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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. Februar 2012; 04:57
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Urheberrecht:

> Ad ACTA

Ungeordnete Randbemerkungen zu einem vorerst gescheiterten Vertrag,
seinen Geschwisterln und den Protesten


Das "Handelsuebereinkommen zur Bekaempfung von Produkt- und
Markenpiraterie zwischen der Europaeischen Union und ihren
Mitgliedstaaten" (ACTA) ist vorerst einmal als gescheitert anzusehen.
Zum einen liegt das daran, dass in einigen Staaten die Unterzeichnung
des Abkommens oder seine Ratifikation politisch nicht mehr
durchsetzbar ist, zum anderen daran, dass die EU-Kommission den
Vertrag dem EuGH zur Pruefung vorgelegt hat.

Hintergrund dessen sind sicher die massiven Proteste, aber auch eine
kuerzlich ergangene andere Entscheidung des Europaeischen
Gerichtshofs -- der Fall SABAM gegen Netlog NV. Ersteres ist ein
institutioneller Rechteinhaber in Belgien, der zweiteren, den
Betreiber eines Sozialen Netzwerks, per Gerichtsbeschluss zwingen
wollte, Netzfilter einzubauen, die das unerlaubte Hochladen
geschuetzter Werke unterbindet. Die Klage des Rechteinhabers wurde
letztlich vor der europaeischen Instanz abgewiesen. Zwar berief sich
der EuGH auch auf die Verletzung von Persoenlichkeitsrechten der User,
zum anderen fuehrte er auch aus -- und das duerfte fuer das Gericht
das schlagende Argument gewesen sein -- sei es dem Anbieter nicht
zuzumuten, ein derart teures Filtersystem zu installieren und zu
betreiben.

Dabei handelt es sich zwar um etwas andere Rechtsanforderungen wie bei
ACTA, tatsaechlich kann man daher aber annehmen, dass auch dieses
Handelsuebereinkommen nicht nur aus menschenrechtlichen, sondern vor
allem aus oekonomischen Gruenden bei den Autoritaeten mittlerweile
eher unbeliebt ist.

SOPA

Der Verdacht liegt deswegen auch nahe, weil in den USA vor kurzem die
Verabschiedung des "Stop Online Piracy Act" (SOPA) ebenfalls ins
Stocken geraten ist. Es gibt zwar mannigfaltige Bemuehungen zwischen
den beiden Haeusern des Kongresses und dem Oval Office, dieses
Bundesgesetz zumindest noch teilweise zu retten, aber momentan sind
die Chancen eher gering. Hintergrund duerfte auch hier neben der
ziemlich heftigen oeffentlichen Debatte gewesen sein, dass, wie das
eine Abgeordnetendelegation formulierte, dieses Gesetz "das dynamische
innovative Internet" unterminiere. Sprich: Ein zu stark gefiltertes
und kontrolliertes Netz wuerde Gefahr laufen, die enormen
Moeglichkeitsraeume der Gesellschaft und damit auch der Oekonomie
unzulaessig zu beschneiden.

EU-Ebene: IPRED2

Ebenfalls in diesem Zusammenhang zu erwaehnen ist IPRED2. 2004 war die
EU-Richtlinie IPRED (Intellectual Property Rights Enforcement
Directive) beschlossen worden. Die Novelle, die derzeit in Verhandlung
steht, koennte auf EU-Ebene einiges durchsetzen, was mit ACTA jetzt
nicht moeglich sein duerfte. So ist im Entwurf fuer diese Richtlinie
zu lesen: "Um die Wertschoepfungskette der Produktfaelscher zu
unterbrechen, sind geeignete rechtliche Instrumente zu entwerfen und
die Kooperation zwischen Inhabern geistiger Eigentumsrechte und
Uebermittlern zu verstaerken (zum Beispiel Internetprovider,
Spediteure und Auslieferer, Zahlungsdienstleister etc.)". Es koennten
uns also die mit ACTA geplanten Ueberwachungs- und Filtermassnahmen
sehr wohl auf EU-Ebene doch noch draeuen.

Tatsaechlich war ja bei den all den Demoaufrufen vieles behauptet
worden, was so nicht aus ACTA herauszulesen ist -- etliche der
Argumente bezogen sich offensichtlich auf fruehere, aus den
Geheimverhandlungen rausgeschmuggelte Versionen. Dazu kam auch eine
gewisse, in diesem Fall recht hilfreiche Hysterie zustande. Vieles,
was ueber das Abkommen erzaehlt worden ist, ist Interpretationssache.
Denn die Formulierungen sind oft recht schwammig und geben
hauptsaechlich einen Rechtsrahmen ab. Was der Einzelstaat damit dann
macht, liegt weitgehend in dessen Ermessen -- die Behauptung, durch
ACTA wuerden unmittelbar Provider zur Kontrolle aller IP-Pakete
gezwungen oder ACTA waere das "Ende des Internets, so wie wir es
kennen" stimmen so nicht. Eine zwingende Verpflichtung zu allgemeinen
Filter- und Ueberwachungsmodulen bei den Providern kann da nur
schwerlich herausgelesen werden.

ACTA ist lediglich ein weiterer Baustein in einer ganzen Reihe
multilateraler Abkommen und Beschluesse. Da ist die mit 1.April in
Oesterreich geltende Vorratsdatenspeicherung, die zumindest die
Aufbewahrung der Verbindungsdaten verpflichtet macht, weitergehend.
Die Kritik muss also vor allem als Protest gegen das Ensemble all
dieser Rechtsnormen verstanden werden.

Konkretes

Einzig konkret sind nur zwei Verpflichtungen im ACTA, die es aber sehr
wohl in sich haben. Da ist zum einen der Artikel 27, in dem vorgesehen
ist, dass die einzelnen Staaten wirksame Rechtsmittel vorzusehen
haben, damit Rechteinhaber per Gericht Informationen der Provider
ueber Useridentitaeten erzwingen koennen. Zum anderen gibt es den
Artikel 23, der die Vertragsstaaten verpflichtet, fuer derlei Vergehen
gegen Geistiges Eigentum auch strafrechtliche Bestimmungen
einzufuehren -- da allerdings ist bereits auch unklar, ob
Privatpersonen belangt werden koennen oder ob das sich nur auf
kommerzielle Rechtsverletzer bezieht. Allerdings ist gerade diese
Stelle deswegen von Bedeutung, da sowohl im geltenden, nicht
sonderlich weitreichenden IPRED als auch in der nun geplanten Novelle
nur zivilrechtliche Bestimmungen vorgesehen sind. Da der EU im
Allgemeinen keine Richtlinienkompetenz im Strafrecht zugesprochen
wird, waere ACTA fuer die Copyright-Mafia ein wichtiges Argument zur
Kriminalisierung von Filesharern gewesen.

Gummi und Generika

Ueberhaupt sieht man ACTA eine ziemliche Bruechigkeit an. Bei der
Lektuere wirkt es wie zwei verschiedene Abkommen, die man in eines
verschmelzen wollte. Da sind zum einen die explizit das Internet
betreffenden Bestimmungen, die als sehr konkret und verpflichtend
angesehen werden koennen und offensichtlich die Filesharer treffen
sollen.

Zum anderen geht es um "Produktpiraterie", also um kommerzielle
Markenfaelschungen und Patentrechtsverletzungen. Konkret wird es
diesbezueglich nur in den ebenfalls dafuer geltenden
Strafrechtserfordernissen -- alles andere sind Gummiparagraphen und
Kann-Bestimmungen. Daraus resultierten auch die Missverstaendnisse im
Zusammenhang mit patentgeschuetzten Generika. Um gefaehrliche
Medikamentenfaelschungen geht es dabei natuerlich nicht -- fuer ACTA
ist es voellig egal, ob Medikamente den richtigen Wirkstoff enthalten,
wirkungslos oder gar giftig sind. Lediglich der Marken- und der
Patentschutz sind hier interessant. Allerdings haette ACTA nicht fuer
aermere Laender ein Verbot der Produktion von generischen
Medikamenten, fuer die noch ein Patentschutz besteht, bedeutet.
Lediglich waere es moeglich gewesen, damit Handelshemmnisse gegen
Generika-Produzentenstaaten zu rechtfertigen. Aber auch zu solchen
Massnahmen waeren die einzelnen Mitgliedsstaaten nach dem Vertragstext
nicht verpflichtet gewesen. Ein direkter Export von Indien in einen
afrikanischen Staat waere allem Anschein nach von ACTA ueberhaupt
nicht betroffen -- denn der Vertrag waere ja nur zwischen "westlichen
Industriestaaten" zustandegekommen.

Allerdings greift in diesem Bereich bereits das TRIPS-Abkommen, das im
Rahmen der WTO und damit fuer 157 Staaten gueltig ist. Je nach
Interpretation der Kann-Bestimmungen waere ACTA da vielleicht rigider
gewesen, da es im Gegensatz zu TRIPS diesbezueglich keine Ausnahmen
kennt und auch innerstaatliche Massnahmen vorsieht. ACTA haette aber
eben nicht alle WTO-Staaten betroffen.

Remember MAI

ACTA erinnert im Uebrigen in vielerlei Aspekten stark an das vor
mittlerweile eineinhalb Jahrzehnten gescheiterte "Multilaterale
Investitionsabkommen" (MAI). Dieses war zwar sehr viel konkreter, aber
ansonsten gibt es hier sehr viele Gemeinsamkeiten. Da waere einmal die
absolute Geheimhaltung, die lange Zeit nur Geruechte zuliess, und
weswegen auch hier viel behauptet worden war, was so letztlich nicht
der Realitaet entsprach. Das Thema war auch ein aehnliches, ging es
doch gerade darum, dass multinationale Konzerne sich Rechte
herausnehmen wollten, die der Allgemeinheit enormen Schaden zugefuegt
haetten -- damals allerdings im Arbeitsrechts- und Umweltbereich. Und
die Runde der Verhandlungspartner war auch sehr aehnlich: Handelte es
sich beim MAI um die OECD-Staaten, sind diese mit den ACTA-Staaten bis
auf einige wenige Ausnahmen identisch. Auch hier sassen relevante
Staaten wie Russland, China, Indien oder Brasilien nicht mit am
Tisch -- von afrikanischen Staaten ganz zu schweigen. Dennoch ist
klar, dass man bei beiden Verhandlungen genau jene Staaten im Visier
hatte, um diese spaeter dazu zu bringen, diesen Abkommen
zuzustimmen -- einem fertigen Paket also, das nicht mehr zur weiteren
Verhandlung steht.

