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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Juni 2011; 23:13
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Demokratie:

> Von Mehrheiten und Minderheiten

Die Initiative *mehr demokratie!* zur Kaerntner
Ortstafel-"Volksbefragung"


Ueber den erzielten Kompromiss zu den zweisprachigen Ortstafeln im
slowenisch-sprachigen Gebiet Kaerntens hat die Landeshauptmann-Partei
FPK von 1. bis 17. Juni eine "Volksbefragung" durchgefuehrt, was bei
Slowenenvertretern und bei den anderen Parteien heftige Kritik
hervorgerufen hat. Wir sind gegenueber "von oben" angesetzten
Plebisziten generell skeptisch. Plebiszite zielen nicht auf ein Teilen
von Macht, sondern auf das Applaudieren fuer Maechtige. Daher bleibt
vom Potenzial einer Auseinandersetzung um die besten Argumente meist
nur ein partei-taktisches Hickhack uebrig. Bei "von oben" angesetzten
Plebiziten werden darueber hinaus immer oefter die gesetzlichen Regeln
ignoriert und auch die Spielregeln fuer das Plebizit freihaendig "von
oben" festgelegt, wie auch bei der Briefwahl-"Volksbefragung" ueber
den Ortstafelkompromiss. Wir sehen darin eine unzulaessige Umgehung
und eine Flucht vor dem Legalitaetsprinzip.

Darf in Kaernten ueber eine Bundesangelegenheit abgestimmt werden?

Das Recht der slowenisch-sprachigen Minderheit auf zweisprachige
Ortstafeln ist voelkerrechtlich im Staatsvertrag von Wien 1955
verankert und faellt in die Zustaendigkeit des Bundes. Das Argument,
in Kaernten duerfe aufgrund der Bundeskompetenz nicht ueber dieses
Thema abgestimmt werden, ist in dieser Allgemeinheit aber verkuerzend.
In einem Mehrebenensystem mit EU, Bund, Laendern und Gemeinden steht
es der einen nicht entscheidungsbefugten Ebene offen, Forderungen an
andere entscheidungsbefugte Ebenen zu richten. Die gewaehlten
RepraesentantInnen machen von dieser Moeglichkeit durch Resolutionen
und andere politische Aktivitaeten Gebrauch. Aber auch die
Bevoelkerung kann in einer Volksbefragung verlangen, dass sich ihre
gewaehlten RepraesentantInnen bei der zustaendigen Ebene fuer ein
Anliegen einsetzen.

Die Fragestellung der Ortstafel-"Volksbefragung" "Sind Sie mit dem
erzielten Verhandlungsergebnis einverstanden?" erweckt jedoch den
irrefuehrenden Eindruck, das Land Kaernten selber verfuege ueber eine
eigene Umsetzungskompetenz in dieser Angelegenheit. Diese
Fragestellung ueberschreitet daher die Grenzen einer Volksbefragung,
die auf einen Einsatz bei einer anderen Ebene draengt.

Darf die Mehrheit ueber Minderheitenrechte abstimmen?

Das Prinzip, Rechte von Minderheiten vor Mehrheitsentscheidungen zu
schuetzen, gilt fuer die Demokratie als solche und daher nicht nur
fuer die Bevoelkerung in Volksabstimmungen, sondern in gleicher Weise
auch fuer das Parlament. Wenn aber die Frage nach der Legitimitaet von
Mehrheitsentscheidungen ueber Minderheitenrechte aufgeworfen wird,
dann darf auch die Frage nicht unter den Teppich gekehrt werden, ob
eine Abstimmung des Parlaments ueber dieselben Minderheitenrechte
legitim ist. War die massive Druckausuebung auf die
slowenisch-sprachige Minderheit, dem Kompromiss zuzustimmen, mit
diesem Grundsatz noch vereinbar?

Flucht vor dem Legalitaetsprinzip

Das geltende Kaerntner Wahlrecht laesst eine Stimmabgabe durch
Briefwahl nur auf Antrag im Einzelfall zu (§ 37 Landtagswahlordnung,
auf den § 8 Volksbefragungsgesetz verweist). Eine reine
Briefwahl-Volksbefragung, wo alle Stimmberechtigten ohne vorherige
Beantragung ein Briefwahlformular zugesandt erhalten, ist daher nicht
zulaessig, wie der ehemalige VfGH-Praesident Korinek betont (Presse
08.05.2011).

Darf sich aber eine Landesregierungsmehrheit ueber gesetzliche Regeln
fuer Volksbefragungen hinwegsetzen, wenn sie etwas durchfuehrt, das im
Volksbefragungsgesetz geregelt ist? Die FPK bezeichnet ihre
Briefwahl-Umfrage als "Volksbefragung" und garantiert die "Einbindung
der Landeswahlbehoerde" und den "offiziellen Amtsweg" (OTS
20.05.2011). Dies alles waere aber -- genauso wie eine gerichtliche
Ueberpruefbarkeit allfaelliger Unregelmaessigkeiten -- nur auf der
Grundlage des Volksbefragungsgesetzes moeglich. Wie wir schon zu
Grazer BuergerInnenbefragungen betont haben, sehen wir in einer
fingerschnippenden Umgehung direkt-demokratischer Gesetzesvorschriften
einen Verstoss gegen das Legalitaetsprinzip (Artikel 18 B-VG). Noch
immer muss in Oesterreich das gesamte Verwaltungshandeln, daher auch
das Organisieren von Volksbefragungen, auf der Grundlage der Gesetze
erfolgen, auch dann, wenn konkrete gesetzliche Regeln als
unzeitgemaess und buerokratisch empfunden werden. Wenn die Regeln
ueber Volksbefragungen aber fuer unzeitgemaess gehalten werden, dann
sollte das dafuer vorgesehene Verfahren gestartet werden, diese Regeln
im Weg der Gesetzgebung des Landtags zu aendern.

Kaernten hat bislang keine ambitionierten direkt-demokratischen
Instrumente auf Landes- und Gemeindeebene, die die Kaerntnerinnen und
Kaerntner selber "von unten" initiieren koennen. So fehlt zB die freie
Unterschriftensammlung, eine Veto-Volksabstimmung auf Landesebene und
eine Veto- und Initiativ-Volksabstimmung auf Gemeindeebene.
(gek.)

Quelle:
http://mehr-demokratie.at/service/meldungen/357-kaerntner-ortstafel-qvolksbefragungq.html



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