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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 2. November 2011; 22:55
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Ueberwachung:

> Der Polizeistaat steckt im Detail

Die SiPolG-Novelle steht zur Beschlussfassung an.
Hoechste Zeit, sie sich genauestens anzusehen.
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Im Juli 2011 ereigneten sich die Attentate von Oslo und Utoya. Der
Zeitpunkt war fuer unsere Innenministerin optimal. In der sommerlichen
Flaute konnte flugs eine neuerliche Runde in der Erweiterung der
Polizeibefugnisse angegangen werden, ohne dass damals die
Oeffentlichkeit viel darueber diskutieren konnte.

Nun ist die Begutachtungsphase ueber die Novelle des
Sicherheitspolizeigesetzes und zweier weiterer Normen beendet. Die
Kritik vieler NGOs und Institutionen faellt zum Teil vernichtend aus.
Stellvertretend fuer viele schreibt der "Verein fuer Internet-Benutzer
Oesterreichs" (VIBE) in seiner Stellungnahme: "In den letzten zehn
Jahren ist mit dem Argument der Terrorismusbekaempfung eine Sammlung
an Gesetzen entstanden, welche -- im Namen der Sicherheit --
buergerliche Rechte und Freiheiten einschraenken. In diesem Kontext
ist auch die jetzt vom Innenressort, als Reaktion auf die Anschlaege
in Oslo, eingebrachte Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes zu
betrachten. Es faellt zunaechst einmal auf, dass sich die Reaktion der
oesterreichischen Regierung grundsaetzlich von der der norwegischen
unterscheidet: Waehrend die norwegische Regierung betont, dass die
einzige Reaktion auf Terror eine Staerkung der Demokratie ist, will
die oesterreichische Regierung wieder einmal buergerliche Rechte
beschraenken." Aehnlich aeussert sich die OeH: "Die geplanten
Aenderungen im gegenstaendlichen Gesetzesentwurf weiten die Befugnisse
der Sicherheitsbehoerden auf jene eines Nachrichtendienstes aus. Die
Polizei und das Bundesamt fuer Verfassungsschutz, das als einzige
Organisationseinheit der Sicherheitsbehoerden, die erweiterte
Gefahrenerforschung vollzieht, wird so mit Exekutiv- und
nachrichtendienstlichen Befugnissen ausgestattet und so zu einem
Geheimdienst aufgeruestet. Der Entwurf traegt in einer
Gesamtbetrachtung demokratiefeindliche Zuege."

Nun enthaelt diese Novelle aber gar keine grossen "Haemmer", die auf
den ersten Blick grosse Empoerung hervorrufen koennten. Es handelt
sich bei den geforderten Gesetzesaenderungen hauptsaechlich um
kleinere Details. Doch bekanntlich fuehlt sich in diesen der Teufel
ganz besonders wohl. Erstens sind diese Aenderungen wohl im Lichte der
Vermutung einer ausgepraegten Salamitaktik alles andere als harmlos
und lassen die naechsten Schritte schon erahnen. Zweitens sind viele
der neuen Formulierungen so schwammig, dass sie getrost als
Gummiparagraphen angesehen werden koennen. Zwar sind in den
Erlaeuterungen sehr konkrete Begruendungen nachlesbar, doch haben
diese nunmal keine Gesetzeskraft. Im Zweifel ueber die Anwendung von
unklar formulierten Gesetzen sieht zwar die angeblich geltende
Rechtslehre die "historische Interpretation" vor (also das
Nachschlagen in den Begruendungen des Gesetzesinitiators, um die Idee
hinter dem Gesetz zu ergruenden), allerdings wissen wir spaetestens
seit den Tierrechtsprozessen, dass dies in Oesterreich mittlerweile
unueblich geworden ist.

Die Kritikpunkte im Einzelnen:

§21/3 SiPolG soll in Zukunft lauten: "Den Sicherheitsbehoerden obliegt
die erweiterte Gefahrenerforschung; das ist die Beobachtung 1. einer
Person, die a) sich oeffentlich oder in schriftlicher oder
elektronischer Kommunikation fuer Gewalt gegen Menschen, Sachen oder
die verfassungsmaessigen Einrichtungen ausspricht, oder b) sich Mittel
und Kenntnisse verschafft, die sie in die Lage versetzen, Sachschaeden
in grossem Ausmass oder die Gefaehrdung von Menschen herbeizufuehren,
und damit zu rechnen ist, dass sie eine mit schwerer Gefahr fuer die
oeffentliche Sicherheit verbundene weltanschaulich oder religioes
motivierte Gewalt herbeifuehrt, oder 2. einer Gruppierung, wenn im
Hinblick auf deren bestehende Strukturen und auf zu gewaertigende
Entwicklungen in deren Umfeld damit zu rechnen ist, dass es zu mit
schwerer Gefahr fuer die oeffentliche Sicherheit verbundener
Kriminalitaet, insbesondere zu weltanschaulich oder religioes
motivierter Gewalt kommt."

Man koennte das auch so formulieren: Wenn ein Polizist einfach nur
etwas "befuerchtet", darf er unkontrolliert irgendwelche Menschen
ueberwachen. Allerdings war derlei schon bislang gegen verdaechtige
Gruppierungen moeglich. Nun soll dies auch fuer Einzelpersonen gelten.
Und die neue Formulierung "elektronische Kommunikation" laesst es zu,
dass als Begruendung fuer die Ueberwachung nicht nur ein Foreneintrag,
sondern sogar ein einfaches eMail ausreicht.

Auf einen speziellen Aspekt weist aber der "Oesterreichische
Journalisten Club" (OeJC) hin: "Journalisten arbeiten selten im
Kollektiv und verfassen ihre Artikel allein. Eine Ausweitung auf
Einzelpersonen im Sinne des Gesetzentwurfes trifft in erster Linie
gesellschaftspolitische, kritische, investigative Journalisten obwohl
sie sich medienrechtlich im Rahmen der Gesetze bewegen. Gerade die
Bestimmungen des §21 Abs. 3 setzen jeden Journalisten einer
,erweiterten Gefahrenerforschung' durch die Polizei ohne richterliche
Kontrolle aus, wenn diese im ,fremden Milieu' recherchieren. Dies
verstoesst gegen die Freiheit der Recherche und damit der
Berichterstattung."

Was ist eine Besetzung?

Neu hinzukommen soll der §38/5: "Besetzt ein Mensch ohne Duldung des
Besitzers ein Grundstueck oder einen Raum, haben ihn die Organe des
oeffentlichen Sicherheitsdienstes von dort wegzuweisen, wenn die
Besetzung einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Besitzers
darstellt und dieser die Wegweisung verlangt."

Die Raeumung von Hausbesetzungen war bislang nur mit Hilfe gewagter
Rechtskonstruktionen moeglich. Mit dieser Bestimmung muss sich kein
Polizeijurist mehr verrenken. Die Umweltorganisation VIRUS weist in
ihrer Stellungnahme auf den politischen Gehalt hin: "Von der
Oeffentlichkeit auch mit dem Wort Besetzung versehene Aktivitaeten
haben zu positiven Entwicklungen gefuehrt, die breite Akzeptanz
gefunden haben. Dazu zaehlen etwa die Erhaltung einer der beiden
letzten freien Fliessstrecken an der oesterreichischen Donau und die
Schaffung des international anerkannten "Nationalparks Donauauen" vor
nunmehr 15 Jahren, aber auch die von der sogenannten "Arenabesetzung"
1976 initiierten soziokulturellen Impulse." Besetzungen generell zu
illegalisieren sei daher "kontraproduktiv und birgt Fallen fuer
BuergerInnen in der Ausuebung grundlegender Menschenrechte".

Speziell aber die Tatsache, dass nirgendwo definiert ist, was denn
eigentlich eine "Besetzung" sei, und die Gueltigkeit auch fuer
Einzelpersonen erscheint problematisch. So sieht zum einen auch hier
wieder der OeJC speziell seine Mitglieder gefaehrdet, die nun auch
noch viel einfacher weggewiesen werden koennen -- Pressefreiheit im
Sinne von Recherchierfreiheit gilt in Oesterreich ja sowieso nur fuer
ausgewaehlte Medien. Auf einen anderen Aspekt weist die Stellungnahme
von Greenpeace hin: "Der Entwurf definiert nicht, wann ein Grundstueck
durch eine einzige Person ,besetzt' gilt. Diese Bestimmung scheint die
Wiedereinfuehrung der ,Vagabundengesetze' im Auge zu haben,
ermoeglicht aber auch ein Vorgehen gegen einzelne Buerger, die etwa
der Behoerde oder einem Unternehmer laestig sind."

