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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. Februar 2011; 05:56
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Arbeit/Serbien:

> Die ArbeiterInnen von Jugoremedija gehen ihren eigenen Weg

Serbien wird 2011 gegen eine hohe Arbeitslosigkeit ankaempfen muessen.
Gegenwaertig sind nach einer offiziellen Statistik 800.000 Menschen
ohne Arbeit, die reale Zahl ist aber doppelt so hoch. Fuer die
Probleme der serbischen Wirtschaft wird die verfehlte Privatisierung
der Fabriken verantwortlich gemacht. Von 2001 bis heute wurden 2640
Unternehmen privatisiert, die wenigsten erfolgreich. Die Haelfte davon
ging bankrott und die ArbeiterInnen haben ihre Jobs verloren. Da die
ArbeiterInnen auch gleichzeitig KleinaktionaerInnen, also zum Teil
EigentuemerInnen der Unternehmen waren, verloren sie damit ihre
Arbeitsplaetze und ihr Kapital.

Fuer diese Probleme werden schon lange die Korruptionsstrukturen,
welche die Fabriken verkaufen, das Marktmonopol, sowie das Kapital von
verbrecherischer Herkunft, mit dem die Fabriken gekauft wurden,
verantwortlich gemacht. Die ArbeiterInnen Serbiens, zumindest ein
grosser Teil von ihnen, hatte nicht die Kraft, in der Periode der
Transition (dem Weg aus dem Sozialismus in den Kapitalismus), das
Motto "nichts wird ueber mich entschieden ohne mich" aufzugreifen und
zu leben.

Sie waren nicht nur Beschaeftigte in den Fabriken, sie waren auch zum
kleineren Teil AktionaerInnen dieser Fabriken. Von Seiten der
Regierung und der neuen KapitalistInnen wurden sie zu Objekten der
Transition, die zu allem was die Politik, die neuen EigentuemerInnen
und ihre ExpertInnen von sich geben, schweigen und gehorchen sollten.

In den Gewerkschaften hatten sie zu wenig Macht, um in den sozialen
Dialog einzutreten. Die Gewerkschaften hatten zu wenig Wissen und
Rechte, um irgendwelche Initiativen zu setzen. So blieben sie am Rande
der Entwicklung. Und deshalb haben sie unter den ArbeiterInnen auch
keinen hohen Stellenwert. So ergab sich ein Bild, wo die ArbeiterInnen
sich «im Sozialismus schlafen gelegt hatten und ploetzlich im
Kapitalismus aufgewacht sind».

Doch unter diesen Rahmenbedingungen ist es den ArbeiterInnen der
Arzneifabrik Jugoremedija in Zrenjanin gelungen, sich auf die Beine zu
stellen und mit ihrem Kampf die Aufmerksamkeit der Weltoeffentlichkeit
zu erlangen und auch die Unterstuetzung von vielen, so auch Noam
Chomsky zu erhalten.

Nach einem drei Jahre dauernden Kampf um Eigentuemerrechte und Recht
auf Arbeit hat ein Gruppe von ca. 150 ArbeiterInnen unter der Fuehrung
von Zdravko Deuric, der heute Geschaeftsfueher ist, im Jahr 2007 die
Fabrik als MehrheitseigentuemerInnen (58%) in ihre Selbstverwaltung
uebernommen. Sie haben die ArbeiterInnen, die gekuendigt worden waren,
entschaedigt, die Produktion wieder aufgenommen, die Fabrik von Grund
auf entsprechende europaeischer Richtlinien erneuert, durch eine
Investition von 13 Millionen Euro.

Trotz des Erfolges der Selbstverwaltung von ArbeiterInnen moechte der
Staat heute wieder seinen Aktienanteil von 42 % der Fabrik verkaufen,
ein grosser Teil der KleinaktionaerInnen schliesst sich diesem
"Goldrausch" an. 46 ArbeiterInnen/AktionaerInnen aus der Gruppe von
150, die einen jahrelangen Kampf gefuehrt haben, haben sich fuer einen
eigenen Weg entschieden.

Der Staat moechte zwar einen erneuten Verkauf der Fabrik, aber die
Menschen sehen in ihm keinen soliden Verkaufspartner und moechten
deshalb den Verkauf so nicht hinnehmen. Sie haben ihre Aktien
gebuendelt, bescheidene Mittel aufgestellt, jedeR wie sie/er konnte,
durch den Verkauf eines Autos, Kreditaufnahme und aehnliches, ein
Grundstueck erworben, auf dem sie ihre eigenen Fabrik errichten, die
sich an das bestehende Unternehmen Jugoremedija anlehnt. Auch
untypisch fuer Serbien fuehren sie die groben Arbeiten wie
Betonierung, Kanalisierung, usw. selber aus, um die Baukosten niedrig
zu halten und schneller ausfuehren zu koennen.

Mit ihren Aktienpaketen bauen sie also ihre eigene Fabrik auf, von der
auch die anderen AktionaerInnen von Jugoremedija einen Profit haben
werden, denn ein Teil dieser neuen Fabrik (ca. 28 %) wird aufgrund der
verwendeten Pharmalizenzen auch ihnen gehoeren.

Es stellt sich die Frage, wie trotz offensichtlicher und subtiler
Druckausuebung wie verbale Beschimpfungen, physische Angriffe,
Polizeischikanen und Anzeigen diese Mensche eine solche
Lebensvitalitaet und Unternehmergeist zeigen koennen. Das Leitmotiv
dieser Gruppe ist einfach, dass niemand ihre Probleme ohne sie loesen
kann.

Der Kampf um den Arbeitsplatz ist der aufrichtigste Kampf im heutigen
Serbien, der von den ArbeiterInnen-AktionaerInnen gefuehrt wird. Sie
bringen die Zivilisation zurueck in ihre Stadt, kaempfen gegen die
Verzweiflung an. Sie zeigen, dass die ArbeiterInnen diejenigen sein
koennen, die einen Ausweg aus der Krise sehen. Eine solche Initiative
wird einerseits mit Sympathie andererseits auch mit Ablehnung
aufgenommen. Sie bringt uns aber auch einer Loesung naeher, denn auch
so kann gegen schlechte Privatisierungen in Serbien angekaempft
werden. Das ArbeiterInnenbewusstsein reift insofern, als sie erkennen,
dass sie ihre Fabriken selbst verwalten koennen und
verantwortungsbewusst einen Fortschritt fordern. Sie sind bisher das
einzige Beispiel dafuer und den serbischen KapitalistInnen gefaellt
das natuerlich nicht. Zwei ArbeiterInnen haben einen Dokumentarfilm
ueber den Bau produziert, organisieren gegenwaertig
Podiumsdiskussionen und Filmvorfuehrungen, um eine
Solidaritaetsbewegung fuer die Verteidigung ihres Grundsatzes "ueber
mich kann nichts entschieden werden ohne mich" zu initiieren.
(Branislav Markuš, Arbeiter und Verwaltungsrat der Arzneimittelfabrik
Jugoremedija)

Quelle: http://www.labournet.de/internationales/yu/jugoremedija1.pdf



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