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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. Februar 2011; 02:06
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Protest/Kultur:

> Nicht jedes Jahr dieselbe Scheisse

Die Wiener Polizei bot bei den Anti-WKR-Protesten den EU-Beobachtern
ein wunderbares Beispiel, wie Demonstrationsverbote kontraproduktiv
sein koennen. Eine Nachbetrachtung

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Mit der Parole "Jedes Jahr dieselbe Scheisse!" wurde heuer zur
Demonstration anlaesslich des WKR-Balles aufgerufen. Und anfangs
schien es auch so, als wuerde alles den gleichen Verlauf nehmen wie
2010. Solange, bis sich Donnerstag abend (27. Jan) eine
Spontankundgebung einfand, die die Polizei auf das einstimmte, was ihr
am naechsten Tag bluehen sollte. Freilich hat das keineR kommen sehen.
Warum eigentlich nicht?

Am 28. Jaenner sollte, wie in den Jahren zuvor, eine Demonstration
anlaesslich des WKR-Balles stattfinden. Nach Unstimmigkeiten innerhalb
des nowkr-Buendnisses, den Umgang mit der Untersagung 2010 betreffend,
meldete ein Teil der AntifaschistInnen -- vereint im "Antinationalen
Buendnis Wien (ANB-W)" - heuer eine eigene Kundgebung am Praterstern
an. Es sollte dies die einzige angezeigte Kundgebung bleiben;
Gruppierungen, die mit dem "Antinationalismus" nicht so viel anfangen
koennen (RKJV, IA.RKP, KJOe, Revolution,...) beschraenkten sich
darauf, die Kundgebung durch Aussendungen vereinnahmen zu wollen,
anstatt den Protest durch eigene Versammlungen zu verbreitern. Es
sollte aber sowieso keine Kundgebung stattfinden.

Am Donnerstag, den 27. Jaenner wurde bekannt, dass die Polizei die vom
Praterstern ausgehende Kundgebung nicht zulassen wolle, und vielmehr
den Sigmund-Freud-Park als Ort fuer eine Standkundgebung
vorschgeschlagen hatte. Darauf wollten sich die VeranstalterInnen der
Versammlung kurzfristig widerwillig einlassen. Sie entschlossen sich,
die beworbene Kundgebung abzublasen, wurden aber nicht muede, zu
verkuenden, dass sich der Protest nicht verbieten lassen werde.

Dass dies keine leeren Versprechungen waren, stellte sich schon am
Donnerstag Abend heraus, als ca. 200 DemonstrantInnen vom
Stephansplatz bis zum Schottentor und spaeter ca. 70 Leute von der
Oper bis zum Naschmarkt zogen, und die Polizeikontingente ein erstes
Mal vorfuehrten -- sie boten ihnen naemlich keine Zeit zum Eingreifen.

Der grosse Tag

Am Freitag wurde endgueltig jegliche Kundgebung untersagt. Die Polizei
postierte im Bereich Rathausplatz - Universitaet - Votivkirche -
Nationalbank Unmengen an Einsatzkraeften und Tretgittern, 4
Strassenbahnlinien waren gesperrt, einzelne Gruppentransporter hin-
und herverlegt. Versammlungen in diesem Bereich gab es aber auf
offener Strasse keine (auch nicht durch Kleinstgruppen).

Nur auf dem Uni-Campus, beim Infopoint des ANB-W, sammelten sich ca.
150 Widerspenstige, die auf weitere "Instruktionen" warteten. Es ist
aber anzunehmen, dass in der ganzen Stadt kleinere und groessere
Grueppchen darauf warteten, endlich loslegen zu koennen.

Kurz nach 18 Uhr verliessen die Leute beim Infopoint den Uni-Campus
und versuchten ueber die Spitalgasse Richtung Guertel zum Treffpunkt
U6-Alserstrasse zu gelangen. Die Exekutive zog auf der Hoehe der
Spitalgasse 23 relativ schnell einen Kessel zwecks Absperrung auf, und
die Nachkommenden mussten sich andere Wege suchen, wie zB durchs neue
AKH. Auch dort (Ecke Guertel) gab es einen kleinen Kessel. Inzwischen
gab es auch einen grossen Kessel in der Westbahnstrasse (einige
DemonstrantInnen duerften sich im Bereich des Westbahnhofs gesammelt
haben), wo ca 200 Personen stundenlang festgehalten wurden. Dort soll
es eine Verhaftung gegeben haben. Die Sambagruppe, die schon im
letzten Jahr Extrabehandlungen von der Polizei erfahren durfte, wurde
auch heuer separat gekesselt und ihrer Instrumente entledigt.

