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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Oktober 2011; 21:54
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Debatte:

> Prostitution -- Kein Beruf wie jeder andere

Was Liberale als Sexarbeit schoenreden, ist und bleibt ein
unreformierbares Unterdrueckungsverhaeltnis.


Wien. Seit Monaten gehen beim Problemdreieck Anrainer-Politik-Polizei
die Wogen hoch, wenn in der oeffentlichen Diskussion das Reizwort
Prostitution faellt. Dabei geht es in der aktuellen Debatte weniger um
Prostitution an sich als vielmehr um den Ort, an dem sie angeboten
wird. Es ist der Stadtregierung zunehmend laestig, dass Frauen und
Maenner ihre Koerper des naechtens auch in Wohngebieten feilbieten,
und darum soll die Strassenprostitution aus diesen oeffentlichen
Raeumen verbannt werden. Im Idealfall sollte sich ohnehin alles im
Bordell abspielen. So erklaerte etwa SPOe-Landesraetin Frauenberger im
vergangenen Winter noch, dass man schnell handeln muesse, noch "bevor
es waermer wird" und die Prostitution sich wieder vermehrt draussen
abspielt, um Massnahmen zur Verschiebung oder gar Verhinderung der
Strassenprostitution zu ergreifen. Diese Diskussion erinnert an das
"Sandler-Verbot", das in einigen Staedten Oesterreichs Gegenstand
wilder Debatten in den entsprechenden politischen Gremien ist.
Gemeinsam haben beide Forderungen, dass sie gar nicht die Absicht
verfolgen, das Phaenomen Prostitution zu hinterfragen, sondern es
schlicht aus dem Bewusstsein der Bevoelkerung - quasi "aus den Augen,
aus dem Sinn" - bringen wollen.

Vorarlberg. Im westlichsten Bundesland ticken die Uhren anders.
Prostitution gibt es hier offiziell nicht und spielt sich
hauptsaechlich in geschaetzten 75 Geheimbordellen ab. Nicht, dass
kaeuflicher Geschlechtsverkehr hier prinzipiell verboten waere: Die
Landesverfassung gibt es den jeweiligen Gemeinden frei, ein Bordell
auf ihrem Gebiet zu genehmigen; nur scheiterte dies bislang am
Widerstand der jeweiligen GemeindevertreterInnen. Aus diesem Grund
fordern die Gruenen, die Kompetenz ueber die Bordellbewilligung in
Landeshand zu uebergeben, um eine Neubewertung der Prostitution zu
erreichen. "Sexdienstleistungen sind Bestandteil unserer Gesellschaft,
die betroffenen Frauen gehoeren endlich entkriminalisiert, auch in
Vorarlberg", meint die Frauensprecherin der Gruenen. Aehnlich wie in
Wien wird auch hier Prostitution als gegeben akzeptiert; die Gruenen
sehen es als ihre Aufgabe, einem Ist-Zustand - eben der
"Sexdienstleistung" als Bestandteil unserer Gesellschaft - den
notwendigen gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmen zu
geben. Die oeffentliche Hand soll der Rotlichtbranche geregelte
Bedingungen schaffen.

Realitaet und "Realitaet"

Pro Nacht suchen allein in Wien 16.000 Freier die Dienste von 5.000
bis 9.000 Prostituierten auf. Nur 2.000 davon sind registriert. Die
typische Prostituierte in Oesterreich ist weiblich, arbeitet illegal,
hat keine oesterreichische Staatsbuergerschaft und uebt ihre
Taetigkeit unter persoenlichem oder oekonomischem Zwang aus. Man geht
davon aus, dass alleine in Europa 140.000 Frauen zur Prostitution
gezwungen werden. Den meisten wird, wie eine betroffene Frau in einem
Artikel der "Presse" gegenueber berichtet, in ihrer Heimat eine "irre
gute Geschichte" erzaehlt. Sie, die in ihrem Geburtsland kaum eine
Perspektive haben, werden mit Versprechungen wie gut bezahlte Jobs als
Kindermaedchen oder Friseurin nach Westeuropa gelockt. Doch dort
wartet auf sie nicht das ertraeumte bessere Leben. Elend und
Erniedrigung sind noch harmlose Ausdruecke fuer das, was sie in der
neuen "Heimat" tagtaeglich erleiden. Viel besser geht es ihren
Kolleginnen mit oesterreichischer Staatsbuergerschaft allerdings auch
nicht. Der Schritt zur Prostitution ist auch fuer sie in den meisten
Faellen keine Entscheidung aus freien Stuecken sondern ein Resultat
oekonomischer Zwaenge.

