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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. Juni 2011; 22:41
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EU/Griechenland:

> Die Deutschen muessen zahlen

Eine Aufstellung der deutschen Kriegsschulden an Griechenland


«Die Deutschen sollen erst mal ihre Kriegsschulden an Griechenland
bezahlen, bevor sie von uns was wollen.» Diese Forderung wird in
Griechenland immer lauter - und sie ist berechtigt.

In den fruehen 40er Jahren drueckten die Nazis dem besetzten
Griechenland ausserordentliche finanzielle Verpflichtungen auf, um die
deutsche Besatzung sowie ihre militaerischen und strategischen Ziele
auf dem Balkan, im Mittelmeerraum und in Libyen zu finanzieren.
Ausserdem wurde die griechische Nahrungsmittelproduktion fuer die
Verpflegung der deutschen Truppen an der libyschen Front verwendet.

Die Deutschen hatten es auf das Oel aus Libyen und aus dem Nahen
Osten, sowie auf die Erze aus dem Balkan abgesehen: Von Letzterem
bezog die deutsche Ruestungsindustrie 20% ihres Bedarfs an Antimon,
50% an Mineraloel, 60% an Bauxit und ihren vollen Bedarf an Nickel.
Gleichzeitig war Griechenland der einzige Raum, von dem aus die
Alliierten den deutschen Einfluss auf dem Balkan zurueckdraengen
konnten.

Aus diesem Grund waren die deutschen Forderungen nach dem griechischen
Anteil an den Kriegslasten unelastisch und provozierten Reaktionen
selbst seitens des Kollaborationsregimes von Georgios Tsolakoglou, der
mit seinem Ruecktritt drohte. Auch Mussolini und der Bevollmaechtigte
des Reichs fuer Griechenland, Guenther Altenburg, draengten Berlin,
die Besatzungskosten fuer Griechenland zu senken.

Die Last der deutschen Okkupation verschlimmerte sich noch durch die
Beschlagnahmung aller Gueter seitens der Wehrmacht. Sie fuehrte zu der
Hungersnot, vor der Altenburg gewarnt hatte. Im Winter 1941/42
berichtete der paepstliche Nuntius, Angelo Roncalli (der spaetere
Papst Johannes XXIII.), die Zahl der Hungertoten im Gebiet
Athen/Piraeus habe sich verdreifacht.

Die Deutschen konnten die zunehmende Hungersnot, Gesetzlosigkeit und
die wachsenden Sympathien fuer die Englaender nicht laenger
ignorieren. Die Hungersnot fuehrte zu Volksaufstaenden, der Zulauf zur
Widerstandsbewegung nahm zu. Auf der Deutsch-Italienischen
Finanzkonferenz in Rom, im Januar-Maerz 1942, stand das Thema ganz
oben auf der Tagesordnung. Die Deutschen bestanden darauf,
substantielle Mittel aus Griechenland abzuziehen, und die Konferenz
muendete in eine Sackgasse. Da schlug der italienische Bankier und
Wirtschaftsbevollmaechtigte Italiens in Griechenland, D'Agostino,
einen Zwangskredit vor: Mittel, die Deutschland von Griechenland ueber
die direkten Kosten der Okkupation hinaus forderte, sollten die Form
eines Kredits an Deutschland und Italien annehmen.

Ein «Kreditabkommen» wurde am 14.Maerz 1942 von Altenburg und Gidzi
unterzeichnet, jeweils Bevollmaechtigte aus Deutschland und Italien
fuer Griechenland. Griechenland selbst war nicht eingeladen worden und
nicht anwesend. Das Abkommen sah vor:

- Die griechische Regierung muss monatlich 1,5 Mrd. Drachmen fuer die
Besatzungskosten zahlen;

- Geldentnahmen aus der Bank von Griechenland, die diesen Betrag
ueberschreiten, stellt Griechenland der deutschen und der
italienischen Regierung als zinslosen Kredit in Rechnung, in Drachmen;

- der Kredit wird spaeter zurueckgezahlt;

- das Abkommen gilt rueckwirkend zum 1.Januar 1942. Es wurde kein
Datum festgelegt, ab wann die Rueckzahlung beginnen sollte.

Der griechische Finanzminister wies den Notenbankchef an, das Abkommen
zu erfuellen. Das Zwangsabkommen wurde dreimal geaendert, im Zuge
dessen wurden die Zwangskredite in normale Kredite umgewandelt, d.h.
sie trugen jetzt Zinsen und waren auf eine stabile Waehrung
ausgestellt.

Nach Angaben der Bank von Griechenland belief sich die Hoehe des
Kredits (ohne Zinsen) auf insgesamt 227.940.201 US-Dollar (von 1944),
nach Angaben Altenburgs auf 400 Mio. Deutsche (Nachkriegs-)Mark. Mit
Anpassungen und Zinsen hat er sich heute auf einige Dutzend Mrd. Euro
summiert.

Der griechische Kredit an Deutschland beruehrt nicht die Frage der
Reparationen. Deswegen faellt er auch nicht unter das Londoner
Schuldenabkommen von 1953, das Deutschland von allen Reparationen und
Kompensationen freispricht. Griechenland hat auf allen relevanten
internationalen Konferenzen stets geltend gemacht, dass der Kredit und
die Forderung nach Reparationen zu trennen sind - so auf der
Reparationskonferenz 1945, der Paris Konferenz 1946 und der Londoner
Aussenministerkonferenz 1947. Griechenland hat stets die Rueckzahlung
der deutschen Besatzungsschulden gefordert.

1967 verwies die deutsche Seite bei Gelegenheit einer
deutsch-griechischen Unterredung auf ein Schreiben des
Premierministers Konstantin Karamanlis, in dem dieser auf die
Forderung nach Rueckzahlung des Kredits verzichtet habe. Spaeter wurde
die Behauptung dahingehend korrigiert, der Verzicht sei muendlich
erfolgt. Karamanlis dementierte die Behauptung. In einer
diplomatischen Note vom 31.Maerz 1967 gab Deutschland schliesslich zu,
dass Karamanlis auf die Forderung nie verzichtet habe.

Deutschland hat die griechische Forderung stets abgewiesen mit den
Begruendungen: der Kredit falle unter das Londoner Schuldenabkommen;
Konstantin Karamanlis habe auf sie verzichtet; solche Forderungen
koennten 50 Jahre spaeter nicht mehr erhoben werden. (Griechenland
erhebt sie aber seit 1945.)

Die deutsche Position entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Seit dem
Fall der Mauer kann Deutschland nicht einmal mehr geltend mache, sie
koenne nicht gegen ein geteiltes Land erhoben werden. Die Forderung
ist nun faellig, es kann sie die griechische Regierung erheben, oder
die Bank von Griechenland oder einer ihrer Aktionaere, aber auch das
griechische Volk vermittelt durch seine Institutionen.
Praezedenzfaelle dafuer gibt es in Jugoslawien und in Polen, denen
Nazideutschland aehnliche Besatzungskredite aufgezwungen hatte und die
von (West-)Deutschland 1956 bzw. 1971 zurueckgezahlt wurden.
(Tasos Minas Iliadakis in SOZ/bearb.)

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Der Autor war Mitglied der griechischen Delegation bei der
Internationalen Londoner Konferenz ueber das Nazigold 1997 und nahm
als Redner an der Konferenz ueber die Staatsschulden 2005 in
Alexandroupolis teil.

Quelle: http://www.sozonline.de/2011/06/die-deutschen-mussen-zahlen



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