Heimatschutz

In §53/1 heisst es auch bisher schon: "Die Sicherheitsbehoerden
duerfen personenbezogene Daten ermitteln und weiterverarbeiten..."
Hernach folgt eine taxative Aufzaehlung. Hinzugefuegt werden soll nun
der Punkt 7: "fuer die Analyse und Bewertung des Bestehens einer
Gefaehrdung der verfassungsmaessigen Einrichtungen und ihrer
Handlungsfaehigkeit durch die Verwirklichung eines Tatbestandes nach
dem Vierzehnten und Fuenfzehnten Abschnitt des Strafgesetzbuches." Das
betrifft Delikte wie Hochverrat oder Spionage, aber auch die "Bildung
staatsfeindlicher Verbindungen" und den nicht gerade sehr
demokratischen §248, "Herabwuerdigung des Staates und seiner Symbole".
Damit ist jeder Mensch in Oesterreich, dessen Liebe zu diesem Staat
nicht 150%ig ist, ein Fall fuer die polizeiliche Datenbank.

Ruf doch mal an!

In §53/3b soll einfach nur eine kurze einschraenkende Wortfolge
entfallen. Der Abschnitt behandelt die Handyortung in
Gefaehrdungssituationen. Den Hintergrund der geplanten Streichung
erfaehrt man aus den ministeriellen Erlaeuterungen: "Mit der
vorgeschlagenen Regelung soll verhindert werden, dass die
Beauskunftung von Standortdaten zur Hilfeleistung oder Abwehr einer
gegenwaertigen Gefahr fuer Leib und Leben und damit die Erfuellung der
Aufgabe nur deshalb nicht erfolgen kann, weil diese Gefahr nicht dem
Telefoninhaber, sondern einer anderen Person droht."

Mit einer phantasievollen Auslegung kann damit so ziemlich jede Ortung
legitimiert werden. Aus der Stellungnahme der OeH: "Die Bestimmung
fuehrt im Ergebnis dazu, dass von jeder Person, die mit einer akuten
Gefahr in Zusammenhang gebracht werden kann, Handystandortdaten ohne
gerichtliche Kontrolle ermittelt werden koennen. Unkontrollierte
Eingriffe in das Fernmeldegeheimnisses und Recht auf Achtung des
Privat- und Familienlebens durch die Sicherheitsbehoerden waeren die
Folge. Die Strafprozessordnung sieht jedoch zu Recht derartige
Eingriffe in Grundrechte nur in besonderen Faellen und mit Kontrolle
durch unabhaengige Gerichte vor. Im Uebrigen ist darauf hinzuweisen,
dass von Begleitpersonen, die ebenfalls gefaehrdete Personen sind,
schon nach derzeitige Rechtslage deren Handystandort durch die
Sicherheitsbehoerden ermittelt werden kann. Handelt es sich bei der
Begleitperson um keine gefaehrdete Person, wird diese im Wege eines
normalen Anrufs erreichbar sein."

"Technische Mittel"

Ein aehnlich verwaschene Formulierung bietet der geplante: §54/2a:
"Zur Unterstuetzung der Observation ist der Einsatz technischer Mittel
zur Feststellung des raeumlichen Bereichs, in dem sich die beobachtete
Person oder der beobachtete Gegenstand befindet, zulaessig, wenn die
Observation sonst aussichtslos oder erheblich erschwert waere."

In den Erlaeuterungen wird ein Anwendungszweck fuer diese neue Passage
geschildert. Der Einsatz "technischer Mittel (wie eines Peilsenders)
als 'verlaengertes Auge' des Observanten" sei etwa bei Observationen
in dichtem Stadtverkehr erforderlich, weil hier die "Gefahr des
Verlierens naturgemaess gegeben" sei.

