Zeitschrift "Sieg" publiziert.

Oellinger: Das war nicht er, das war eine Frau, die dem WSL
zugeschrieben wird und die sagt, dass sie auch nicht weiss, wie sie da
reingekommen ist. Du hast voellig recht, ich wuerde auch versuchen
mich zu wehren wenn -- die Gefahr ist ziemlich gering -- ich im Sieg
publiziert worden waere. Es gab immer wieder so merkwuerdige Sachen.
Aber beim Witzany, der war sogar mal beim Dichterstein Offenhausen,
der hat dort eine Rede vorgetragen, wo das DOeW sagt, auf Grund dessen
was er vorgetragen hat: Nein, man kann nicht sagen...

akin: Moment, du waerst dort aber auch nicht hingegangen!

Oellinger: Nein, aber ich hab auch schon -- nicht unbedingt bei
rechtsextremen Burschenschaften -- aber bei Korporationen geredet.
Natuerlich musst du aufpassen, keine Frage, aber jetzt halten wir
auseinander: Wann ist das passiert? Wie stand der WSL insgesamt? Ich
muss sagen, es ist unzulaessig von den Positionen eines deutschen WSL,
der tatsaechlich neonazistisch war in den 80er Jahren...

akin: Das war der oesterreichische auch...

Oellinger: Nein, dann kannst du mir nicht erklaeren, warum der WSL den
deutschen WSL ausgeschlossen hat, naemlich wegen rechtsextremer
Tendenzen. Jetzt kann ich sagen, okay, die sind auch noch rechts, aber
dann muss ich erklaeren, warum die ausgeschlossen worden sind und die
sind eindeutig wegen rechtsextremer Tendenzen ausgeschlossen worden.
Es sind damals in Deutschland ganze Landesverbaende, aber auch
Einzelpersonen, ausgetreten wegen dessen neonazistisch orientierter
Fuehrung. Das spricht aber dafuer, das nicht alle in diesem WSL
Neonazis waren.

Man muss sich vorstellen: Dieser tatsaechliche Neonazi, inzwischen ist
er ja verstorben, der Havermann (Anm.: gemeint ist Werner Georg
HAVERBECK), der einer der Chefs war im WSL und im Collegium Humanum,
der hat politische Achsen gehabt bis hin zum Gustav Heinemann, dem
damaligen (Anm. deutschen) Bundespraesidenten, den man wirklich nicht
Neonaziaktivitaeten unterstellen kann. Das hat so komische Bruecken
gegeben: Havermann hat mit Robert Jungk zusammengearbeitet. Heute
unvorstellbar. Der Jungk hat gesagt, der Havermann wird verfolgt wegen
seiner Anti-AKW-Politik. Er hat alles andere nicht gesehen dabei.

Schwab, der Gruender des WSL, der Zeit seines Lebens nie von seinem
elitaeren und rassistischen Ansatz weggekommen ist, ist mit den
hoechsten Ehrungen dieser Republik eben fuer Naturschutz ausgezeichnet
worden. Der Herr Witzany -- nach meinem momentanen Wissenstand -- war
in einer Organisation, die vor 20, 30, 40 Jahren dem rechtsextremen
Umfeld zuzuordnen war. Ich billige jedem zu - ich wuerd es sogar dem
Herrn Strache zubilligen - aus seinen Jugendjahren gelernt zu haben.
Nur im Unterschied zu Witzany kann ich beim Strache eine Kontinuitaet
des Denkens belegen. Nicht unbedingt im neonazistischen Sinn, sondern
in Richtung Verbreiterung in einen allgemeinen Rassismus und in eine
Hetze. Ich wuerde auch nicht sagen, dass der Strache heute ein Neonazi
ist, aber er hat eine Kontinuitaet im Denken drinnen.

Ich hab auf der anderen Seite den Witzany -- ich kann ihn nur
beurteilen anhand der wenigen Dokumente die mir da vorliegen -- und da
kann ich nichts Rechtsextremes drin entdecken.

