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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 13. Dezember 2011; 20:54
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Debatten/Asyl/Zivilgesellschaft:

> Werteverfall

Nicht nur die Judikatur mancher Teile des Asylgerichtshofes
verwahrlost zusehends, sondern leider ist auch im Denken und Handeln
mancher NGO-Teile ein erschreckender Werteverfall festzustellen.

Im November war ich auf dem Asylforum, einer gesamtoesterreichischen
NGO-Konferenz, diesmal in Linz. Dieses Forum wurde 1994 gegruendet und
findet seither alljaehrlich statt. An der ersten Tagung hatten auch
Vertreter des Innenministeriums teilgenommen; 1995 beschlossen wir,
sie nicht mehr einzuladen, da das Forum der Entwicklung gemeinsamer
Strategien der NGOs dienen sollte.

Diesmal las ich zu meinem Erstaunen, dass zwei Vertreterinnen des
Asylamtes als Referentinnen ueber "Aufgaben der Rechtsberatung" auf
dem Programm standen: Alexandra Ecker, Erstaufnahmestelle West, und
Marlene Jungwirth, Asylamt Linz.

Weder in meiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied der Asylkoordination
noch als Obmann einer nicht ganz unbedeutenden Mitgliedsorganisation
war ich vorher gefragt worden, ob ich mit dieser Programmgestaltung
einverstanden bin.

Irgendeine Begruendung, wieso zwei Beamtinnen uns NGOs ueber unsere
Aufgaben belehren sollten, wurde nicht gegeben. Ihre Vortraege waren
auch kaum dazu angetan, meinen Horizont zu erweitern.

Absolut skandaloes war aber, dass ausgerechnet Marlene Jungwirth fuer
diese Aufgabe auserkoren worden war. Jungwirth hat ein schwer
traumatisiertes tschetschenisches Ehepaar (Malika und Rahman) und
deren Kinder drei Jahre lang durch ein voellig rechtswidriges
Aberkennungsverfahren gequaelt und haette die Existenz dieser ohnedies
leidgeprueften Menschen beinahe zerstoert.

Rahman und Malika waren 2004 nach Oesterreich gefluechtet, wegen ihrer
offenkundigen Traumatisierung (sie ist Vergewaltigungsopfer, ihm hatte
man die Zaehne eingeschlagen) hatte ich ihre Zulassung zum Verfahren
rasch erkaempft - aber dann war ihnen Frau Jungwirth zugestossen. Eine
unendliche Geschichte.

Insgesamt dreimal wurden sie von Jungwirth aus Oesterreich
ausgewiesen; dreimal wurde die Ausweisung dank meinen Rechtsmitteln
behoben. Wegen ihrer schweren Traumatisierung hatte der UBAS ihnen
subsidiaeren Schutz gewaehrt; Jungwirth nahm ihn ihnen immer wieder
weg

Jungwirth war es voellig egal, dass Rahman seit Jahren legal
arbeitete. Ihretwegen haette er die Arbeit beinahe verloren. Nur mit
Muehe konnte man den Arbeitgeber ueberzeugen, dass Rahman trotz
Aberkennung noch zur Arbeit berechtigt war. Jungwirth forderte immer
neue Gutachten an, um endlich den gewuenschten Befund zu erhalten,
naemlich dass es Malika und Rahman schon gut genug geht, um
abgeschoben zu werden!

Nach jahrelangem Pingpong zwischen Asylamt und Asylgerichtshof habe
ich dieses Verfahren heuer endlich zu einem guten Ende gebracht. Der
Asylgerichtshof erklaere die Ausweisung fuer auf Dauer unzulaessig.
Die Familie ist nun zur Niederlassung in Oesterreich berechtigt und
hat hoffentlich nie wieder etwas mit dieser Jungwirth zu tun.

Und ich haette erwartet, dass daher eine Asylkoordination, die diesen
Namen verdient, alles tut, um diese Jungwirth aus der Beamtenschaft zu
entfernen.

Stattdessen wurde uns diese Person nun als Vortragende praesentiert!
Das war nicht zu tolerieren. Gleich nach ihrem belanglosen Statement
meldete ich mich zu Wort:

"Frau Jungwirth, wie geht es Ihnen, wenn Sie einen Menschen kaputt
machen? Geht es Ihnen gut dabei? Diese Frage ist mit ja oder nein zu
beantworten."

Jungwirth, voellig ueberfordert: "Diese Frage beantworte ich nicht."

Ich antwortete: "Frau Jungwirth, ich ermittle gegen Sie wegen Ihrer
Verstoesse gegen das Menschenrecht. An diesem Verfahren haben Sie
mitzuwirken. Erinnern Sie sich an Malika und Rahmat?"

Jungwirth, mit leiser Stimme: "Koennen wir das nicht in der Pause
diskutieren?" Ich: "Oh nein, darueber reden wir oeffentlich. Und es
ist auch keine Diskussion, sondern eine Befragung."

Ich benuetzte konsequent dieselben Begriffe ("Befragung",
"Mitwirkungspflicht") wie die Asylbehoerden bei Einvernahmen;
Jungwirth, die sich einen Augenblick lang in der Rolle ihrer Opfer
wiederfand, schien den Traenen nahe.

Da kam ihr die andere Beamtin, die aus aus der Erstaufnahmestelle,
troestend zu Hilfe und sagte: "Wir gehen. Es wird zu emotional."

Jungwirths taegliche Opfer (von denen ich so manche in meinem
Beratungszimmer weinen sah) waeren froh, koennten sie sich so einfach
aus der Affaere ziehen.

Was mich am meisten bestuerzt, ist aber, dass ich diese Sache alleine
durchziehen musste, dass mich niemand aus der versammelten Runde
unterstuetzte. Offenbar war diese Jungwirth, und was sie den
Fluechtlingen antut, den meisten Leuten dort ganz egal. Oder zumindest
regte sich niemand genug auf, um etwas gegen ihre Anwesenheit zu tun.

Immerhin, ein Volkshilfekollege versicherte mir, die
oberoesterreichischen NGOs seien in die Einladungspolitik nicht
eingebunden gewesen; auch ihn habe es "gerissen", als er den Namen
Jungwirth auf dem Programmzettel las.

Ansonsten aber: peinliches Schweigen. Ein erschreckendes Symptom fuer
einen Werteverfall innerhalb der NGO-Szenerie.

Immerhin sind in den vergangenen Jahren neue, junge Kraefte
herangewachsen, die Aktionen durchgefuehrt und Abschiebungen
verhindert haben. Sie waren offenbar zu diesem "Asylforum" nicht
eingeladen. Oder aber es hat sie (warum wohl?) nicht allzu sehr
interessiert.

Es wird Zeit, die NGO-Szene gruendlich aufzumischen, zu verjuengen und
zu radikalisieren. Zeit wohl auch fuer einen Neustart der
Asylkoordination.
*Michael Genner*



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