**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Juni 2011; 23:31
**********************************************************

Israel/Palaestina:

> Die Gaza-Flotte sticht wieder in See

Ein Kommentar von *Leo Gabriel*


Der Versuch breiter Bevoelkerungsschichten, dem Recht auf Leben und
Freiheit im arabischen Raum in den internationalen Medien Gehoer zu
verschaffen, ist vor allem dort gelungen, wo er sich mit den
Interessen des Westens einigermassen in Einklang bringen liess. In
Tunesien und Aegypten, aber auch in Libyen und Syrien wurden die
Demokratisierungsprozesse von einer medialen Oeffentlichkeit
begleitet, die jene politischen Kraefte in Europa und den USA
schwaechten, die Jahrzehnte lang mit den dort im Amt befindlichen
Diktaturen zusammengearbeitet hatten.

Weitaus geringer war das Interesse an Laendern wie Jemen und Bachrein,
die auch dem prowestlichen Hauptakteur in der Region, naemlich
Saudi-Arabien gefaehrlich werden koennten. Und gegen Null ging die
Aufmerksamkeit gegenueber dem Herzstueck des Nahostkonflikts, naemlich
Israel und Palaestina.

Gegen dieses notorische Defizit versucht nun schon seit Jahren ein
Projekt anzukaempfen, das am 30. Mai des letzten Jahres in die
Schlagzeilen gekommen war, als 9 tuerkische Menschenrechtsaktivisten
auf der "Marvi Marmara" ohne jede militaerische Notwendigkeit von der
israelischen Armee erschossen wurden. Hunderte engagierte Menschen aus
aller Welt, vor allem parteiunabhaengige VertreterInnen von
Nichtregierungsorganisationen, Parlamentsabgeordnete und
Persoenlichkeiten des oeffentlichen Lebens bestiegen damals ein halbes
Dutzend Schiffe aus Spanien, Irland, Griechenland, Norwegen u.a., mit
dem Ziel, der seit 2006 eingesperrten Bevoelkerung im Gazastreifen
Lebensmittel und Baumaterialien zukommen zu lassen und so die
unsichtbaren Mauern um dieses groesste Freiluftgefaengnis der Welt
fuer einen historischen Moment zu durchbrechen.

Die Abschreckungsstrategie Israels

Auch dieses Jahr wird sich wieder eine solche Gaza-Flotte in Bewegung
setzen; sie wird, dem Vernehmen der Organisatoren nach, noch groesser
als die im Vorjahr sein. Dabei wurde die geplante Aktion bereits im
Vorfeld von der Regierung Netanyahu politisch derart hochgespielt,
dass die Telephone in den Aussenministerien jener Laender
heisszulaufen begannen, wo es Menschen gab, die sich der Gaza-Flotte
anschliessen wollen.

So versprach etwa das US-State Department den Israelis, sich bei der
tuerkischen Regierung des inzwischen mit grosser Mehrheit
wiedergewaehlten Praesidenten Erdogan fuer eine Beilegung des
Konflikts zwischen Israel und der Tuerkei einzusetzen, unter der
Bedingung, dass dieser ein neuerliches Auslaufen der Marvi Marmara
verhindere. Tatsaechlich sind die israelisch - tuerkischen Beziehungen
seit dem Massaker auf der Marvi Marmara und der Unterdrueckung einer
unabhaengigen Untersuchung durch die israelische Regierung schwer
angeschlagen, ein Umstand, welcher der Tuerkei grosse Sympathien vor
allem in der arabischen Welt, aber auch bei den Friedensbewegungen im
Westen eingebracht hat.

Inzwischen hat die tuerkische Hilfsorganisation auch tatsaechlich ihre
Teilnahme an der Gaza-Flotte abgesagt und auch die Regierung Kanadas
hat sich geweigert, seiner Verspflichtung als Schutzmacht gegenueber
dem kanadischen Schiff wahrzunehmen. Ebenso gab in Wien ein Sprecher
des Aussenministeriums eine Warnung fuer die Delegation aus
Oesterreich heraus, die diesmal bei der Gaza-Flotilla mitmachen will.
Er verwies dabei auf eine Verordnung, der zu Folge bei Missachtung der
Warnung von den Opfern der israelischen Repression ein Betrag von bis
zu 50 000.- Euro als Entschaedigung fuer die Unkosten des
Aussenministeriums eingefordert werden koennten.

