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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Juni 2011; 23:18
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Demokratie/Glosse:

> Mut tut gut

Ueber Wut-, Mut- und Gutbuerger
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Er geistert seit knapp einem Jahr durch das Feuilleton, vor allem
durch das deutsche, zunehmend aber auch durch das oesterreichische,
und letzten Samstag beschaeftigte sich auf Oe1 die Sendung "Diagonal"
mit ihm, dem "Wutbuerger". 2010 wurde der Begriff von der deutschen
"Gesellschaft fuer deutsche Sprache" zum Wort des Jahres gewaehlt.
Google verzeichnet derzeit 368.000 Treffer fuer dieses Stichwort.

Aber was ist ein "Wutbuerger"? Seine Herkunft hat das Wort wohl von
einer rechten Waehlervereinigung in Berlin, die sich "Buerger in Wut"
nannten und es koennte auch durch den Begriff "gutbuergerlich"
beeinflusst worden sein. Populaer hat es aber wohl im Herbst 2010 ein
Essay im Spiegel gemacht, wo der Journalist Dirk Kurbjuweit die
Anhaenger von Thilo Sarrazin genauso wie die Gegner des Stuttgarter
Bahnhofsneubaus als solche bezeichnete. Doch Kurbjuweit hatte seinen
"Wutbuerger" noch als wohlhabenden konservativen Menschen, der "nicht
mehr jung" und frueher "staatstragend", jetzt aber "zutiefst empoert
ueber die Politiker" sei, charakterisiert. Seither hat der Begriff
eine Menge Weiterungen erfahren.

Mittlerweile werden so ziemlich alle Proteste gegen Regierungspolitik
als eine Sache der Wutbuerger bezeichnet -- die Demonstrationen des
"Arabischen Fruehlings" und der "Spanischen Revolution" und die
Streiks der Griechen genauso wie bei uns das FPOe-Waehlen oder die
Demonstrationen gegen die angebliche Moschee in der Wiener
Dammstrasse, aber auch die "Tea-Party"-Bewegung in den USA -- von
links bis rechts ist alles dabei.

Feindbild Wutbuerger

So nimmt es auch nicht Wunder, dass diejenigen, die sich als die
politische "Mitte" ansehen, vor dem Wutbuerger warnen. Ein Essay in
der "Zeit" im Dezember 2010 spricht ausgerechnet in einer Besprechung
des Buechleins "Der kommende Aufstand" davon, dass der Wutbuerger
ausgesprochen reaktionaer sei: "Reaktionaer insofern, als er insgeheim
von einem gluehenden Misstrauen gegenueber dem Parlamentarismus und
demokratischen Institutionen gepraegt ist, die Partizipation
strukturieren. Offenkundig ist mittlerweile jeder Sinn fuer die
formalistischen Aspekte der Demokratie verloren gegangen: Man will
sich nicht in den Niederungen der Parteien engagieren, sondern den
Meinungsbildungsprozess in Volksabstimmungen abkuerzen."

Aber wovon reden wir hier eigentlich? Unabhaengig einmal von den
Inhalten betrachtet, haben linke wie rechte, autoritaer inspirierte
wie libertaere Bewegungen dieser Tage tatsaechlich etwas gemeinsam:
Sie wollen die Behauptung, die nicht nur in der oesterreichischen
Verfassung steht, naemlich, dass alle Macht vom Volke ausgehe, einmal
ernst genommen sehen.

Ja, sicher, da sind schon so einige dabei, die sich einen kleinen
Hitler wuenschen, aber auch hier faellt auf, dass diese sich einfach
nicht mehr mit dem abfinden wollen, was ihnen als politische
Alltagskost vorgesetzt wird.

Wenn es diese rechte Wut gibt, dann ist sie nicht zuletzt gerade vom
autoritaeren Verhalten der Obrigkeiten induziert -- man hat die
Menschen dazu erzogen, dass ihre Vertreter alles schon zum Besten fuer
sie richten werden und dass die "Ehrlichen und Anstaendigen" ganz auf
die Autoritaeten vertrauen koennten.

Das koennen sie jetzt nicht mehr, aber trotzdem sitzt -- gerade in
Oesterreich, dank Gegenreformation, Metternich, Dollfuss und Hitler,
aber auch einer Zweiten Republik, in der sich zwei Parteien
jahrzehntelang die Macht geschwisterlich teilten und alle anderen
davon ausschlossen -- der autoritaere Charakter tief. Da darf man sich
nicht wundern, wenn der Protest nicht gerade vom Prinzip der
Gleichheit aller Menschen getragen ist.

Markus Willhelm schrieb im "Foehn" schon zu Zeiten des Baerentalers,
man muesse die "Haider-Waehler lieben" -- nicht fuer das, was sie
fordern, aber dafuer, dass sie ihre Unzufriedenheit mit der
einbetonierten politischen Klasse und ihrem Machtsystem nicht mehr
unterdruecken. Und das sei ja wohl etwas Gutes.

Wozu dieses Wort?

Genau hier hakt es naemlich in unseren buergerlichen Demokratien:
Menschen, die nicht mehr den obrigkeitlichen Einheitsbrei wollen,
werden als "Wutbuerger" bezeichnet. Ist es nicht aeusserst bedenklich,
dass es dafuer eine Wortkreation braucht? Sollte das nicht ganz normal
sein und sollte der "Gutbuerger" nicht prinzipiell der Obrigkeit
misstrauen und seiner Frustration Luft machen? Ist es
"wutbuergerlich", unter Demokratie mehr zu verstehen, als alle 5 Jahre
mal ein Kreuzerl machen zu duerfen?

Warum lesen wir denn so selten etwas ueber den "Faulbuerger"? Wieso
wird als Phaenomen oder gar Problem nicht die schweigende Mehrheit
thematisiert? Ganz einfach: Weil der Faulbuerger den Normalzustand und
auch den von oben gewuenschten Normzustand darstellt.

Man koennte auch vom "Mutbuerger" reden, wie das dankenswerterweise
Barbara Supp ebenfalls im Spiegel als Antwort auf Kurbjuweits
Charakterisierung getan hat. Aber dieser Begriff setzte sich nicht
durch, denn der dahinter stehende Gedanke entspricht eben nicht dem
common sense -- weder im Feuilleton, noch in der politischen Klasse,
noch bei den schweigenden Gutbuergern. Der Begriff "Mutbuerger" ist
einfach zu positiv, "Wutbuerger" drueckt hingegen aus, dass es sich
dabei um ein Problem handle. Denn der Normbuerger ist untertan, ist
ein "Buerger" im Sinne des Bourgeois statt des Citoyens und vertraut
seinen Vertretern in der hohen Politik. Er will sich gar nicht
ernsthaft mit den Problemen der Gesellschaft beschaeftigen. Er ist
eben ein Gutbuerger. Und wir alle sollen doch so sein wie er.

Doch was ist das fuer ein Bild von Demokratie?
*Bernhard Redl*



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