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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Mai 2011; 01:39
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278a/Glosse:

> Zuerst die Strafe, dann das Urteil

Vielleicht war der Tierrechtsprozess doch zu etwas nuetze


Ein Missstand, ueber den noch selten geredet worden ist - auch wenn
alle anwaltlich vertretenen Freigesprochenen ein Lied davon singen
koennen: Das Recht auf einen Anwalt hat man nur, wenn man ihn sich
leisten kann. Denn maximal 1250 Euro Entschaedigung bekommt man vom
Staat erstattet, wenn man in einem Strafprozess gewinnt -- den Rest
der Verteidigungskosten muss man selbst zahlen. Ansonsten bleibt einem
nur, das Wagnis einzugehen, sich selbst verteidigen zu wollen.

Waehrend im Zivilprozess der unterlegene Klagsgegner den Anwalt des
Gewinners zahlen muss, umgeht das der Klaeger Staat in
Strafrechtsangelegenheiten per Gesetz. Denn Verfahrenshilfe kann man
nur bei Anwaltspflicht beantragen -- eine solche gibt es aber nur bei
Schwerstdelikten und im Berufungsverfahren.

In der Causa des Tierrechtsprozesses wurde jetzt dieser Missstand der
Verschuldung von Unschuldigen ausgerechnet vom Chef der Gewerkschaft
der Richter und Staatsanwaelte Klaus Schroeder angemahnt --
Rechtsanwaelte reden ueblicherweise nicht so gerne darueber, denn das
vergrault die Kundschaft.

Immerhin reagierte Rechtsanwalt und SPOe-Sprecher Hannes Jarolim auf
die Initiative des Gewerkschafters mit einer Stellungnahme, dass man
den 278a-Angeklagten, deren Schulden allein aus den Anwaltskosten in
die Hunderttausende pro Person gehen, doch etwas mehr Entschaedigung
zahlen muesse. OeVP-Justizsprecher Heribert Donnerbauer hingegen ist
der Meinung, dass man schon seit Jahrzehnten dies so handhabe und die
Pauschalentschaedigung auch in keinem anderen Strafverfahren die
tatsaechlichen Kosten voll abdecke. Und ueberhaupt haette man in
dieser Budgetsituation kein Geld fuer sowas...

Das sind so diese Kleinigkeiten, an denen man den Rechtsstaat erkennt.
Motto: Wir beschuldigen dich einer Tat, wenn du unschuldig bist, dann
wird dich das Gericht ganz sicher freisprechen; moeglicherweise zwar
erst, nachdem du durch mehrere Instanzen gegangen bist -- aber dann
bist du frei. Wenn du dir jedoch einen Anwalt nimmst, bist du selbst
schuld. Du bist aber auch selber schuld, wenn du wegen der Anklage
deinen Job verlierst oder -- wie im Tierrechtsverfahren -- jahrelang
hauptsaechlich mit der Justiz beschaeftigt bist und kaum einer
geregelten Arbeit nachgehen kannst. Das ist halt der Tribut an die
Gerechtigkeit.

Besonders lustig ist ja in diesem 278a-Verfahren die
Staatsanwaltschaft -- sie beruft nicht nur wegen der Schuldfrage,
sondern auch wegen Nichtigkeit. Das heisst, die Sache geht in die
Rechtsmittelinstanz und koennte prompt wieder zum Erstgericht
zurueckverwiesen werden -- der Prozess muesste wiederholt werden. Das
Martyrium fuer die Angeklagten wuerde prolongiert.

Der Tierschuetzerprozess war ein Skandal von Anfang an - mittlerweile
ist das schon der Richterin klar geworden, die allerdings mit ihrem
Urteil voller Ruegen gegen Polizei und Staatsanwaltschaft wohl ihren
eigenen leicht ledierten Ruf wiederherstellen wollte. Denn ihre oft
seltsame Art des Umgangs mit Beweisantraegen ist mittlerweile bekannt
und von akademischen Rechtsautoritaeten hinlaenglich geruegt worden.
Die Anklage war nie wirklich hinreichend unterfuettert. Die Richterin
haette bei einer derart nicht vorhandenen Beweislage wie in diesem
Fall das Verfahren wahrscheinlich von vornherein nicht eroeffnen
duerfen.

Der Grundstein fuer die sukzessive Zerstoerung der oekonomischen
Existenz der Beschuldigten war die U-Haft, die einen ganzen Sommer
lang dauerte. Dann kam ein ewig dauerndes Vorverfahren und letztlich
ein Prozess, der ueber ein Jahr dauerte und 88 Verhandlungstage
benoetigte. Die einzige Chance, die die Beschuldigten jetzt haben, ist
ein Verfahren wegen Amtshaftung gegen die beteiligten Beamten aus
Staatsanwaltschaft und Polizei, das jetzt die Betroffenen gemeinsam
mit den Gruenen lanzieren wollen -- doch man darf keine grosse
Hoffnung haben, dass da etwas herauskommt.

Viele andere Freigesprochene haben aber nicht einmal diese
Moeglichkeit -- es reicht ein hinreichender Verdacht auch bei
korrekter Beamtenvorarbeit und schon sitzt man vor dem Richter.
Vielleicht war aber dieses jetzige Verfahren doch zu etwas nuetze --
naemlich um die Hinterfragung dieses seltsamen Verstaendnisses von
gerechter Justiz zu befoerdern.

Justitia ist nicht blind und auch die Frage bleibt aufrecht, ob man
Menschen dadurch bessert, in dem man sie einsperrt. Ebenfalls die
Frage, welche unserer Strafgesetze ueberhaupt als gerechtfertigt
anzusehen sind, muss gestellt werden, denn Gesetze sind immer Ausfluss
von Macht, nicht von Gerechtigkeit. Aber den buergerlichen Rechsstaat
muss man zuerst einmal an seinen eigenen Massstaeben messen. Da gibt
es Menschen, die dieser Rechtsstaat manchmal sogar jahrelang in Angst
und Unsicherheit versetzen, ihren Ruf schaedigen und ihre buergerliche
Existenz zerstoeren darf, und wenn dieser Staat selbst feststellen
laesst, dass diese Menschen nach seinen eigenen Regeln unschuldig
sind, weigert er sich, den Schaden wiedergutzumachen. Und laesst sich
feiern, dass er doch den Grundsatz habe, dass jeder Mensch solange als
unschuldig zu gelten habe, solange er nicht rechtskraeftig verurteilt
worden ist. Ja, sicher. Nur wird die Strafe eben schon vor dem Urteil
vollzogen. Denn die Anklage ist die Strafe.
*Bernhard Redl*



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