Sollten allerdings alle diese Stricke der aussenpolitischen
Seilschaften Israels reissen und diese Drohungen nichts fruchten, dann
hat die israelische Armee laut Medienberichten angekuendigt, im
Mittelmeer militaerische Manoever zu veranstalten - just zu der Zeit
da die Gaza-Flotte unterwegs sein wird.

Die Gaza-Flotte im Kreuzfeuer der israelischen Propaganda

All das ist Grund genug, um sich mit den Zielsetzungen der Gaza-Flotte
und den Argumenten ihrer Gegner noch einmal gruendlich
auseinanderzusetzen. Dabei gibt es folgende Argumente, die in den
Diskussionen immer wiederkehren:

* Die Gaza-Flotte haette gegenwaertig ihre Existenzberechtigung
dadurch verloren, dass die Grenze von Gaza zu Aegypten bereits
geoeffnet waere. Das stimmt so nicht: es hat zwar im Anschluss an die
aegyptische Rebellion diesbezuegliche Ankuendigungen von Seiten des
inzwischen als Praesident der Panafrikanischen Union fungierenden
Aussenministers gegeben. Tatsaechlich ist die Grenze bei Rafah fuer
den Warenverkehr (also fuer Hilfslieferungen) aber weiterhin
geschlossen und auch der Personenverkehr gestaltet sich aeusserst
schleppend.

* Die Hilfsgueter der Flotte kaemen der von Israel als "islamistisch"
und sogar als "terroristisch" eingestuften Hamas zu Gute. Auch das ist
falsch: denn die Hilfslieferungen ergehen nicht an irgendeine
politische Gruppierung (sei es Hamas oder die mit ihnen bereits in
einer lockeren Allianz stehende Fatah), sondern werden direkt an die
in Stadtteilkommittees organisierte notleidenden Bevoelkerung
verteilt.

* Der Gazastreifen waere wegen der wiederholten Raketenangriffe der
Hamas eben ein militaerisches Sperrgebiet und muesse deshalb von den
israelischen Streitkraeften zu Land und zur See "beschuetzt" werden.
Das stimmt schon einmal rein formalrechtlich nicht, denn Gaza ist -
rein rechtlich gesehen - ein Hoheitsgebiet der autonomen
palaestinensischen Behoerde. Ausserdem hat die Hamas immer wieder
versucht, den Abschuss der von einzelnen radikalen Gruppen
abgeschossenen Raketen zu unterbinden.

Ob also Israel dem durch die Demokratisierungsbewegungen im arabischen
Raum veraenderte Kraefteverhaeltnis dadurch Rechnung tragen wird, dass
es das auch im Westen geforderte Tor zu einem Dialog mit den
Palaestinensern symbolisch oeffnet und die Gaza-Flotte mit ihrem
humanitaeren Anliegen gewaehren laesst, ist mehr als zweifelhaft. Im
Augenblick sieht es eher danach aus, dass die Regierung Netanyahu an
der Strategie der Selbstisolierung Israels festhaelt und jeden
Demokratisierungsversuch auch im eigenen Land verhindert. Ein
schwacher Trost mag sein, dass selbst Dinosaurier irgendwann einmal
ausgestorben sind.

Dieses undemokratische Verhalten der israelischen Regierung
offenzulegen und dabei der notleidenden Bevoelkerung von Gaza das
Gefuehl zu geben, dass sie nicht alleine ist, ist neben den
Hilfslieferungen das erklaerte Ziel der Gaza-Flotte, die am 26. Juni
in See stechen wird - diesmal auch mit einer ansehnlichen Delegation
aus Oesterreich an Bord. ###



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin