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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. September 2011; 22:22
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Asyl:

> Der Sklaverei entronnen: Eine Frau aus Afghanistan

Ein Bericht von *Michael Genner, Asyl in Not*

Aischa aus Afghanistan (Name geaendert) wurde viele Jahre ihres Lebens
von ihrer Familie wie eine Sklavin behandelt. Die Familie lebt in
Pakistan, war dorthin schon vor langer Zeit gefluechtet. Aischa durfte
nicht lesen und schreiben lernen. Und kaum je das Haus verlassen.

Bis sie mit 38 Jahren verheiratet wurde. Mit einem Afghanen, der als
anerkannter Fluechtling in Oesterreich lebt. Er hatte schon 7 Kinder
von seiner vorigen, verstorbenen Frau. Aischas Familie hatte die Ehe
arrangiert. Zur Hochzeit kam er nach Pakistan. Aischa war nicht
dagegen, ihn zu heiraten, denn sie erhoffte sich ein besseres Leben in
einer neuen Heimat.

Sie bekam ein Visum fuer Oesterreich. Familienzusammenfuehrung. Schon
zwei Monate spaeter begann er sie zu demuetigen und zu schlagen. Ohne
seine Erlaubnis durfte sie die Wohnung nicht verlassen. Er verbot ihr,
die deutsche Sprache zu lernen. Sie musste fuer ihn und seine sieben
Kinder, die auch in derselben Wohnung lebten, kochen und putzen. Sie
war eine Sklavin - mitten in Wien.

Einmal kam die Polizei in die Wohnung, weil Nachbarn die Schreie
gehoert hatten. Aber Aischa sagte vor der Polizei aus, ihr Mann habe
sie nicht geschlagen und er halte sie auch nicht in der Wohnung fest.
Aischa hatte Angst.

Aischas juengere Schwester lebt in Deutschland. Sie hatte es besser
getroffen, hatte sich eine eigene Existenz aufgebaut. Aischa nuetzte
einen der seltenen Augenblicke, wo sie nicht beobachtet wurde, rief
mit dem Handy ihres Mannes, der im Badezimmer war, die Schwester an
und bat um Hilfe.

Die Schwester und deren Angehoerige kamen nach Wien, befreiten Aischa
aus der Gefangenschaft und brachten sie in ein Frauenhaus.

Nun endlich fasste Aischa Mut, zeigte ihren Mann bei der Polizei wegen
Koerperverletzung und gefaehrlicher Drohung an und liess sich von ihm
scheiden; einen Anwalt hatte ihr das Frauenhaus beigegeben.

Ueber das Frauenhaus kam Aischa auch zu Asyl in Not. Ich uebernahm
ihre Vertretung, sie stellte einen Asylantrag.

Zu ihrer Familie in Pakistan konnte Aischa nicht zurueck: Ihre Brueder
und ihr Vater drohten, sie umzubringen, da sie ihrem Mann entlaufen
war und somit die Ehre der Familie verletzt habe. Oder, gnadenhalber,
sie leben zu lassen und "nur" zwangsweise zu verheiraten mit
irgendeinem alten Mann. Weder in Afghanistan noch in Pakistan gibt es
eine Instanz, die eine Frau in solcher Lage schuetzen kann.

Aischas Aufenthaltsrecht in Oesterreich war auf ihre (nun geschiedene)
Ehe gestuetzt. Ihre einzige Chance, hierzubleiben, war daher der
Asylantrag. Ich begleitete Aischa ins Bundesasylamt, Aussenstelle
Wien, zur Einvernahme. Aus dem Protokoll:

"Im Elternhaus war ich wie eingesperrt", sagte Aischa, "im Haus meines
Ehemannes war ich wie eingesperrt. Hier im Frauenhaus habe ich
verstanden, was das Leben fuer eine Frau bedeuten kann. Ich habe mich
hier in Oesterreich veraendert. Ich koennte nicht mehr zurueckkehren.
Ich moechte die deutsche Sprache lernen und dann in einem Beruf, zum
Beispiel in der Kinderbetreuung, arbeiten und fuer mich selbst
sorgen."

Aischa erhielt schon nach wenigen Tagen in erster Instanz Asyl. Fuer
ihren weiteren Lebensweg wuenschen wir ihr viel Glueck.

Positive Asylbescheide des Bundesasylamtes, noch dazu so rasche, wie
im "Fall Aischa" waren frueher nicht die Regel. Um diese Judikatur
haben wir hart gerungen.

In vielen Faellen mussten wir Berufungen schreiben. Noch 2004 schrieb
das Bundesasylamt Traiskirchen allen Ernstes in einem Bescheid:

"Die allgemeine Situation der Frauen in Afghanistan, welche sich auf
uralten Traditionen begruendet, und welche Sie als Benachteiligung
empfinden, richtet sich nicht speziell gegen Ihre Person und kann
daher nicht zur Gewaehrung von Asyl fuehren."

Immerhin lebe "ein erheblicher Teil der Weltbevoelkerung nach diesen
Verhaltensmustern".

Auch diese Stilbluete veroeffentlichten wir; unsere Mandantin erhielt
in zweiter Instanz beim Unabhaengigen Bundesasylsenat (UBAS) Asyl.

Der UBAS, damals Zweitinstanz, gab in allen derartigen Faellen unseren
Berufungen statt und erkannte (gestuetzt auf Gutachten des
Sachverstaendigen Dr. Rasuly) in staendiger Rechtsprechung, dass
afghanische Frauen "allein aufgrund ihrer Zugehoerigkeit zur sozialen
Gruppe der Frauen eklatante Diskriminierungen und die Versagung ihrer
in der Europaeischen Menschenrechtskonvention verbrieften Rechte
erleiden muessen."

Und das ist und bleibt asylrelevant. Mittlerweile erkennt das auch das
Bundesasylamt an. Ein Erfolg unserer jahrelangen Arbeit. Steter
Tropfen hoehlt den haertesten Stein.
(bearb.)



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