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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. Maerz 2011; 02:19
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Vereinigtes Koenigreich:

> Eine Schlacht fuer alle Fronten

Rueckkehr zur Kanonenbootpolitik: Mit ihrem Bombardement von Libyen
lenkt die britische Regierung von Problemen ab, die fuer sie weitaus
gefaehrlicher sind als Muammar al-Gaddafi.
(aus der WoZ, Stand 24.3.)


Nein, ein Pudel ist er nicht, jedenfalls noch nicht. Waehrend Tony
Blair bereitwillig und untertaenig dem frueheren US-Praesidenten
George Bush sekundierte, als dieser Kriege anzettelte, mimt David
Cameron seit Wochen eine Bulldogge, die den eher bedaechtig agierenden
US-Praesidenten Barack Obama in die Wade zwickt: Der britische
Premierminister war der erste fuehrende westliche Politiker, der eine
Flugverbotszone fuer Libyen forderte. Ansonsten aber unterscheidet er
sich nur wenig von seinem Vorvorgaenger. Auch Cameron befragte nicht
das Parlament, bevor er am Freitag vergangener Woche den Einsatzbefehl
gab - und er wird ebenso wenig auf die Generaele hoeren wie Labours
Kriegspremier Blair. Diese hatten am Montag erneut Downing Street 10
davor gewarnt, Muammar al-Gaddafi zum Angriffsziel zu erklaeren und
sich in den liby­schen Buergerkrieg einzumischen. Nicht nur die
politischen, auch die militaerischen Folgen seien unabsehbar,
argumentieren hochrangige britische Militaers.

Zerreissprobe fuer Regierungskoalition

Trotzdem laesst der konservative Premier Tripolis mit Cruise-Missiles
beschiessen, die zwischen zivilen und militaerischen Zielen nicht
unterscheiden - und das, obwohl er damit seine
konservativ-liberaldemokratische Koalition einer neuen Zerreissprobe
aussetzt. Die Liberaldemokraten hatten waehrend des Wahlkampfs vor
einem Jahr hervorgehoben, dass sie als einzige der grossen Parteien
den Irakkrieg stets abgelehnt hatten. Die tief sitzenden Sehnsuechte
des britischen Buergertums nach Weltgeltung moegen bei Camerons
Entscheid ebenso eine Rolle gespielt haben wie die Interessen
britischer Energiekonzerne, die Libyens Bodenschaetze ausbeuten. Aber
es geht dem Premier nicht nur ums Oel.

Denn der Regierung steht am Wochenende eine grosse innenpolitische
Auseinandersetzung um ihre Abbauplaene beim Service public bevor. Da
hilft es, dass sich die Medien - insbesondere die Boulevardpresse -
fuer eine vermeintlich gute Sache begeistern (den Schutz der
Schwachen, den Kampf gegen Diktatoren) und laufend Bilder von
heldenhaften Piloten zeigen, die «fuer die Demokratie ihr Leben
riskieren». Ablenkung der Oeffentlichkeit ist schon immer ein guter
Kriegsgrund gewesen. Das hatte Margaret Thatcher demonstriert, als sie
1982 den Krieg um die Malvinas, die Falklandinseln, vom Zaun brach.1)
Die damals hoechst unpopulaere Premierministerin gewann kurz danach
die Unterhauswahl.

Wohl auch deswegen schliesst der britische Verteidigungsminister Liam
Fox selbst einen Einsatz von britischen Bodentruppen in Libyen nicht
aus. Ob das Manoever gelingt, ist allerdings ungewiss. Denn nun
beteiligt sich auch die traditionell starke Antikriegsbewegung am
Protest gegen die Regierungspolitik, zu dem der
Gewerkschaftsdachverband TUC schon vor langem aufgerufen hat.

Die Grossdemonstration am Samstag - der TUC erwartet ueber 100.000
TeilnehmerInnen - richtet sich vor allem gegen das rabiate
Sparprogramm der konservativ-liberalen Regierung. 2) Die
Gewerkschaften (aber nicht nur sie) gehen davon aus, dass die
Konservativen mit dem geplanten Abbau von rund 1,3 Millionen
Arbeitsplaetzen ohne Not und aus rein ideologischen Gruenden den
Sozialstaat beseitigen und dessen Restbestaende privatisieren wollen.
Allein in den letzten zwoelf Monaten hat die Staatsfuehrung 132.000
Stellen im Service public abgebaut - obwohl Britannien trotz der
horrend teuren Bankenrettung im internationalen Vergleich nicht einmal
halb so verschuldet ist wie Italien.

Karneval des zivilen Ungehorsams

Und so werden am Samstag Krankenpfleger­Innen gegen die schleichende
Privatisierung des Nationalen Gesundheitsdienstes protes­tieren,
Zoellner und Feuerwehrleute auf die Strasse gehen, Arbeitslose und
Eltern gegen die Kuerzung von Sozialleistungen aufbegehren und
mittelstaendische AktivistInnen an ihren erfolgreichen Widerstand
gegen den geplanten Verkauf der Staatswaelder erinnern. Doch nicht nur
sie sind unterwegs. Zahlreiche Basisorganisationen haben den 26. Maerz
zum zentralen Aktionstag gegen die Regierung erklaert: Sie wollen
parallel zur TUC-Demonstration Banken und Geschaeftsfilialen besetzen,
den Hyde Park einen Tag lang okkupieren und 24 Stunden lang den
Trafalgar Square zum Londoner Tahrir-Platz des Volksprotests ausrufen.

Selbst auf die Polizei wird sich die Regierung beim Karneval des
zivilen Ungehorsams nicht verlassen koennen. Die bislang eher
konservative Police Federation fordert inzwischen das Streikrecht,
weil auch in ihrem Bereich 28?000 Stellen abgebaut werden sollen und
Lohnkuerzungen im zweistelligen Prozent­bereich drohen. Gaddafi, dem
das britische Establishment vor kurzem noch hofierte, ist ein
vergleichsweise einfacher Gegner.
(Pit Wuhrer in WOZ vom 24.03.2011)
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Quelle: http://www.woz.ch/artikel/2011/nr12/international/20521.html
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Anm.d. akin-Red.:

1) Das ist eine Interpretationsfrage. Die Falkland-Inseln oder
Malvinas sind eine britische Kolonien, bewohnt von einer Handvoll
britischer StaatsbuergerInnen. Ueber die Legitimitaet einer solchen
Kolonie am anderen Ende der Welt kann man streiten, aber tatsaechlich
ging die akute Aggression von Argentinien aus,dessen Soldaten die
Inseln besetzten. Die Kolonie einfach aufzugeben, kam fuer
Grossbritannien nicht in Frage und so kam es zum Krieg. Dass dieser
Thatcher nicht ungelegen kam, steht aber auf einem andern Blatt.

2) Die tatsaechliche Beteiligung war enorm. Die Schaetzungen
schwankten zwischen "mehr als eine Viertelmillion" und "bis zu einer
halben Million" Menschen auf der Strasse.



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