**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 13. April 2011; 05:22
**********************************************************

Debatte/Libyen:

> Neokonservative Kriegstreiber gegen naive Pazifisten?

In den letzten Wochen wurde an vielen Stellen emotional aufgeladen
ueber die militaerischen Interventionen der Alliierten in Libyen
debattiert. Verschiedene Pro- und Kontra-Standpunkte prallen seither
aufeinander, wenn es um die Beurteilung der UN-Resolution geht.
Anders, als beim Einmarsch in den Irak, der ohne UN-Mandat erfolgte
und von den USA mit vermeintlichen Beweisen fuer
Massenvernichtungswaffen gerechtfertigt wurde, ist die Linke in der
Libyenfrage aeusserst gespalten. Unter den (kritischen) Befuerwortern
der Luftschlaege finden sich neben Daniel Cohn-Bendit und Robert
Misik, beide nicht als neokonservative Kriegstreiber bekannt, auch die
ueblichen Verdaechtigen der US-Republikaner wie John McCain und der
franzoesische Staatspraesident Nicolas Sarkozy. Die Seite der Kritiker
ist ebenso heterogen ausgeformt und argumentiert teils durchaus
nachvollziehbar. Der Westen trage eine wesentliche Mitverantwortung an
der Herrschaftsfuehrung Gaddafis, heisst es. Luftschlaege gegen den
einstigen Verbuendeten seien daher heuchlerisch. Waehrend der erste
Punkt evident ist und damit nicht zur Diskussion gestellt werden kann,
sollte der Vorwurf der Heuchelei doch genauer unter die Lupe genommen
werden. Als Gaddafi nach den Anschlaegen vom 11. September 2001
erklaerte, er werde den Islamismus mit aller Macht zurueckdraengen,
wurde der ehemals geaechtete Terrorist zu einem Verbuendeten
westlicher Staaten, die vor allem wirtschaftlich an Libyen
interessiert waren. Gaddafi machte die Grenzen nach Europa fuer
Fluechtlinge dicht und schloss Vertraege fuer Oellieferungen nach
Europa ab. Die EU war zufrieden, Gaddafi endlich wieder salonfaehig.
Vor diesem Hintergrund interessierte sich der Westen nicht mehr fuer
die libysche Innenpolitik und verschloss die Augen vor Unterdrueckung
und Missachtung der Menschenrechte. In diesem Punkt stimme ich den
Kritikern der Luftschlaege zu. Soll diese Tatsache aber wirklich als
Argument dienen, das militaerische Eingreifen in Libyen als falsch zu
betrachten? Muss man - auch als linker, grundsaetzlich pazifistisch
eingestellter Buerger - nicht vielmehr froh darueber sein, dass
endlich - wenn auch zu spaet - ein Umdenken stattgefunden hat?

Die Schockstarre westlicher Staaten als es in Tunesien und Aegypten zu
revolutionaeren Umbruechen, zu Kaempfen fuer Freiheit und Demokratie
kam, ist zwar durchaus zu kritisieren, allerdings war sie erwartbar.
Eine Europaeische Union, die in wesentlichen Bereichen ein
Fleckerlteppich nationaler Interessen und Konzepte ist, konnte im
ersten Moment nicht anders als mit einer unertraeglichen
Nicht-Reaktion reagieren. Zudem fanden die Revolutionen in Laendern
statt, deren Machthaber in Europa - aus verschiedenen Gruenden -
angesehen oder wenigstens geduldet waren. Aegyptens Ex-Praesident
Mubarak beispielsweise kam im Nahost-Konflikt oder vielmehr in der
Vermittlung zwischen Israelis und Palaestinensern eine entscheidende
Rolle zu. Vor allem Israel - und in Folge auch die USA -blickten
waehrend der Umbrueche sorgenvoll nach Kairo und noch sorgenvoller in
eine Zukunft nach Mubarak. Das Gespenst einer Erstarkung des
Islamismus in den gemaessigten nordafrikanischen Staaten ging in der
Welt um. Ein Dilemma fuer den Westen, denn einerseits musste man die
Bestrebungen der Bevoelkerungen nach Freiheit und Demokratie
unterstuetzen, wollte man nicht Gefahr laufen noch mehr an
Glaubwuerdigkeit einzubuessen; andererseits war da die Angst vor
problematischen Entwicklungen, die auch fuer den Westen negative
Konsequenzen haben koennten. Schnell wurde daran erinnert, dass lange
geforderte demokratische Wahlen im Gaza-Streifen die Hamas an die
Macht gebracht und so dem Terror gegen Israel eine neue Qualitaet
verschafft hatten. Nach zaehen Verhandlungsrunden und
aussenpolitischen Abstimmungen reagierte die EU schliesslich doch und
sprach den Bevoelkerungen in Tunesien und Aegypten ihre Unterstuetzung
aus. Anders als in Libyen reichte es im Fall dieser Laender allerdings
aus, Unterstuetzung fuer den Aufbau demokratischer Strukturen und bei
der Durchfuehrung freier Wahlen in Aussicht zu stellen und die
Umbrueche zu loben, weil sie den unbaendigen Willen nach Demokratie,
Achtung der Menschenrechte und politischen Pluralismus zeigen.