Die OeH dazu: "Der Einsatz technischer Mittel sollte den
Strafverfolgungsbehoerden vorbehalten sein." Ausserdem sei der Begriff
der technischen Mitteln "zu weit gefasst". Wie weit das gehen koennte
und dass Peilsender noch relativ harmlose Mittel waeren, darauf
verweist der Computerexperte Erich Moechel am FM4-Blog: "Um zum
Beispiel feststellen zu koennen, ob sich der Verdaechtige vor seinem
Computer befindet, kann die Kamera des Rechners als 'verlaengertes
Auge' von ferne freigeschaltet werden. Ebenso koennen Screenshots
angefertigt oder Tastaturanschlaege mitgeschrieben werden. Dazu bedarf
es allerdings eines Trojaners, einer Schadsoftware, wie sie von
Kriminellen benutzt wird, um die Rechner ihrer Opfer fernzusteuern
oder Passwoerter auszuspionieren. Wegen zweier exakt so gelagerter
Faelle ist Oesterreichs Polizei in den vergangenen Tagen ins
Schussfeld geraten, seit die Hacker des Chaos Computer Clubs den
Quellcode des deutschen 'Staatstrojaners' veroeffentlicht hatten. Der
Hersteller, Polizei- und Geheimdienstausruester DigiTask, hatte in
Folge angegeben, diese Software auch an Oesterreichs Behoerden
geliefert zu haben. [...] In der Verkaufspraesentation der Firma
DigiTask wird das Verfolgen 'nomadischer Ziele' denn auch als wichtige
Funktion ihrer 'Remote Forensic Software' beschrieben". Die Bestimmung
ueber die "technischen Mittel" waere also bereits ein rechtliches
Hintertuerl fuer eine rudimentaere "Online-Durchsuchung" -- ohne
richterliche Kontrolle, versteht sich.

Kottan, uebernehmen Sie!

Und besonders schoen ist natuerlich der brandneue §83b. Dort heisst
es: "Wer unbefugt eine [Anm.: auf dem Verordnungsweg so definierte]
grafische Darstellung der Sicherheitsbehoerden oder Polizeikommanden
in einer Weise verwendet, die geeignet ist, eine oeffentliche
Berechtigung vorzutaeuschen oder das Ansehen der Sicherheitsexekutive
zu beeintraechtigen, begeht eine Verwaltungsuebertretung [...]"

Amtsanmassung war schon bisher strafbar. Also was soll diese
Bestimmung? VIRUS sieht darin ein "Kottanverbot". Denn genau das
passierte bei Kottan -- unter anderem mittels Polizeischriftzug wurde
die Polizei laecherlich gemacht. Die Bestimmung komme einer Art
"Karikaturenverbot" gleich, so die Umweltgruppe: Dies stelle "einen
potenziellen Eingriff in die Freiheit der Kunst, der Medien und das
Grundrecht auf freie Meinungsaeusserung dar". Und das waere wohl erst
der Anfang: "In Trendfortschreibung wuerde im naechsten
Gesetztesentwurf dann im Interesse des Ansehens der
Sicherheitsexekutive das Witzemachen oder Lachen ueber die Polizei
verboten werden".

Und das ist wahrscheinlich der Punkt: All diese "Anpassungen", all
diese "Schliessungen von Gesetzesluecken", all diese
"Harmonisierungen" oder wie das Wording auch immer lauten mag, sind
fuer sich betrachtet zwar ungut, aber nicht der Riesenskandal. Schon
deswegen nicht, weil die Polizei schon heute mehr macht, als ihr
erlaubt ist. Doch die Parallelitaet in der Salamitaktik zum Beispiel
in Sachen des Fremdenrechts ist deutlich erkennbar. Wie sich der Staat
in seiner Gier nach neuen Polizeibefugnissen weiterentwickeln wird,
bleibt daher nicht abzuwarten, sondern ist absehbar, wenn da nicht
massiv von der Zivilgesellschaft Widerstand geleistet wird.
*Bernhard Redl*

Quellen u.a.:
Gesetzesentwurf, Erlaeuterungen und Stellungnahmen:
http://www.parlinkom.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/ME/ME_00313/index.shtml
Moechel am FM4-Blog: http://fm4.orf.at/stories/1689600/



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