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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. September 2011; 22:16
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Sozial/Versicherung:

> Kontraproduktiv, kompliziert, teuer, schlecht

Private Pensionsvorsorge in Theorie und Praxis


Das Gewirr an unterschiedlichen Formen der "privaten Pensionsvorsorge"
ist in den letzten zwei Jahrzehnten fast unueberschaubar geworden.
Jeweils aus unterschiedlichen Gruenden und mit hoechst
unterschiedlichen Zielsetzungen wurden im Husch-Pfusch-Verfahren
verschiedene Elemente der "zweiten und dritten Saeule" des
Pensionssystems geschaffen, die alle miteinander nicht zusammenpassen,
keine Sicherheit bieten und ausserdem Individuum und Gesellschaft viel
Geld kosten. Kein einziges dieser Elemente hat gehalten, was die
Politik bei der Einfuehrung versprochen hat.

Pensionskassen fuer die betriebliche "Altersvorsorge" sind eine Folge
der "Verstaatlichtenkrise" der spaeten Achtziger. Grosse Unternehmen
wie Boehler oder die Voeest bemuehten sich, ihre in der Hochkonjunktur
gegebenen Versprechungen betreffend betrieblicher Zusatzpensionen
auszulagern. Waren betriebliche Zusatzpensionen bis Mitte der
Achtziger aus dem Unternehmen bezahlt (und damit zumindest im Grossen
und Ganzen sicher), so konnten sie ab Beginn der Neunziger an
betriebsexterne Kassen ausgelagert werden. Diese hatten die Aufgabe,
Betriebspensionen nicht im Betrieb ueber Betriebsgewinne zu
"erarbeiten", sondern ueber die Veranlagung am Kapitalmarkt. Den
Betroffenen wurde versprochen, dass ihre Zusatzpensionen sicher seien,
aber eben nur an einem anderen "Ort" angespart" wuerden.

Falsche Versprechen

Bereits Mitte der Neunziger war absehbar, dass diese Versprechungen
nicht gehalten werden konnten. Dennoch wurde der kurze
Konjunkturaufschwung der Jahre 2000 bis Mitte 2001 seitens der
OeVP-Regierung dazu genutzt, weitere Elemente der
kapitalmarktbasierten "Pensionsvorsorge" zu etablieren. Die
"Abfertigung neu" und die so genannte "Zukunftsvorsorge".

Versprochen wurden Renditen von bis zu 7% pro Jahr. Diese
Versprechungen konnten - heute kann mensch sagen - logischerweise nie
eingehalten werden. Es gibt seit dem Jahr 2000 kein einziges Jahr, in
dem mehr als die Haelfte aller Pensionsberechtigten den Wert ihrer
privaten oder betrieblichen Pensionen erhalten konnten. Und Menschen
in der Ansparphase mussten jedes Jahr feststellen, dass ihre Prognose
einen niedrigeren Wert angab, als im Jahr davor. Pech, quasi, dass der
Kapitalmarkt in keinem einzigen Jahr die Versprechen halten konnte,
die Schuessel, Grasser und Co. gegeben haben. Fuer die Betroffenen
jedoch kein Pech, sondern - je nach Position - eine Katastrophe oder
voellig irrelevant. Waehrend Menschen, die "Privatvorsorge" betreiben,
mehr oder minder handlungsunfaehig zusehen muessen, wie ihr Geld immer
weniger wird und in vielen Faellen nicht einmal der Wert der
seinerzeit einbezahlten Beitraege erreicht, koennen Versicherungen,
Banken, Fondsmanager etc. auf Basis fixer Provisions-Prozentsaetze
(oft uebrigens ausgehend von der urspruenglich versprochenen
Performance), Geld verdienen, und zwar unabhaengig davon, ob "Gewinne"
oder "Verluste" eingefahren werden.

Komplizierte (oeffentliche) Foerdersysteme

Doch damit nicht genug: Seit Jahr und Tag schiesst der Staat aus
Steuergeldern noch erhebliche Mittel in diese Systeme; in Systeme, die
fuer die Anspruchsberechtigten nur Verluste bringen, fuer die
Verwalter nur Gewinne. Diese staatlichen Mittel sind nicht einfach zu
berechnen: Auf der einen Seite sind es echte Foerderungen wie etwa in
der "Zukunftsvorsorge", deren primaeres Ziel es war, die Wiener Boerse
zu beleben (dafuer wurde auf einen unfassbar miesen und eu-rechtlich
hoechst fragwuerdigen Trick zurueckgegriffen, aber das ist eine andere
Geschichte). Auf der anderen finden wir steuerliche Freistellungen
fuer Beitraege, entgangene Einkommens- und Gewinnsteuern, entgangene
Sozialversicherungsbeitraege oder auch zukuenftig zu erwartende
Steuerausfaelle auf Grund steuerlich beguenstigter Auszahlung.

Im Jahr 2007 hatten die Gruenen einmal mittels parlamentarischer
Anfrage wissen wollen, was dieses Gewirr an kontraproduktiven
"Pensionsvorsorgen" den Staat eigentlich koste. Die Antwort war
unklar. Das Finanzministerium war nicht in der Lage, die genauen
Kosten zu errechnen. Etwa 600 Mio. Euro im Jahr konnten dargestellt
werden. Das Ministerium musste aber selbst einraeumen, dass es die
Steuerausfaelle auf Grund des Gewirrs an Systemen, Funktions- und
Wirkungsweisen nicht erfassen kann. Im Jahr 2009 schliesslich gab das
Sozialministerium beim wifo eine Studie in Auftrag, die bereits im
August 2010 fertiggestellt wurde. Fertiggestellt, aber nicht
veroeffentlicht...

Teure private Pensionsvorsorge

Warum sie nicht veroeffentlicht wurde, wird bei Durchsicht klar: Die
Studie, die sich darauf beschraenkt, die Systeme und ihre Wirkung nur
darzustellen und nicht zu bewerten, verdeutlicht, wie unfassbar teuer
und schlecht private Pensionsvorsorge in Oesterreich ist ... und wie
teuer sie den Staat und die Gesellschaft kommt. Erstmals wird etwa
festgestellt, wie viel Geld via "privater Pensionsvorsorge" der
Gesellschaft und dem Wirtschaftskreislauf entzogen und im Kapitalmarkt
gebunkert wird (von wo es allenfalls troepferlweise in den "normalen
Wirtschaftskreislauf zurueckkommt): Im Jahr 2008 waren es 8,8 Mrd.
Euro. Und um die Verhaeltnisse klarzumachen: Im selben Jahr flossen
460 Mio. Euro in Form von Leistungen an die Anspruchsberechtigten
zurueck. Ein Wert, der steigen wird in den kommenden zwei Jahrzehnten,
weil ja die Mehrzahl der Menschen noch in der "Ansparphase" ist.
Mathematisch voellig klar ist aber, dass der Verlust fuer die
Volkswirtschaft zu keinem Zeitpunkt die Hoehe der einbezahlten
Beitraege erreichen oder gar uebersteigen kann. Diese systematische
Grundvoraussetzung jedes Versicherungs- Fondssystems kann gleich aus
mehreren Gruenden nie erreicht werden:

* Weil die Rechenzinssaetze, auf deren Basis die Praemien der
Betreiberinstutionen zu Stande kommen, wesentlich ueberhoeht sind;

* Weil die absurden Versprechungen von Gewinnen bis zu 7% pro Jahr
immer absurd waren und noch in keinem einzigen Jahr erreicht werden
konnten;

* Und natuerlich auch, weil die Kapitalmaerkte sich nicht an die
Erwartungen und Versprechungen halten (diese Boesen ...!).

Dazu kommt noch, dass es fast schon ein betriebswirtschaftlich
intelligentes Verhalten ist, grosse Anlagevermoegen zur Stuetzung
schlechter Werte zu verwenden. Heisst: Jedes Unternehmen, jede Bank,
jede/r FondsmanagerIn handelt in der Marktlogik intelligent, wenn
er/sie versucht, "unter Druck" geratene "eigene" Fonds und Fondsteile
mit den Mitteln der privaten Pensionsvorsorge zu stuetzen in der
Hoffnung, diese moegen sich erholen. Nur hilft diese Marktlogik eben
nicht den Versicherten.

1,36 Mrd. Euro pro Jahr

Aber was kostet denn jetzt eigentlich den Staat dieser Wildwuchs an
privater "Pensionsvorsorge": Das wifo errechnet 1,36 Mrd. Euro im Jahr
(und bezeichnet diesen Wert aus verschiedenen Gruenden als
"Obergrenze"), die der Gesellschaft entweder an Steuern oder
Beitraegen entgehen oder sogar direkt aus dem Budget in das
desastroese System gepumpt werden.

Nur um die Dimension noch einmal zu verdeutlichen: Im Jahr 2008
foerderte der Staat die private und betriebliche "Pensionsvorsorge"
mit bis zu 1,36 Mrd. Euro. Diesem Betrag standen Leistungsauszahlungen
von 460 Mio. Euro gegenueber.

Ach ja... Nach einer neuerlichen Anfrage der Gruenen nach dem Verbleib
der Studie wurde sie Anfang September 2011 nun doch veroeffentlicht.
(Lukas Wurz fuer "Die Alternative")

*

Quelle:
http://diealternative.org/verteilungsgerechtigkeit/2011/09/private-pensionsvorsorge-%E2%80%93-kontraproduktiv-kompliziert-teuer-schlecht/

Links:
Parlamentarischer Anfrage der Gruenen
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIII/J/J_04883/index.shtml
Beantwortung der parlamentarischen Anfrage
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIII/AB/AB_04833/index.shtml
Die WIFO Studie - veroeffentlicht
http://www.bmask.gv.at/cms/site/attachments/3/3/1/CH2081/CMS1315208951326/band6_cover_kern.pdf



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