Leider hat der WSL heute offensichtlich nicht die Kraft, sich mit
seiner Vergangenheit auseinanderszusetzen. Vielleicht wollen sie es ja
auch gar nicht.

Was ist "rechts"?

akin: Na gut, der Herr Strache ist kein Nazi und zwar aus einem
einfachen Grund: Er ist nicht deutschnational, nicht einmal wirklich
antisemitisch und er rennt nicht mit einem Hakenkreuz herum. Aber dass
er rechtsextrem ist, wissen wir schon -- und dann haben wir
andererseits eine Partei wie die OeVP, die nach wie vor kein Problem
hat mit ihrer faschistischen Vergangenheit. Die Site, deren
Gallionsfigur du bist, heisst stopptdierechten.at -- ist das nicht ein
komischer Begriff? Die OeVP ist auch rechts, du konzentrierst dich
aber lediglich auf FPOe und Freunde. Die OeVP kommt da nicht vor --
und da hab ich ein Problem. Die schaffen es naemlich schon die ganze
Zeit, sich als nicht rechts zu titulieren und du bestaetigst sie damit
noch.

Oellinger: Wir haben am Anfang auch darueber diskutiert, als der
Titelvorschlag kam und haben uns dann entschieden, nicht die "Stoppt
die Rechtsextremen" zu nehmen, weil dann haetten wir definieren
muessen, was ist "rechtsextrem"?

akin: Also fuer mich ist Dollfussverehrung rechtsextrem...

Oellinger: Nein, fuer mich ist es das noch nicht. Wenn ich was gelernt
habe aus der Auseinandersetzung rund um den WSL, dann, dass ich auch
lernen muss, zu differenzieren. Ich hab bis vor wenigen Wochen nicht
gewusst, dass es im WSL auch noch andere gegeben hat ausser den paar
Rechtsextremen.

Die Geschichte mit dem Dollfuss ist ein ewiger Schlagabtausch zwischen
OeVP und SPOe. Ich find das auch sehr symbolhaft, dass sich die OeVP
noch immer mit dem Dollfuss in ihren Parlamentsraeumen umgibt, aber
fuer eine Charakteristik einer Partei reicht das mit Sicherheit nicht.

akin: Aber das Symbolhafte, das ist ja nicht nur Traditionspflege.
Sondern dieses autoritaere, klerikalfaschistische Denken ist ja immer
noch da. Jetzt wieder in den Verschaerfungen des
Sicherheitspolizeigesetzes...

Oellinger: Aber da war die SPOe auch dabei...

akin: Aber der naechste Faschismus wird nicht kommen mit Hakenkreuz,
Antisemitismus und Deutschnationalismus.

Oellinger: Ich hoffe, das gar keiner kommt.

akin: Ich hab' die schlimmsten Befuerchtungen und mir ist das dann
wurscht, ob die mit dem Hakenkreuz daherkommen oder nicht, wenn wir
dann alle im Haefn sitzen. Du hast, 2003, bei den damaligen
Koalitionsverhandlungen mit der OeVP gesagt, mir dir ginge das nicht.
Im Prinzip war das damals eigentlich schon ziemlich fix gewesen. Und
erst dann ist der Bundespartei klargeworden, es wuerde die Partei
zerreissen und sie hat die Koalition platzen lassen. Jetzt frage ich
mich aber trotzdem, warum laesst man die Schwarzen in der
Fundamentalkritik aus - im Detail wird sie kritisiert, da geht es um
Korruption -- aber die prinzipielle Kritik an der ganzen
braunschwarzen Sosse in der Partei geht mir einfach ab. Mir kommt vor,
ihr schonts die OeVP...

Oellinger: Ich kann das nicht so sehen. Du kannst der Seite
Stopptdierechten den Vorwurf machen, sie beschaeftige sich nicht mit
dem gesamten rechten Spektrum. Der Begriff "Rechte" wird populaer
einfach verknuepft mit Rechtsextremismus. Und Teile der SPOe muesste
ich ansonsten genauso unter "rechts" einordnen muesste.

akin: Aber bei der SPOe sind das nicht die Grundprinzipien von der
Idee her. Und die OeVP ist die Nachfolgeorganisation der
Christlich-Sozialen Partei...

Oellinger: Ich kann eine politische Partei nicht nur ueber ihre
Geschichte von vor 70, 80 Jahren definieren. Das halte ich fuer ein
Problem.

Der diskrete Charme der Bourgeoisie

akin: Naja, dann gibt es aber doch seltsame Koalitionen wie zum
Beispiel in Oberoesterreich -- und dann kommen von den Gruenen
dieselben bloeden Meldungen wie von der OeVP, zum Beispiel: "Die SPOe
kann nicht wirtschaften". Die haben sich denselben Jargon angewoehnt.
Da sieht man keine "gruene Handschrift", sondern nur, dass der Herr
Anschober sein Poestchen hat...

Oellinger: Das hoere ich jetzt zum ersten Mal, das muesst ich mir
anschauen -- aber klar, ich wuerd das nicht bestreiten wollen, dass in
jeder Koalition die Gefahr besteht, dass sich der eine auf den anderen
und der andere auf den einen zu bewegt,...

akin: Wo hat sich der Herr Puehringer auf die Gruenen zubewegt?

Oellinger: Ich beschreib jetzt politikwissenschaftliche Phaenomene...
Ich wuerde auch die oberoesterreichische OeVP, obwohl dort auch
ordentliche Betonkoepfe sitzen, nicht gleichsetzen mit der
niederoesterreichische OeVP. Ein einfaches Beispiel: die
oberoesterreichische OeVP hat in der Kulturpolitik immer eine ganz
andere Linie verfolgt, so dass sich die Kulturinitiativen dort
entwickeln konnten. Dass du auf Laenderebene sowieso ein anderes
Mikroklima hast, was mich auch oft irritiert, dass ist auch
unbestritten. Die sitzen auf sehr engem Raum zusammen...

akin: Auf sehr engem Raum sitzt ihr hier auch zusammen -- faerben die
nicht ab?

Oellinger: Es kommt schon vor, dass ich manchmal auch einem blauen
Antrag zustimme.

akin: Das war nicht die Frage, sondern ich meine den diskreten Charme
der Bourgeoisie der OeVP. Glaubst du nicht, dass der abfaerbt? Diese
besseren Leute mit ihrem Umgang fangen schon leicht Leute ein. Wie
haette es sonst beinahe eine Koalition gegeben.

Oellinger: Da steckt etwas Wahres drinnen. Die OeVP pflegt von den
Umgangsformen her das Gespraech, durchaus auch die Auseinandersetzung;
waehrend die SPOe noch immer ein voellig anderes Verhaeltnis zu den
Gruenen hat. Da gibt's einige linke SPOeler, die ganz offen und
gleichberechtigt mit uns diskutieren. Aber DIE SPOe hat so irgendwie
das Verhaeltnis: 'Die Gruenen, das sind unsere missratenen Kinder.'

akin: Aber ich sag dir mal, wie ihr bei vielen Linken rueberkommts.
Das ist: Die wollen sowieso mit jedem koalieren, wo sich irgendwo eine
Mehrheit ausgehen koennte. Es kommt rueber, dass das alles ein
konturloser Brei geworden ist, es gibt keine klaren Positionen und man
wuenscht sich eine Oppositionspartei, die aggressiv ist, die
antikapitalistisch ist. Und: Du bist ein Sozialpolitiker, da denke ich
mir das Thema hat schon auch ein bisserl mit Wirtschaftspolitik zu
tun. Viele Linke landen in der Sozialpolitik und glauben, sie muessten
sich nicht mehr mit Wirtschaftspolitik beschaeftigen. Wo ist da ein
klare politische Linie?

Oellinger: Die klare politische Linie wuensche ich mir manchmal auch,
aber die ist -- auch unabhaengig von den Gruenen -- schon sehr
schwierig darzustellen. Die klare politische Linie sehe ich weder bei
den ausserparlamentarischen Bewegungen - Stichwort Occupy...

akin: Das ist wirklich kein gutes Beispiel...

Oellinger: Aber ich sehe sie auch sonst nirgendwo.

akin: Ich schaue mir Deutschland an, wo die Frustrierten die Linke
waehlen, weil die die Pappen aufmachen. Und bei euch hat man das
Gefuehl, ihr bringts die Pappen nicht auf. Und da weiss ich bei euch:
Das ist eine wilde Mischung aus Linken und Buergerlichen und da kommt
dann eben dieser Brei heraus. Wuerde dieses Diktum nicht mehr
bestehen: 'Nur nicht streiten, weil das kommt nicht gut in der
Oeffentlichkeit', dann kaeme vielleicht hie und da etwas Klares
heraus...

Oellinger: Nehmen wir Verteilungsfragen her: In allen Punkten, die wir
vertreten, sind wir links von der SPOe.

akin: Das heisst aber nicht wirklich was... ich denke da auch an dein
Mindestsicherungskonzept, das war ein bisserl besser als das, was die
SPOe verzapft hat... Das sind diese 'vernuenftigen' Konzepte! Es
gehoert doch aber eine Stimme her, die Klartext spricht.

Oellinger: Grundeinkommen?

akin: Waere mal ein gute idee...

Oellinger: Ich fordere es nicht, ich halte es fuer fatal. Wir haben
ein Grundeinkommen fuer die Asylwerber und dann schau dir an, wie hoch
das ist...

akin: Existenzsicherndes bedingungsloses Grundeinkommen! Davon ist die
Rede!

Oellinger: Ich hab mich immer wieder mit den Konzepten
auseinandergesetzt. Da stell ich mir die Frage, wie finanziert man die
ganze Geschichte. Ich hab dann die anderen Konzepte, die auch von den
Linken immer wieder goutiert werden, bis hin zum dm-Chef... Ich hab
gute Gruende als Linker zu sagen: Nein! Das ist nicht die Antwort,
selbst dort, wo man darueber diskutieren kann, auf einer abstrakten
Ebene ueber die Entkoppelung von Einkommen und Arbeit, selbst dort
muss ich im Stande sein, die Konsequenzen fuer die Gesamtgesellschaft
einigermassen mitzudenken - ich halte das nicht fuer ein gut
durchdachtes linkes Konzept.

Politik der Emotionen

akin: Fuer mich ist das ja auch nur ein Beispiel. Den Gruenen fehlt
einfach der Biss. Ein bisserl Populismus waere nicht schlecht, ein
bisserl Alternativen aufzuzeigen zu unserem Wirtschafts- und generell
politischen System. Die Gruenen wollten doch eine Antipartei sein --
was ist daraus geworden?

Oellinger: Da geb ich dir schon dort recht, wo ich mir denke, ja wir
muessten mehr Aktivismus zeigen. Vielleicht sind wir zu differenziert,
zu rationalistisch, vielleicht tun wir zuwenig die Emotionen
bedienen... -- du kannst mit Emotionen wunderbar Politik machen, das
demonstriert uns die FPOe jeden Tag aufs Neue. Ich lege Wert drauf,
dass es eine einigermassen rationale Politik sein muss. Schon mit
Leidenschaft auch! Ja, ich sehe uns auch manchmal zu sehr in Zahlen
und Ziffern verbohrt. Ich seh auch, was das heisst fuer eine
Parlamentspartei, die in diesem Alltag irgendwelche Konzepte in diesem
parlamentarischen Betrieb liefern soll bzw. etwas, was fuer den
Durchschnittsbuerger irgendwie verstaendlich ist; dass wir uns oft zu
sehr in Details verlieren, und weniger die grosse Perspektive vor
Augen haben. Aber die grosse Erzaehlung koennte auch ich nicht
liefern.