Dann aber erfassten die Revolutionen auch andere Laender - darunter
eben auch Libyen. Spaetestens mit den brutalen Niederschlagungen von
Demonstrationen, der Anwerbung von auslaendischen Soeldnern, die im
Auftrag Gaddafis gegen sein eigenes Volk vorgingen und den Drohungen
des Despoten an die Adresse Europas wurde klar, dass das Engagement
hier anders aussehen muss. Die Oppositionellen in Libyen kaempften
relativ schnell auf verlorenem Posten - der angestrebte Macht- und
Politikwechsel war zum Scheitern verurteilt. Anders als Mubarak und
Ben Ali hat Gaddafi bis heute klar gemacht, das Land nicht verlassen
und die Macht nicht abgeben zu wollen. Er bewaffnete seine fuer ihre
Unterstuetzung bezahlten Anhaenger, holte sich afrikanische Soeldner
und ruestete zu einem Krieg gegen die eigene Bevoelkerung. Als die
Rebellen, die Arabische Liga und einige westliche Staaten nach
Unterstuetzung riefen, begann ein zaeher Diskussionsprozess in
internationalen Gremien. Binnen weniger Tage musste entschieden
werden, ob und wie man sich in den Konflikt einschalten wird. Im
UN-Sicherheitsrat konnten Vetos von Russland und China verhindert
werden, man holte arabische Staaten an Bord und einigte sich
schliesslich auf die Durchsetzung einer Flugverbotszone ueber Libyen.
Vor dem Hintergrund der brisanten Entwicklungen war dies eine
Notwendigkeit, wollte man nicht Gefahr laufen, einem Voelkermord
tatenlos zuzusehen.

Kritiker argumentieren, dass wirtschaftliche, finanzielle und
politische Sanktionen nicht ausgereizt wurden - der Luftschlag gegen
Gaddafis Truppen erfolgte demnach zu frueh und sei abzulehnen. Die
Ausweitung wirksamer Sanktionen ist natuerlich ein Gebot der Stunde,
eine Notwendigkeit die VOR jeglicher militaerischer Intervention
stehen muss. Dennoch sollte man einen realistischen Blickwinkel
wahren: egal, welche Sanktionen der Westen gegen Gaddafi beschliesst,
sie werden ihn nicht ausreichend schwaechen oder gar zum Ruecktritt
oder zur Flucht bewegen. Gaddafis Clan verfuegt ueber gigantische
finanzielle, personelle und infrastrukturelle Ressourcen, die ein
Fortfuehren des Kampfes gegen das eigene Volk trotz umfangreicher
Sanktionen ermoeglichen. Ich stimme zu, wenn Rufe laut werden, die ein
Ende des Engagements europaeischer Unternehmen fordern, um wenigstens
ein Zeichen zu setzen und die ohnehin schiefe Optik der Beziehungen
zwischen Libyen und dem Westen etwas gerade zu ruecken. Zu glauben,
dass durch die Aussetzung wirtschaftlicher Kooperationen, das
Einfrieren von Geldern, den Abbruch diplomatischer Beziehungen o.ae.
ein Ende der Gaddafi-Herrschaft forciert werden koennte, ist
allerdings recht naiv.

