**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. September 2011; 01:43
**********************************************************

Glosse:

> Antiamerikanismus - ein Erbe?

Im "Januskopf", einem kuerzlich im Presse-Spectrum abgedruckten
literarischen Text von Robert Schindel, steht zu Achtundsechzig und
Antiamerikanismus: "... der Antiamerikanismus ist ein ruestiger
Wanderer. Vierschroetig und braunhemdelig bekaempft er das
Negeramerika, das Judenamerika, das ja schon immer der nordischen
Nation ans Eingemachte wollte. Er wanderte in den Vaetern. Die machten
nach dem Krieg einen faulen Frieden mit Amerika, verfuehrt vom
Marshallplan. Aber in Sandalen und mit Nickelbrille, mit Levis-Jeans
marschiert der Wanderer gegen das imperiale Amerika, das
westlich-pseudodemokratische Amerika. Ami go home. Drei, vier, viele
Vietnam. Er wanderte in den Soehnen und Toechtern. Er kommt herum,
dieser Wotan."

Ich vermute dagegen, dass im damaligen linken Wien von 1967 und 1968
der Antiamerikanismus eher bei jenen vorkam, die aus kommunistischen,
oft von Hitler zu Juden gemachten Widerstandsfamilien stammten.
Weiters duerften die meisten der Protagonisten der "Kommune Wien", mit
der das 1968 von den Medien in Wien eroeffnet schien, so zwischen 1940
und 1948 geboren worden sein und von denen hatten wohl nur wenige mit
der Musik- und Poprevolution der Sixties etwas anzufangen gewusst. Ihr
Musikgeschmack neigte entweder der Klassik bis Shostakovitch zu oder
dem Jazz.

Fuer die "Jung-Achtundsechziger" aber, etwa zwischen 1949 und 1953
geboren, war die "Poprevolution" bereits die erste Revolution gewesen,
die irgendwann vor Mitte der 60er begonnen hatte und immer intensiver
werdend fuer sie ins Neunzehnachtundsechzig muendete. Hier gab es
diesen Antiamerikanismus kaum, im Gegenteil, "Amerika", das fuer viele
kurz noch "Kennedy" gewesen war, fand sich nun in Kerouac und
Ginsberg, in Berkeley und Marcuse, sowie in den Black Panthers plus
Hippies, begleitet von Bob Dylan, Joan Baez, Pop-Art und Living
Theatre.

Hier kamen zwei Kulturen zusammen, die in vielem nicht
zusammenpassten, aber sich bezueglich USA in einem fanden: Die
Regierung dieses Landes fuehrte gerade einen brutalen Krieg gegen ein
kleines Volk in Asien. Und das andere Amerika war mit den Vietnamesen
gegen die eigene Regierung. Die nunmehrige Parteinahme gegen die
USA-Politik, verbunden mit den entsprechenden Aktionen, war fuer viele
der entscheidende politische Schritt nach der vorangegangenen
"kulturellen Revolution", waehrend fuer die "kommunistischen"
Achtundsechziger die Entscheidung fuer Vietnam und gegen USA nicht
wesentlich von der bisherigen Praxis im Rahmen der KPOe abwich.

Der Antiamerikanismus, den Robert Schindel meint, kam meines Erachtens
erst spaeter, wahrscheinlich sogar erst nach der
dogmatisch-maoistischen Ausformung der Achtundsechziger-Stroemung -
MLS und Kommunistischer Bund -, bei denen ja der Kampf gegen "beide
Supermaechte" im Vordergrund stand.

