**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. Oktober 2011; 23:05
**********************************************************

Wien/Medien/Soziales:

> Was wir vom vermutlich massiven Vertrieb gefaelschter
> Augustin-Auflagen halten

Eine Medien-Mitteilung der *Strassenzeitschrift "Augustin"*

Die Polizei bestaetigte kuerzlich einen Bericht der
«Niederoesterreichischen Nachrichten» (NOeN), wonach in der Slowakei
nicht nur Ausweise fuer Augustin-Verkaeufer_innen, sondern auch die
Zeitung selbst gefaelscht werde. Ein slowakischer Staatsbuerger, der
vor der Billa-Filiale in Ebreichsdorf, Bezirk Baden, die gefaelschten
Augustin-Exemplare vertrieben hat, soll gestanden haben, dass der
nachgemachte Augustin um zehn Cent pro Stueck zu haben ist. Damit
koenne die Strassenzeitung mit dem ausgewiesenen Verkaufspreis von
2,50 Euro mit einer verlockend attraktiven Gewinnspanne vertrieben
werden. Regulaere Verkaeufer_innen des Augustin muessen die Zeitung im
Wiener Augustin-Buero um 1,25 Euro pro Exemplar erwerben. Dazu stellt
der Herausgeberverein des Augustin fest:

Sollte sich der Verdacht der Faelschung unserer Zeitung und des
organisierten Vertriebs dieser «Raubkopien» bestaetigen, befuerchten
wir schwerwiegende Auswirkungen auf unser Sozial- und Medienprojekt im
Fall einer Kontinuitaet oder Dynamik dieser irregulaeren
Auflagensteigerung. Es waere ein zum Zerplatzen fuehrendes «Wachstum».
Wir sind dabei, moegliche juristische Reaktionen mit Rechtsanwaelten
zu besprechen. An die slowakischen Kolporteurs-Kolleg_innnen, die beim
Augustin registriert sind, appellieren wir, solche
Parallelentwicklungen nicht zu unterstuetzen, auch wenn sie
kurzfristig fuer manche ihrer Landsleute verlockende Verdienste
bedeuten. Langfristig bedroht das illegale Kopieren des Augustin eines
der wenigen Sozialprojekte, das allen Beduerftigen, egal welcher
Nationalitaet, gleichermassen offen steht.

Um den in Ebreichsdorf entdeckten Tatbestand nuechtern beurteilen zu
wollen, muss man den sozial-oekonomischen Hintergrund beachten;
andernfalls werden Menschen aus Osteuropa zu Suendenboecken gemacht,
die die oeffentliche Aufmerksamkeit von den Verursachern der
Wirtschaftskrise abzulenken haben. Die Slowakei ist eine Art
Vorzeigemodell der Neoliberalen. «Die Radikalitaet der slowakischen
Wirtschaftsreformen hat laengst auch das Interesse amerikanischer
Investoren geweckt," lobte die FAZ. Je «radikaler» die
Wirtschaftsreformen, desto groesser die Sozialkuerzungen - dieser
Zusammenhang ist inzwischen unbestritten. Fuer einen Teil der 180.000
slowakischen Sozialhilfeempfaenger_innen hat sich die Regierung
folgendes einfallen lassen: In fuenf Staedten startet im Herbst die
Testphase einer sogenannten «E-Pay-Card». Die finanzielle staatliche
Unterstuetzung gibt es dann nicht mehr in bar, sondern als
Ueberweisung auf eine spezielle Chipkarte. Die Sozialarbeiter_innen
des Landes sollen dazu missbraucht werden, die Nutzung der Karten
exakt nachzuverfolgen. Und wenn sie dabei feststellen, dass es zu aus
ihrer Sicht auffaelligen Einkaeufen (zum Beispiel: «zu viele»
Zigaretten) kommt, koennen sie reagieren - und ein Tageslimit
festsetzen. Dann darf der Arme die monetaeren Zuwendungen nur
gestueckelt ausgeben. Die im Volk grassierenden Vorurteile gegen die
«Sozialschmarotzer_innen» sind also Regierungspolitik geworden.

Wer in dem 5,5-Millionen-Einwohner-Staat Sozialhilfe beantragen muss,
ist schon jetzt arm dran. Eine Alleinstehende bekommt 60,50 Euro pro
Monat, eine Familie mit zwei Kindern 157,60 Euro - bei einem
landesweiten Durchschnittslohn von rund 750 Euro. Viele, die abseits
von Bratislava leben, koennen von diesem Durchschnittslohn nicht
einmal traeumen. Wenn sie noch dazu der Roma-Minderheit angehoeren,
muessen sie froh sein, wenn ein schwerer Hilfsarbeiterjob mit 200 Euro
pro Monat belohnt wird.

Die zwangsweise Preisgabe aller mit Konsum verbundenen Ausgaben ist
menschenrechtlich indiskutabel. Die darin enthaltene Unterstellung,
dass die Menschen, die Sozialhilfe beziehen, nicht mit Geld umgehen
koennen, beinhaltet per se einen Angriff auf die Menschenwuerde,
betonen Jurist_innen. Buergerrechtler_innen vermuten, dass die
«E-Pay_Card» eine weitere Moeglichkeit bietet, die Roma-Minderheit im
Land zu diskriminieren. Zwischen fuenf und zehn Prozent der
Bevoelkerung gehoeren dieser ethnischen Volksgruppe an, mehr als die
Haelfte von ihnen ist auf Sozialhilfe angewiesen.

Vorausgesetzt, der Verdacht der massenhaften Faelschung des Augustin
in der Slowakei war begruendet: Der Herausgeberverein der Wiener
Strassenzeitung, die nach der verkauften Auflage (auch ohne die
irregulaere Zusatzauflage) an zweiter Stelle unter den vielen
europaeischen Strassenblaettern liegt, kann die ueberraschende
Information aus Ebreichsdorf auch auf die Liste seiner
Erfolgsmeldungen setzen. Nur eine soziale Marke, die ein hohes Image
besitzt, verlockt zu Uebertretungen des Urheberrechts. Vermutungen der
Behoerden, dass in der slowakischen Republik moeglicherweise «ein
ganzes Dorf» von den Einnahmen des Augustin-Vertriebs lebe,
bestaetigen (wenn auch auf eine sehr paradoxe Weise) die
«Brauchbarkeit» des Augustin in einem Mass, wie es zur Zeit der
Gruendung vor 16 Jahren nicht einmal in Form utopischer Phantasien
antizipiert haette werden koennen.
###



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.redaktion{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin