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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Juni 2011; 23:28
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> Eindruecke aus den USA

Ein politischer Reisebericht
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Nach 24 Jahren verschlaegt es mich wieder in die USA: In Amherst --
ca. 150 Kilometer von Boston entfernt -- referiere ich im Rahmen der
Konferenz der WAPE (World Association for Political Economists) ueber
internationalen Rechtsextremismus. Ich benuetze meinen knapp
zweiwoechigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten, um mir ein Bild
von der politischen Lage im Land zu machen.

Drei Tage in Boston verwende ich vor allem dazu, um mich mit der
amerikanischen Geschichte naeher vertraut zu machen. Boston ist ein
guter Ort dafuer -- hier kamen die Pilgrim Fathers an, hier begann der
Unabhaengigkeitskampf gegen England -- u.a. mit der legendaeren Tea
Party (die rebellischen Siedler kippten den Tee ins Meer, um gegen die
erhoehten Steuern Englands zu protestieren).

Auf dem ueber vier Kilometer langen freedom trail kann man/frau gut
die Stationen des Unabhaengigkeitskampfes verfolgen - eine
buergerliche Erhebung gegen die Kolonialmacht. Nichts kann daher
historisch verdrehter sein, als die Selbstdarstellung der aktuellen
rechtspopulistischen Tea Party Movement mit Sarah Palin an der Spitze
als Nachfolge der damaligen revolutionaeren Ereignisse. War das eine
eine Etappe der buergerlichen Revolution, so ist das andere ein
haessliches Stueck buergerlicher Reaktion..

Das Zentrum Bostons, vor allem seine historischen Staetten, ist
gepflegt, verlaesst man jedoch den Stadtkern, ist man/frau mit dem
konfrontiert, was Alexander Mitscherlich so treffend als die
"Unwirtlichkeit der Staedte" beschrieben hat: keine oder kaum
Stadtplanung, ausufernder Individualverkehr, Strassen und Autobahnen,
die den Entwicklungs-Rhythmus vorgeben, Einkaufszentren statt
oeffentlicher Orte etc. Weniger fein laesst sich die Unwirtlichkeit
auch als "wie hingeschissen" benamsen.

In Amherst -- einem Universitaetscampus mit ueber 20 000
StudentInnen -- findet die internationale Konferenz der WAPE statt.
Das Fundament der WAPE ist eine Achse zwischen relativ offenen
MarxIstinnen aus der Volksrepublik China und MarxistInnen aus den USA.
Das diesjaehrige Thema ist "Neoliberalismus und darueber hinaus".

Wie schon auf dem Uni-Campus in Harvard/Cambridge faellt mir auch hier
das Fehlen politischer Plakate oder Aufschriften auf. In Harvard sah
ich gerade mal eine Ankuendigung fuer ein meeting zur Verteidigung des
oeffentlichen Unterrichts.

Im Rahmen der WAPE-Konferenz erzaehlen US-GewerkschafterInnen von
einer gestiegenen Sensibilisierung in der Bevoelkerung und
AktivistInnen der KP der USA (nach eigenen Angaben 2000 Mitglieder)
berichten von einem erhoehten Interesse fuer die Partei- von einem
politischen progressiven Ruck nach der Enttaeischung ueber Obama ist
jedoch nichts zu bemerken.

Eine junge schwarze Filmtexterin -- aus Jamaika stammend und in
Brooklyn/New York wohnend -- schildert mir, was der Grund dafuer sein
kann: "Die meisten einfachen Leute, verschuldet bis ueber die Ohren,
verwenden den Grossteil ihrer Zeit dazu, um sich irgendwie ueber
Wasser zu halten".

In einer Situation der anhaltenden oekonomischen Krise (die offizielle
Arbeitslosigkeit liegt bei ueber 9 Prozent), der ausufernden
Obama-"Kompromisse" und Null Gegen-Mobilisierung ist es kein Wunder,
dass die Demagogie der tea party auf fruchtbaren Boden faellt. Mit
ihrer Mischung aus Pseudo-Individualismus, "Pionier"geist,
evangelikaler Ergriffenheit, Parolen "gegen die da oben" und einem
kraeftigen Schuss Rassismus kann sie ein nicht unwesentliches Segment
der Orientierungslosen ansprechen.

Hinzukommt das Spezifikum Sarah Palin, der Exgouverneurin von Alaska
und ehemaligen Vizepraesidentschaftskandidatin: ihr geplant
unkonventinelles, an Joerg Haider erinnerndes Auftreten (so nahm sie
kuerzlich in Washington -- mit Helm -- an einem Treffen von
Motorbikern teil), laesst das traditionelle Establishment der
Republikaner alt aussehen.

Bis zu den Praesidentschaftswahlen im naechsten Jahr ist es sicher
noch weit und aktuell braucht Obama nach der Toetung Osama Bin Ladens
nicht bang zu sein. Es besteht jedoch keinerlei Grund, die Gefahren,
die von der extremen Rechten kommen, zu negieren. Vor allem deshalb,
weil bislang von einer agilen, geschweige denn breiten Linken nichts
zu sehen ist.
*Hermann Dworczak*



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