Der Demonstrationszug, der sich im Bereich der U6-Alserstrasse
zusammengefunden hatte, zog erst ueber die Nebenfahrbahnen den Guertel
hinab. Vereinzelte Versuche, der Polizei, den Zug zu kesseln, duerften
gescheitert sein, nach der Ueberquerung des Urban-Loritz-Platzes
gingen die Protestierenden erst zaghaft, dann stroemend auf die
Hauptfahrbahn, und blockierten diese mittels umgeworfener
Verkehrsschilder und neu (auf der Fahrbahn) positionierter Parkbaenke.

Treffpunkt Europa-Platz

Auf der Hoehe des Westbahnhofes kam eine eigenartige Stimmung auf. Die
Demo war nun dort angelangt, wo sie im Vorjahr untersagt worden war,
und am besten Weg dorthin, wo sie auf gar keinen Fall hinsollte. Und
die Cops? Weit hinten nach. Die "Mariahue" war also frei.

"Wir demonstrieren wo wir wollen, gegen Repressionen und Kontrollen!"
schallte es aus den Haelsen der Demonstrierenden, und sie bogen --
irgendwie triumphierend -- in die Mariahilferstrasse ein, die Polizei
konnte nichts als nachlaufen. (O-Ton "Die Polizei zieht mit mindestens
20 Wannen hinter uns her").

Es wurden weiter Schilder -- zwecks Blockade -- auf die Strasse
befoerdert und Kleider-Bauer (am Zustandekommen des Prozesses gegen 13
TierrechtlerInnen nicht unbeteiligt) wurde entglast. Es dauerte noch
eine ganze Weile, bis eine nennenswerte Menge an PolizistInnen es
geschafft hatte -- wahrscheinlich ueber Seitengassen -- an der
Demonstration vorbeizukommen. Den ersten Mini-Kessel gab es beim H&M,
mindestens eine Person wurde brutalst verhaftet. Eine groessere
Polizeisperre hinderte die Demo dann endgueltig am weiterziehen.

Die nun versprengten DemonstrantInnen wollten sich beim
Museumsquartier wieder zusammenfinden, kamen dort allerdings nicht
weit, da die Polizei bereits mit enormer Praesenz auf sie wartete.

Die Versprengung der Demos hatte viele weitere Spontan-Blockaden zur
Folge, wie zB am Schwedenplatz, wo ca. 30 Leute kurz auf die Strasse
gingen, am Stubentor oder am Karlsplatz, wo sich ca. 70 Protestierende
eingefunden hatten. Der Zug durch die Mariahilferstrasse und die
sichtliche Ueberlastung der Polizeikapazitaeten sollte nicht der
einzige Erfolg fuer die DemonstrantInnen bleiben.

Platzverbot unterlaufen

Um 22 Uhr fanden sich dann tatsaechlich mehrere Protestierende (in
Berichten ist die Rede von 200!) beim Burgtor, direkt vor der Hofburg,
ein und blamierten damit die Polizei endgueltig. Das ausgesprochene
Platzverbot war gebrochen worden, und den Ordnungskraeften wurde die
Rechnung fuer die Untersagung der Proteste praesentiert. Schleunigst
wurde alles an Polizei zum Burgring mobilisiert, was noch zur
Verfuegung stand -- auch hier konnte allerdings kein Erfolg mehr
erzielt werden, die Menge begnuegte sich damit, dort gewesen zu sein,
und loeste sich auf. Was blieb, ist ein Video von ca. 20
DemonstrantInnen, die zwei StreifenpolizistInnen mittels
"Ringelreiher-Tanz" einkesselten.

Die Bilanz der Proteste sind weitaus weniger Festnahmen ("nur" vier)
und Identitaetsfeststellungen ("nur" 160) als im Vorjahr. Zwei der
vier Inhaftierten wurden vom letzten, tapferen Rest der
Protestierenden um Mitternacht herum jubelnd in Empfang genommen. Die
Vielzahl und Kreativitaet der Proteste wurde in den letzten Jahren in
dieser Staerke wohl kaum erreicht, einzig einzelne Protestaktionen
gegen Schwarz-Blau lassen sich mit dem Umfang der heurigen Demos
anlaesslich des WKR-Balls vergleichen.
-pc-

*

Bilder: https://linksunten.indymedia.org/de/node/33017

Einen ungefaehren Ueberblick ueber die Geschehnisse bietet eine
liebevoll aufbereitete Graphik unter http://yfrog.com/h53ny0j



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