Als Hintergrund dieser Taktik ist wohl auch der stockende WTO-Prozess
zu sehen. Mittlerweile sind zwar auch China und Russland mit in der
Welthandelsorganisation, aber dadurch werden Verhandlungen nicht
gerade einfacher. Seit Doha 2001 ist zwar der Kreis der Mitglieder
stark angewachsen, inhaltliche Fortschritte sind aber eher weniger zu
verzeichnen. Auch in diesem Licht koennen solche Verhandlungen im
exquisiten Kreis gesehen werden -- nicht nur als neoliberales und
antidemokratisches, sondern auch als imperialistisches Konzept. Denn
an sich sollten derartige Abkommen ja im Rahmen der WTO beschlossen
werden, dazu wurde sie schliesslich gegruendet.

Oeffentlichkeit und Protest

Interessant ist aber an ACTA noch etwas: Der Kampf um unser
Bewusstsein. Denn Artikel 31 macht klar, dass wir, das dumme Volk,
aergerlicherweise immer noch nicht so denken, wie die Obrigkeit das
gerne haette: "Jede Vertragspartei foerdert, soweit es zweckdienlich
erscheint, die Verabschiedung von Massnahmen, die das oeffentliche
Bewusstsein fuer die Bedeutung der Wahrung der Rechte des geistigen
Eigentums und fuer die schaedlichen Auswirkungen der Verletzung von
Rechten des geistigen Eigentums schaerfen." Im Vertrag gibt es also
auch eine Propaganda-Klausel. Und das ist vielleicht das Wichtigste:
Wie wir zu den Herrschaftsanspruechen stehen! Denn ohne die Proteste
wuerden Vertraege wie ACTA sehr schnell verabschiedet --
durchschnittliche Abgeordnete in den diversen Parlamenten sind ja
entweder sowieso der Industrie verpflichtet oder kommen ohne
Hilfestellung erst zu spaet dahinter, was sie da eigentlich
ratifiziert haben.

Problematisch ist dabei nur eines: Die thematisch eingeschraenkte
Mobilisierungsfaehigkeit des Volkes. "Wir sind eine riesige Community,
wo das alle betrifft" meinte kuerzlich in den Fernsehnachrichten der
ACTA-Kritiker Harald Haas. Und das ist ein Problem: Eine
Internetjugend, die tagtaeglich mit dem Internet arbeitet, spielt und
kommuniziert, ist leicht fuer den Schutz des Netzes zu mobilisieren.
Doch geht es derzeit in Europa auch um ganz andere Dinge, wie zum
Beispiel die nun mit dem Argument der Euro-Krise durchgeboxte
Austeritaetspolitik -- in der ganzen Eurozone, speziell aber in den
mit dem recht diffamierenden Kuerzel PIIGS bezeichneten Staaten.
Hierzulande ist da aber kaum jemand so schnell auf die Strasse zu
mobilisieren. Der Schutz des Netzes vor Staat und Kapital ist extrem
wichtig, aber er sollte uns nicht vergessen machen, dass uns derzeit
von dieser Seite noch ganz andere Gefahren drohen. Denn in
Griechenland duerfte ACTA derzeit eher wurscht sein...
*Bernhard Redl*


Links:

ACTA-Volltext (wahrscheinlich letztgültige Fassung vom August 2011):
Auf dem Server des EU-Rats:
http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/11/st12/st12196.de11.pdf
Mirror: http://akin.mediaweb.at/Download/ACTA-Fassung-08-2011.pdf

ACTA-Ueberpruefung durch den EuGH und Widerstand von Staaten (u.a.):
http://www.computerbase.de/news/2012-02/acta-ueberpruefung-durch-den-eugh/

SABAM vs Netlog NV (u.a.):
http://www.dowjones.de/site/2012/02/eugh-soziale-netzwerke-koennen-nicht-zum-filtern-gezwungen-werden.html

SOPA-Einwaende:
https://wwws.whitehouse.gov/petition-tool/response/combating-online-piracy-while-protecting-open-and-innovative-internet

TRIPS, Uebereinkommen ueber handelsbezogene Aspekte der Rechte desgeistigen Eigentums: http://de.wikipedia.org/wiki/TRIPS

IPRED2 (u.a.): http://fm4.orf.at/stories/1694349/

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