Wie ist Prostitution daher zu charakterisieren? Ist Sex wirklich eine
normale Arbeit angesichts der Realitaet, mit der Prostituierte
konfrontiert sind? In der umfassendsten weltweiten Studie zur
Prostitution unter der Fuehrung der Forscherin Melissa Farley gaben
89% der Betroffenen auf die Frage "Was brauchst du?" eine klare
Antwort: "Ausstieg aus der Prostitution". Sie gaben gleichzeitig an,
dass sie keine andere Ueberlebensmoeglichkeit haetten.

Wie ist nun also eine Politik zu bewerten, die diese Realitaet
vollkommen uebersieht - genau mit dem Argument, auf die "Realitaet"
eingehen zu wollen? Prostitution ist kein abstraktes Thema, sondern
fuer tausende Menschen ein konkretes, alltaegliches, existenzielles
Problem. Der Terminus "Sexarbeit" verschleiert dies, weil er vorgibt,
Sex sei eine normale Arbeit wie jede andere. Angesichts des
Zwangscharakters, den diese "Arbeit" fuer die meisten hat, entspricht
das aber offensichtlich nicht der Realitaet.

Relikte des Elends

Fuer eine sozialdemokratisch dominierte Stadtregierung wie in Wien
sowie die Gruenen in Vorarlberg ist der Standpunkt zu dieser Realitaet
daher nicht unbedeutend, stellt sich doch die Folgefrage des Menschen-
und Gesellschaftsbildes der entsprechenden Partei. Wer das Phaenomen
Prostitution als gegeben akzeptiert und sich mit deren Verwaltung
begnuegt, paktiert - ob gewollt oder nicht - mit dem Menschenhandel
und nimmt das Elend von tausenden Menschen, ueberwiegend Frauen, in
Kauf. Aus marxistischer Sicht ist Prostitution qualitativ nicht anders
zu bewerten als etwa Kinderarbeit oder Sklaverei. Alles sind Relikte
alter Gesellschaftsformen, die die Zeit ueberdauert haben und nach wie
vor das Elend jener, die ihnen unterworfen sind, manifestieren.
Vernuenftige SozialdemokratInnen und Gruene wuerden niemals einen
gesetzlichen Rahmen fuer Kinderarbeit oder Sklaverei "als Bestandteil"
der Gesellschaft fordern. Ebenso widersinnig ist der Versuch, der
Prostitution ein menschliches Antlitz zu geben. Untermauert wird dies
durch ein weiteres Ergebnis der oben genannten Studie, wonach 71% der
Befragten waehrend der Prostitution koerperlich bedroht - davon 64 mit
Waffe - und 63% vergewaltigt wurden. Elend und Prostitution sind zwei
Seiten derselben Muenze. In welchem "normalen" Beruf gehoert die
Gefahr, vergewaltigt zu werden, zu den tagtaeglichen Aengsten?
Prostitution schliesst Elend, Gewalt und Perspektivlosigkeit mit ein.
Darum gehoert sie beseitigt, nicht geregelt.

Es mag eingewandt werden, dass im Kapitalismus Prostitution als
Begleiterscheinung der buergerlichen Kleinfamilie immer einen gewissen
Faktor darstellen wird, und das ist korrekt. Entscheidend ist aber, ob
sich die ArbeiterInnenbewegung damit abfindet oder bewusst fuer die
Befreiung der - in diesem konkreten Fall meist weiblichen -
Prostituierten kaempft.
(Lukas Riepler, SPOe Vorarlberg / gek.)

Quelle: http://www.derfunke.at/html/index.php?name=News&file=article&sid=1925
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Anmerkung der Redaktion: Wir sind zwar der Meinung, dass Verbote des
"aeltesten Gewerbes der Welt" nichts bringen, dennoch koennen wir der
Kritik des Autors (dessen Text wir der "Funke"-Homepage entliehen
haben) einiges abgewinnen, da wir auch zum Thema Prostitution und dem
politischen Umgang damit mehr unterschiedliche Meinungen als
Redaktionsmitglieder haben. Denn die beschriebenen
Ausbeutungsverhaeltnise sind natuerlich evident. Unserer Ansicht nach
sollten die angesprochenen Ansaetze mehr diskutiert werden und wir
bitten in diesem Fall ganz besonders um Reaktionen!



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