akin: Das ist nicht der Punkt. Ich probier es einmal mit
gesellschaftpolitischen Fragen: Vor vielen Jahren hat man die Gruenen
auch damit verknuepft, dass sie fuer eine liberalere Drogenpolitik
seien. Dann war ploetzlich das Geschrei ueber "Haschtrafiken" und dann
war das abgedreht. Die gruene Jugend durfte da noch ein bisserl was
machen, aber das wars dann schon. Heute heissts:
'Cannabis-Legalisierung interessiert uns nicht, aber wir stehen uns
jetzt unheimlich auf Rauchverbote'. Oder: Irgendjemand sagt auf einer
Landesversammlung: 'Leute, wie stehen wir zum Konkordat?' - Es kommt
sofort ein 'Um Gottes Willen!' Oder: Die Gruene Jugend kommt mit ihrem
'Nimm dein Flaggerl fuer dein Gaggerl' -- der Herr Pilz schreit sofort
auf, was er doch fuer ein Patriot sei! Wo ist da die Kontur?

Oellinger: Die "Flaggerl-fuer-mein-Gaggerl"-Geschichte! Meine Freude
erzeugst du auch nicht mit der Geschichte... Die FPOe, die hat das
gebraucht zum Bestaetigen, sonst hast du damit gar nichts erreicht --
auch nicht die antipatriotische Debatte. Da kann man streiten, wie man
zu einem aufgeklaerten, internationalistischen, nicht-chauvinistischen
Standpunkt kommt, aber ich glaub nicht durch sowas.

akin: Da kann man aber auch die Pappen halten und sagen: 'Das
kommentiere ich jetzt nicht'. Aber nein, es kommt sofort der
Rueckzieher und die Ruege. Entschuldige, aber das ist genau dieses
Gouvernantenhafte eurer Partei. Und speziell von eurer Vorsitzenden,
dieser Obergouvernante. Und die wird mit 96% wiedergewaehlt. Und wenn
in einer Partei jemand mit 96% wiedergewaehlt wird, dann muessten doch
alle Alarmglocken laeuten!? Das sind KPdSU-Mehrheiten! Da stimmt doch
was nicht!

Oellinger: Was stimmt nicht?

akin: Also wenn du das nicht verstehst, hab ich echt ein Problem...

Oellinger: Du musst es auch von dem Aspekt aus sehen, dass der Sascha
(Anm.: Van der Bellen) in seinen letzten Jahren durchaus autoritaerere
Zuege angenommen hat und...

akin: Und seine Nachfolgeprinzessin installiert hat...

Oellinger: Sowas kann man nicht 'installieren'...

akin: Ist aber so passiert. er hat ihr die Partei uebergeben und dann
ist es abgesegnet worden.

Oellinger: Formell gesehen, ist, wenn er zuruecktritt, die
Stellvertreterin die Nachfolgerin fuer die Zeit.

akin: Er hat sie aber als neue Chefin praesentiert.

Oellinger: Ja, jeder hat gewusst, dass das die wahrscheinlichste
Variante sein wird, und die Partei war auch froh darueber.

akin: Es gibt bei euch aber keine Gegenkandidaten mehr, das ist so wie
bei anderen Parteien. Wo ist der Unterschied?

Oellinger: Das allein ist noch kein Kriterium. Das drueckt ja auf der
anderen Seite aus, dass viele Leute der Meinung waren, dass es gut
war. Ich schaetze ja auch den Sascha, aber ich hatte zunehmend
Probleme mit bestimmten Verengungen von seiner Seite. Die Partei, der
Klub haben durchgeatmet, dass diese Verengungen nachher wegwaren. Und
die Eva (Anm.: Glawischnig) hat das Klima ermoeglicht, dass man dann
offen weiterdiskutieren konnte... das Gouvernantenhafte moechte ich
als Vorwurf gerne wegbringen von ihrer Person, das ist etwas, was ich
selber an den Gruenen bemerke, dass wir aufpassen muessen, das wir
nicht nur als Verbotspartei wahrgenommen werden. Auf der anderen Seite
sind wir halt eine Partei, die der Meinung ist, dass man mit
Regulierungen was machen muss, anstatt alles auf dem freien Markt dem
freien Spiel der Kraefte zu ueberlassen.

akin: Aber der Hackler im Wirtshaus, fuer den ihr eigentlich da sein
wollts, ist angefressen. Was soll dieser Nichtraucherwahnsinn?

Oellinger: Ich bin nicht der Berufenste dafuer. (Lacht.) Die Ordnung,
die es heute gibt, in den Restaurants, finde ich nicht so schlecht.
Das ist eine kulturelle Geschichte. Aber der Zustand vorher, wo die
Nichtraucher von den Rauchern eingepofelt worden sind, war auch nicht
gut.

akin: Es kommt einfach so rueber: Das sind solche BoBo-Themen. Es ist
bitte kein Wunder, wo werden die Gruenen gewaehlt? In Favoriten oder
in Neubau? Na selbstverstaendlich in Neubau. Die sogenannten
"bildungsfernen Schichten", die koennen mit euch genau gar nix
anfangen. Angeblich seid ihr fuer sie da, aber sie merken nichts
davon.

Oellinger: Also ganz so ist das nicht, aber das hat historische
Gruende. im Unterschied zu den deutschen Gruenen, die immer in den
Gewerkschaften Positionen uebernehmen konnten, ist es bei uns so, dass
die AUGE oder GE zwar eine anerkannte, aber auch kleine Fraktion war,
die man nach Tunlichkeit auch klein halten wollte. Nur ein Beispiel:
bei der Koalition in Oberoesterreich (Anm.: gemeint ist das
gruen-schwarze Zusammengehen 2003) haette es eine andere Alternative
gegeben, naemlich eine Koalition mit der SPOe mit Duldung der FPOe.
Die SPOe hat damals gesagt, lasst uns die Sache mit der FPOe machen,
wir sorgen dann schon dafuer. Die Gruenen haben damals Gott Sei Dank
gesagt: 'Aber sicher nicht'. Das Zweite, was damals von der SPOe
gekommen ist, war, wenn ihr die Koalition machts, dann: Freier Zugang
zu den Gewerkschaften. Und das ist eine heftige Geschichte!

Kein Zaehnefletschen

akin: Zum Abschluss, sag mir bitte, warum ich als Linker und Raucher
die Gruenen waehlen soll?

Oellinger: Ich weiss schon was du meinst. Du wuenschst dir im Prinzip
eine zaehnefletschende Gruppe, die das Volk mobilisiert.

akin: Na, nicht unbedingt, mir reichen schon klare Aussagen.

Oellinger: Naja, die klaren Aussagen... Ich sag dir ein Beispiel: als
das LIF ins Parlament eingezogen ist, hat das LIF Positionen
ausgepackt, die immer gruene Positionen waren. Wie das LIF die
Positionen ausgepackt hat, haben die Leute gesagt: 'Poh, jetzt haben
wir endlich eine Partei, die das sagt'.

akin: Na, bei der Konkordatskritik war das gar nicht der Fall.

Oellinger: Das war aber immer auch eine gruene Position.

akin: Naja! Ich sag dir nur eins, das letzte Mal, als ich die Gruenen
gewaehlt habe, war, als Herbert Brunner auf einem Kampfmandat
kandidiert hatte. Weil ich mir gedacht habe, ich moechte einen echten
Sandinisten im Parlament sehen. Und solche Leute haette ich gerne
heute auf euren Listen, dann haette ich einen Grund, euch zu waehlen.
Aber solche Leute kommen nimmer. Warum nicht?

Oellinger: Weil solche Leute mit einer derartigen Geschichte wie der
Herbert immer seltener werden. Die Zeiten der grossen Gewissheiten,
mit denen der Herbert gross geworden ist, an denen er sich abarbeiten
musste, sind vorbei.

akin: Na gut! Lieber Karl, es hat mich sehr gefreut, ich bedanke mich
herzlich fuer das Interview. ###





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