Die in Roberts Text angesprochene Verknuepfung von Antiamerikanismus
und Ablehnung des Staates Israels bis hin zum Antisemitismus fand in
Wien - wenn mich meine Erinnerung nicht truegt oder ich es ueberhoert
haben sollte - auch nicht oder nicht vorwiegend in der von ihm
geschilderten (im Text getraeumten) Weise statt:

"Die Nazivaeter", sagt er [der Januskopf des Achtundsechzigers], "sind
unertraeglich. Aber der US-Imperialismus ist erst recht unertraeglich.
Israel aber ist ein Kettenhund dieses US-Imperialismus. Hier haben
unsere Vaeter einen Punkt erwischt. Denn wer hat Einfluss auf die
amerikanische Politik? Wer strebt - halten zu Gnaden - nach
Weltherrschaft? Schon Papi hat's gesagt, er ruhe in Frieden."

Im Grunde war das kein Thema. Allerdings gab es auch hier zwischen
"kommunistischen" Alt-Achtundsechzigern und "amerikanischen"
Youngsters einen erheblichen Unterschied. Die Jungen nahmen zu Israel
in der Regel eine positive Haltung ein (etwa zu sozialistischer
Kibbuzbewegung), welche sich auch 1967 im 6-Tagekrieg in einer
Parteinahme fuer die einzige Demokratie im Nahen Osten aeusserte (wenn
auch oft mit der ererbten Konnotierung, dass diese Juden so ganz
anders seien als die frueheren ...). Diese Einstellung aenderte sich
erst mit der fortschreitenden Politisierung und Dogmatisierung in den
70ern.

Von den "kommunistischen" Alt-Achtundsechzigern setzten sich 1967
dagegen viele fuer den "gerechten Kampf der arabischen Voelker" und
gegen den Zionismus ein, was sowohl mit dem tradierten
Politbewusstsein kompatibel war, aber auch aus der Solidarisierung mit
den durch die oesterreichischen Medien verspotteten Arabern zu tun
hatte, die ihre Sandalen auf der Flucht vor den Israelis verloren.
Damals fiel auch der Satz, dass die heutigen Juden in Nahost die
Palaestinenser seien.

Die Vereinigung dieser beiden Gruppen der Achtundsechziger erfolgte
meines Erachtens erst im "antiimperialistischen Antizionismus" des
Kommunistischen Bundes. Besser gesagt, die Vereinigung jener, die den
dogmatischen Weg gingen, wie unter anderem Robert Schindel und auch
ich.

Als diese lange Nacht unserer geistigen Verbloedung vorbei war, setzte
bei den meisten, die ich aus jener Zeit kenne, ein langer
Nachdenkprozess ein, der oft im Mittelpunkt das Verhaeltnis zu Israel
hatte, sowohl bei juedischen als auch bei nichtjuedischen
Achtundsechzigern. Daher verstehe ich nicht, wieso Robert diesen
Nachdenkprozess auf die juedischen reduziert:

"Vor etwa 20 Jahren haben die juedischen Achtundsechziger den Pakt mit
den nichtjuedischen kuendigen muessen. Damals sagte Wolf Biermann:
,Bindet eure Palaestinensertuecher fester. Wir sind geschiedene
Leute´."

Die von Robert und Biermann Gemeinten scheinen mir eher eine
Generation spaeter, bei den Politisierten der 80er Jahre anzutreffen
sein, allenfalls bei solchen, die in den dogmatischen Bewegungen der
70er erstmals politisiert wurden. Altachtundsechziger in Wien erlebe
ich dagegen eher nachdenklich und selbstkritisch, viel naeher an
antideutsch als an antimp.

Im uebrigen ist mir klar, dass der abgedruckte Text ein literarischer,
noch dazu ein traeumender ist und mehr Implikationen hat als die von
mir betrachteten Aussagen. Insofern ist dies hier auch nicht als
Textkritik aufzufassen. Sondern als ein anderer Traum von der
gemeinsamen Sache.
(Wolfgang Kauders auf Haftgrund.net)
*

Quelle:http://haftgrund.net/antiamerikanismus-ein-erbe/

Robert Schindels "Januskopf", ist nachzulesen unter:
http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/690413/Januskopf



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.redaktion@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin