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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 22. Februar 2012; 01:48
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"Krise":

> Wozu brauchen wir eigentlich ein Parlament?

Die Idee, den Nationalrat verkleinern zu wollen, ist ein Symptom des
autoritaeren Charakters


Der Parlamentarismus in Oesterreich ist nicht wirklich eine
Erfolgsgeschichte. 1907 hat man nach massenhaften Demonstrationen das
allgemeine und gleiche Wahlrecht eingefuehrt -- zwar nur fuer Maenner,
aber wenigstens waren alle Klassen gleichberechtigt. 1911 wurde
dadurch die Sozialdemokratie die staerkste Fraktion im Reichsrat. 3
Jahre spaeter, noch vor Beginn des 1.Weltkriegs sistierte man das nun
doch etwas unbequem zusammengesetzte Parlament gleich wieder --
behauptetermassen wegen der Obstruktionspolitik der tschechischen
Abgeordneten.

1917 rief man es wieder zusammen, um das beruechtigte
"Kriegswirtschaftliche Ermaechtigungsgesetz" zu beschliessen -- das
dann keine zwei Jahrzehnte spaeter von Dollfuss als Ausrede benutzt
wurde, ohne Parlament Gesetze zu erlassen. Ein paar Abgeordnete
versuchten damals noch, sich doch wieder zu versammeln, doch Polizei
und Bundesheer verhinderten dies.

Im allgemeinen Bewusstsein duerfte aber keine grosse Trauer um das
Parlament gewesen sein, der autoritaere Charakter schaetzt derlei
nunmal nicht besonders. Und dann kam sowieso Hitler.

Als aber der braune Spuk vorbei war und Renner Regierungschef wurde,
konnte sich kaum mehr jemand erinnern, dass es gerade dieser Renner
war, der schon nach dem Vertrag von St.Germain der Meinung gewesen
war, dass ein alleinstehendes Oesterreich eigentlich gar kein
richtiges Parlament gebraucht haette und fuer einen so kleinen Staat
eine Regierung ausreichend Demokratie waere. Doch trotz der
Verdraengung: Die Grundhaltung blieb, auch in der Sozialdemokratie.

In diesem Licht muss man es vielleicht sehen, wie wenig hierzulande
das Parlament geschaetzt wird. Da ist es nur logisch, dass man von
Regierungsseite meint, es kaeme gut an, wenn man im Zuge der
derzeitigen "Reformen" auch ein paar Abgeordnete einspart. Der gruene
Justizsprecher Albert Steinhauser meint dazu in seinem Blog: "SPOe und
OeVP wollen also den Nationalrat verkleinern. Abgesehen davon, dass
die Regierung damit bei jenem Gremium sparen will, das sie
kontrolliert, hat der Plan einen Schoenheitsfehler: das
Einsparungspotential ist praktisch budgetaer irrelevant. Es wird
argumentiert, dass das ein symbolisches Signal waere. Aber welches?
Offensichtlich haelt es die Regierung fuer populaer, bei den
VolksvertreterInnen zu sparen. Das ist Ausdruck einer
antidemokratischen Reflexes, der vermittelt, dass ParlamentarierInnen
eigentlich ueberfluessig sind."

Naja, aber ist unser Parlament nicht wirklich ueberfluessig? Macht man
sich nicht laecherlich, wenn man den Nationalrat ernstnimmt? Sicher:
Wenn man sich die Ideen unserer Verfassung dazu ansieht, so sind diese
im Prinzip gar nicht mal so schlecht. Es gibt auf Bundesebene zwei
legislative Versammlungen, den Nationalrat und den Bundesrat, die
beide eine zwar verbesserungswuerdige, aber doch einigermassen direkte
Legitimation durch das Wahlvolk haben. Die exekutive Gewalt kennt
ebenfalls zwei Institutionen. Da ist zum einen der Bundespraesident,
der direkt vom Volk gewaehlt ist. Zum anderen gibt es die
Bundesregierung.

Bei dieser Konstellation waere prinzipiell eine funktionierender
repraesentativ-demokratischer Rechtsstaat moeglich. Nur der Teufel
liegt im Detail: Die Machtfuelle des Bundesrats ist fast Null. Der
Bundespraesident uebt traditionell "Gewaltverzicht" und beschraenkt
sich auf seine Rolle als netter Gruessonkel. Alle exekutive und
legislative Macht liegt daher faktisch bei der Regierung, deren
demokratische Legitimation nur eine hoechst indirekte ist. Denn der
Vierte im Bunde, der Nationalrat, ist hauptsaechlich dazu da, die
Vorlagen des Ministerrats abzunicken: Dort werden die Gesetze ja von
den bezeichnenderweise oft so genannten "Regierungsabgeordneten"
beschlossen. Und diese koennen gar nicht anders als brav allem
zustimmen, denn sie sind vom Wohlwollen der ersten Reihe der Politiker
ihrer Parteien abhaengig -- und die sitzen in der Regierung.

Jetzt also die Frage: 183 oder 165 Abgeordnete? Die Antwort: Wurscht!
Es wuerde reichen, wenn man bei Wahlen ein "Wahlmaennergremium"
bestimmen wuerde und das waehlt aus, welche Parteien eine Regierung
bilden sollen und wieviele Posten dabei jede Partei bekommt. Es waere
ehrlicher, denn praktisch haben wir ja genau dieses System.

Doch halt, Steinhauser schreibt ja auch von der Kontrolle der
Regierung durch das Parlament. Gibt es die wirklich? Die jetzigen
Untersuchungsausschuesse sind ja recht nett, aber essentiell an der
Politik aendern sie nichts. Sollte tatsaechlich mal die Gefahr
bestehen, dass so ein Ausschuss der Regierung gefaehrlich werden
koennte, wird die Sache entweder ausgesessen oder der Ausschuss mit
Regierungsmehrheit abgedreht -- siehe Eurofighter. Was dann noch der
Opposition bleibt, ist das Anfragerecht -- und selbst bei diesem eher
laeppischen Instrument muss sich die Opposition verarschen lassen,
denn die Antworten der Regierungsmitglieder liegen meistens irgendwo
zwischen "Wir sind eh super!" und "Schmecks!"

Solange daher also die Nationalraete der Regierungsparteien sich
selbst nicht als unabhaengige Abgeordnete, die doch formal nur ihrem
Gewissen verantwortlich sein sollten, ernstnehmen, wird sich daran
nichts aendern.

Daher darf man sich auch nicht wundern, dass dieses Parlament einen
derart schlechten Ruf hat und kaum jemand bereit ist, es auch nur
verbal zu verteidigen.

Doch diese Herabstufung der Parlamente hier und anderswo ist noch
nicht an ihrem Endpunkt angelangt. Gerade in der EU duerfen wir jetzt
eine Trend beobachten, der die Parlamente endgueltig zu
Folkloreveranstaltungen herabwuerdigt. In Italien, in Griechenland und
mit Abstrichen in Rumaenien sehen wir jetzt technokratische
Regierungen, deren Legitimitaet nicht einmal mehr indirekt durch das
Volk gegeben ist. Doch niemand scheint das zu scheren.

Im Prinzip haben wir diese Technokratenregierungen ja sowieso
ueberall -- nur wird das beispielsweise in Oesterreich noch ein
bisserl besser kaschiert. Es ist ja systemimmanent: Eine Regierung
will kein Parlament und keine Kontrolle -- und schon gar keine
Gesetzgebung, die unabhaengig von der exekutiven Gewalt ist. "Checks
and Balances", "Trennung der Gewalten"? Montesquieu ist was fuer
Rechtsphilosophen, Politikwissenschafter und Sonntagsredner. In der
realen Politik darf das aber keinen Platz haben -- eine
Staatsoligarchie will Gesetze erlassen und diese auch selbst
exekutieren. Relevant sind da einzig die befreundeten Geldgeber und
ein paar Spitzenbeamte. So ist der Staat eben und er wird immer zum
Autoritaeren tendieren.

Dennoch: Noch haben wir ein Parlament und noch haben wir auch
Oppositionsabgeordnete, die wenigstens ein bisserl kritisieren koennen
und auch oeffentlich gehoert werden. Zwar ist das eine beinahe voellig
laecherliche Art der Kontrolle der Regierung, aber eben nur beinahe.
Zwar ist der Satz, dass Wahlen nichts veraendern koennten, weil sie
ansonsten verboten waeren, natuerlich vollkommen richtig. Doch es
kommt schon noch auf die Details an. Auch graduelle Unterschiede sind
wichtig. So waere ein echter Parlamentarismus zwar nur eine sehr
behelfsmaessige Form der Demokratie, aber wenigstens einem solchen
sollte man ein bisserl auf die Beine helfen.

Die Institution des Oesterreichischen Parlaments muss lautstark
kritisiert werden, aber im Chor des autoritaeren Parlamentsbashing
mitzumachen, waere alles andere als angebracht.
*Bernhard Redl*



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