Natuerlich liegen der Entscheidung fuer Luftschlaege gegen Gaddafi
nicht nur humanistische Motive zugrunde und vielleicht sind sie nicht
einmal vorrangig gewesen. Das Eingreifen zum Schutz der
Zivilbevoelkerung zeigt aber, dass es dem Westen auch nicht nur um
wirtschaftliche Interessen geht - waere dies naemlich der Fall,
muesste ihm daran gelegen sein, Gaddafi zu staerken und die gewohnte
Ordnung wiederherzustellen. Weder die USA, noch die Arabische Liga
haben sich eine Entscheidung leicht gemacht. Die Enthaltungen
Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat sprechen ebenfalls eine
deutliche Sprache. Natuerlich muss das militaerische Engagement
kritisch beobachtet und regelmaessig evaluiert werden - die
UN-Resolution ist kein Persilschein fuer unsinniges, ineffektives und
ausuferndes Eingreifen des Westens. Sie muss dem Kampf der
aufstaendischen Oppositionellen dienen und als Unterstuetzung der
nationalen Freiheitsbewegung angelegt sein. Aus diesem Grund ist der
Einsatz von Bodentruppen ebenso ausgeschlossen wie auslaendische
Besatzungen in Libyen. Mittlerweile haben sich die Alliierten darauf
geeinigt, die Koordination der Luftschlaege der NATO zu uebergeben -
nationale Alleingaenge sind unerwuenscht. Ich war und bin kein Freund
der NATO und weit davon entfernt sofort nach militaerischem Engagement
zu rufen. Im Falle Libyens gab es allerdings keine ernstzunehmenden
Alternativen, wollte man nicht tatenlos zusehen, wie Gaddafi sein
eigenes Volk niedermetzelt.

Die aktuelle Diskussion ueber moegliche Waffenlieferungen an die
Rebellen steht auf einem anderen Blatt und sollte nicht leichtfertig
nach dem Motto "Jetzt is a scho wurscht" in eine Entscheidung FUeR die
Bewaffnung der Aufstaendischen muenden. Ebenso wie im Fall der
Luftschlaege, muss hier sorgfaeltig abgewogen werden, was sinnvoll und
nuetzlich ist und welche kontraproduktiven Konsequenzen zu erwarten
sind. Der Konflikt in Libyen weist buergerkriegsaehnliche Tendenzen
auf, das Land ist tief in einer politischen und sozialen Instabilitaet
verhaftet, die mittel- und langfristige Zukunft ist ungewiss. Die
Entwicklungen muessen vor Ort beobachtet und beurteilt werden - so
lange eine Chance besteht, Gaddafi zu stuerzen, ohne Waffen aus dem
Ausland nach Libyen zu bringen, sollte der Westen dringend Abstand
davon nehmen. Die Diskussion sollte sich augenblicklich vor allem
darauf konzentrieren, die Effizienz der bereits eingeleiteten
Massnahmen zu steigern und die Rebellen auf diesem Weg zu
unterstuetzen. Wie der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger
kuerzlich auf Facebook zu bedenken gab, blieben gelieferte Waffen auch
nach einem Ende der Kaempfe, nach einem Sturz Gaddafis im Land und
koennten kuenftige Konflikte intensivieren.

Zusammenfassend plaediere ich fuer eine differenzierte, konstruktive
Diskussion der aktuellen Konfliktherde, die sich im Uebrigen nicht nur
auf Libyen beschraenken, sondern- in aehnlicher Intensitaet - auch den
Jemen und Syrien erfasst haben. Nicht alle Befuerworter einer
militaerischen Intervention sind automatisch neokonservative
Kriegstreiber, nicht alle Gegner des Konflikts sind naive Pazifisten.
Die aufgeladenen Diskussionen sind vielmehr ein Zeichen fuer die
Vielschichtigkeit und die zahlreichen Ebenen des Konfliktes.
Betrachtet man die unterschiedlichen Argumente bzw. deren
unterschiedliche Gewichtung (auf beiden Seiten), wird klar, dass die
Konfliktlinien innerhalb der Diskussion nicht entlang einer
schwarz-weissen Trennlinie verlaufen und die Debatte ein Abbild
politischer und gesellschaftlicher Realitaeten ist.
*Stefanie Klamuth*


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin