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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. Februar 2011; 02:24
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Kapitalismus/Lebens-Mittel:

> Norwegens Nein zu strengerem Sortenschutz

In akin 29/2010 berichteten wir ueber den Protest gegen die
EU-Erhaltungssortenrichtlinie, die dafuer sorgen koennte, dass Sorten
landwirtschaftlich genutzter Pflanzen durch ein Zulassungsverfahren
kein allgemeines Gut mehr waeren, sondern Eigentum von
zahlungskraeftigen Rechteinhabern. In ein aehnliches Horn wie die
Richtlinie stoesst das geltende internationale Abkommen zum Schutz von
Pflanzenzuechtungen (UPOV-Vertrag, siehe unten). Norwegen wollte dem
Abkommen beitreten und wendet als EWR-Mitglied auch die EU-Richtlinie
an, doch jetzt sieht dort alles etwas anders aus.

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Norwegische BaeuerInnen und GaertnerInnen duerfen wieder Saatgut aus
eigener Ernte gewinnen, aussaeen und untereinander tauschen, auch von
geschuetzten Sorten, die in der Hand von privaten Firmen sind. Als
Norwegen vor einigen Jahren seine Saatgutindustrie privatisierte,
begann die Regierung auch die diesbezuegliche Gesetzgebung, naemlich
den Sortenschutz und die Saatgutgesetze zu ueberarbeiten. Die kleinen
norwegischen Saatgutfirmen erhofften sich Einnahmen aus
Nachbaugebuehren, die Bauern zahlen muessen, weil sie selbst
gewonnenes Saatgut von lizenzierten Sorten nicht mehr frei verwenden
duerfen. Deshalb schlugen sie vor, die Sortenschutzgesetze zu aendern,
damit Norwegen Mitglied von UPOV 1991 werden koenne. UPOV ist der Name
des Internationalen Verbandes zum Schutz von Pflanzenzuechtungen
(siehe Kasten). Das Abkommen von 1991 verbietet BaeuerInnen den
Austausch von Saatgut. Im Januar 2005 fand eine oeffentliche Anhoerung
zu dem Gesetzesentwurf statt. Aus zwei Gruenden gab es entschiedene
Proteste:

1. Das neue Gesetz wuerde die traditionellen baeuerlichen Rechte,
Saatgut und Zuchtmaterial aus eigener Ernte zu verwenden und zu
tauschen, die sogenannten Farmers' Rights, einschraenken.

2. Die Kosten wuerden an die norwegischen Bauern und Baeuerinnen
weitergegeben, die fuer jede Aussaat Saatgut neu kaufen muessten.

Bei einigen Arten koennten KleinbaeuerInnen zwar eigenes Saatgut
verwenden, muessten dafuer aber Nachbaugebuehren zahlen. Sogar die
Saatgutindustrie, die den Gesetzesvorschlag zuerst unterstuetzt hatte,
sprach sich fuer mehr baeuerliche Freiheit aus.

Im September 2005 wurde eine neue Regierung gewaehlt. Der neue
Minister fuer Landwirtschaft und Ernaehrung, ein ehemaliges
Vorstandsmitglied der groessten Bauerngewerkschaft und Mitglied der
Arbeiterpartei, liess den Gesetzesvorschlag, mit dem Norwegen Mitglied
von UPOV '91 werden sollte, sofort fallen. Er lehnte ihn ab, weil
dieser sich nachteilig auf die baeuerlichen Rechte auswirken wuerde.
Baeuerinnen und Bauern jubelten. Norwegen blieb weiterhin Mitglied von
UPOV '78, das den BaeuerInnen weitreichende Rechte an Saatgut
einraeumt. Einige Monate spaeter sicherte der Minister der
Saatgutindustrie finanzielle Mittel zu, um ihre Einkommensverluste zu
kompensieren. Da die Saatgutindustrie nicht sehr gross, kaum
profitabel, aber lebensnotwendig fuer die Landwirtschaft des Landes
ist, war das ein wichtiger Schritt.

Die Entscheidung, das Gesetz und somit die Mitgliedschaft bei UPOV '91
abzulehnen, muss als ein Sieg der Farmers' Rights in Norwegen gesehen
werden. Diese sind im Internationalen UN-Vertrag ueber
Pflanzengenetische Ressourcen fuer Ernaehrung und Landwirtschaft
(ITPGR-FA) verankert. Farmers' Rights oder die baeuerlichen Rechte,
Samen aus eigener Ernte zu gewinnen, zu tauschen und zu vermarkten,
duerfen durch nationale Gesetzgebung nicht beschnitten werden.

Aber Norwegen ist nicht halb so weit wie Indien, das die Gesetzgebung
mit viel Aufwand angepasst und Sortenschutzgesetze eingefuehrt hat,
die sowohl die Rechte der Bauern als auch der Zuechter respektieren.
Die Bauern duerfen unter gewissen Bedingungen sogar geschuetztes
Saatgut verkaufen. Viele Laender des globalen Suedens, in denen 80
Prozent und mehr der Bevoelkerung in der Landwirtschaft arbeiten und
ihre Flaechen mit selbstgewonnenem Saatgut bestellen, werden ueber
Freihandelsvertraege mit OECD-Staaten gezwungen, UPOV '91 zu
unterzeichen. Das hat verheerende Folgen fuer die Subsistenzbauern
dieser Laender. Es sichert den Saatgut- und Agrochemiekonzernen
zukuenftige Profite, weil alle frueher oder spaeter auf gekauftes
Saatgut umstellen muessen.

Schiefe Gesetzeslage

Aber zurueck nach Norwegen: Erst mit den oeffentlichen Diskussionen um
den Beitritt Norwegens zu UPOV '91, der verhindert werden konnte,
entdeckten Leute aus der Zivilgesellschaft, dass die fruehere
Regierung bereits 2004 ausserdem auch ein sehr restriktives
Saatgutgesetz erlassen hatte, welches Tausch und Verkauf von Saatgut
fuer BaeuerInnen verbot. In der Praxis wurde das Gesetz zwar nicht
vollzogen, die BaeuerInnen machten weiter wie vorher. Dennoch
ermutigte diese Gesetzeslage niemanden, auf dem Gebiet der
kultivierten Pflanzenvielfalt innovativ taetig zu sein.

Die lose Koalition aus NGOs, WissenschaftlerInnen und allen
Bauernorganisationen, die schon die Unterzeichnung von UPOV '91
verhindert hatte, wurde 2007 wieder aktiv und machte durch
Zeitungsartikel und Briefe an das Ministerium die Oeffentlichkeit auf
die schiefe Gesetzeslage aufmerksam. Richtig aktuell wurde die Frage,
als Norwegen seine Gesetze an die neuen EU-Richtlinien zu
Erhaltungssorten aus den Jahren 2008 und 2009 anpassen musste. Bisher
nicht gelistete Sorten muessen fuer den Verkauf registriert werden,
sind dann zwar legal verkaeuflich, jedoch nur unter quantitativen und
geographischen Beschraenkungen und mit zusaetzlichem buerokratischem
Aufwand. Als Mitglied des Europaeischen Wirtschaftsraumes EWR ist
Norwegen verpflichtet, bestimmte EU-Richtlinien, wie etwa jene zu
Patenten und Saatgut, umzusetzen.

Nach umfassenden Gespraechen mit allen betroffenen Interessensgruppen
und einer oeffentlichen Anhoerung kippte die Regierung das Gesetz von
2004 und brachte im April 2010 neue Verordnungen heraus. Diesen liegen
die EU-Richtlinien fuer Erhaltungssorten zugrunde, legen dieselben
aber grosszuegig aus. So duerfen Bauern, Baeuerinnen und
SortenerhalterInnen auf einer nichtkommerziellen Grundlage Saatgut
tauschen und verkaufen. Nach einem vereinfachten Modus duerfen sie
Erhaltungssorten vermarkten und alle Sorten, die sie wuenschen,
anbauen. Die Ursprungsregionen werden weit gefasst. Norwegen hat
versucht, die EU-Richtlinien so weit wie moeglich zu dehnen, und die
Situation ist in dieser Beziehung besser als in den meisten
EU-Laendern.

Wie koennen wir diese Erfolge erklaeren? Ein wichtiger Grund ist
wahrscheinlich, dass transnationale Saatgutkonzerne auf dem
norwegischen Saatgutmarkt praktisch nicht existieren. Das Land hat
sehr spezielle Bedingungen fuer die Landwirtschaft aufgrund der kurzen
Wachstumsperiode mit sehr langen Tagen und viel Tageslicht. Es braucht
also Saatgut, das diesen klimatischen Bedingungen angepasst ist. Der
Saatgutmarkt ist klein und Anteile der groessten Saatgutfirma gehoeren
einer baeuerlichen Genossenschaft. So gab es zwar etwas, aber nicht
sehr viel Lobbying seitens der Saatgutindustrie in Norwegen. Weiters
waren sowohl die akademische Welt als auch die Bauernorganisationen an
den Anhoerungen beteiligt und konnten ihre Analysen und Bedenken den
Behoerden klar machen. Dieser Prozess ebnete den Weg fuer das Nein der
neuen Regierung, UPOV 1991 zu unterzeichnen und fuehrte spaeter zur
Umsetzung der Erhaltungssortenrichtlinie, die fuer Bauern und
Baeuerinnen einigen Spielraum laesst.
(Heike Schiebeck, La Via Campesina Austria in Archipel 1/2011)

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> Die UPOV-Abkommen

UPOV (Union internationale pour la protection des obtentions
végétales) ist der Name des Internationalen Verbandes zum Schutz von
Pflanzenzuechtungen mit Sitz in Genf. Eine diplomatische Konferenz in
Paris beschloss 1961 die Gruendung des Verbandes und das erste
UPOV-Abkommen.

Dieses trat 1968 in Kraft, nachdem es Grossbritannien, die Niederlande
und Deutschland ratifiziert hatten. 1972, 1978 und 1991 wurden jeweils
neue Abkommen beschlossen, die die Rechte der Zuechter mehr und mehr
ausweiteten. UPOV gewaehrt Pflanzenzuechtern und der Saatgutindustrie
geistige Eigentumsrechte auf Pflanzenzuechtungen und beguenstigt das
Entstehen neuer Pflanzensorten. Das Abkommen von 1991 verstaerkte die
Rechte der Zuechter drastisch - zu Lasten der Bauernrechte: In den
Unterzeichnerstaaten von UPOV '91 ist der Austausch von Saatgut und
Vermehrungsmaterial unter Landwirten verboten. Auch der Nachbau mit
Vermehrungsmaterial bei Obstbaeumen, Beeren und Gemuese ist untersagt.
Den Nachbau von Saatgut koennen Mitgliedstaaten in beschraenktem Masse
ausnahmsweise bewilligen. In jedem Fall darf nur Saatgut nachgebaut
werden, das auf dem eigenen Hof vermehrt wurde. Dabei muessen aber
stets die «berechtigten Interessen des Zuechters» respektiert werden.
Das bedeutet: Bei groesseren Mengen wird eine Gebuehr fuer den Nachbau
erhoben. Zu den heute 68 Mitgliedern der UPOV gehoeren die
Europaeische Union und ihre Mitgliedstaaten. 45 Mitglieder haben die
Akte von 1991 ratifiziert.

Staaten, die der UPOV beitreten wollen, muessen Sortenschutzgesetze
erlassen, die mit UPOV '91 uebereinstimmen. UPOV '91 entspricht
offensichtlich nicht den Beduerfnissen des globalen Suedens: Von 15
Laendern, die durch ihren frueheren Beitritt noch die Akte von 1978
uebernehmen konnten - zwoelf aus Lateinamerika, zudem China, Kenia und
Suedafrika -, hat in der Zwischenzeit kein einziges Land die Akte von
1991 ratifiziert. Es ist offensichtlich, dass ihnen UPOV '78 besser
entspricht.

Industrielaender und Suedafrika fuehrten die Verhandlungen fuer UPOV '91
ohne die Situationen und Beduerfnisse der Laender des globalen Suedens
zu beruecksichtigen. Entsprechend entstand ein Schutzsystem fuer die
industrialisierte Landwirtschaft des Nordens. Interessensgruppen
werden nur selektiv eingebunden. Wenn neben den Unterzeichnerstaaten
nur die Saatgutindustrie am Verhandlungstisch sitzt, kann es kein
ausgewogenes Resultat geben. Die Partizipation von NGOs und der
Bauernorganisation La Via Campesina wurde 2009 aus politischen
Gruenden abgelehnt. Nach Protesten gewaehrte man im Oktober 2010 La
Via Campesina und APBEBES (l'Association pour une sélection de plantes
bénéficiant à la société) zumindest in einigen Gremien
Beobachterstatus.

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Quelle mit Links:
http://www.forumcivique.org/de/artikel/dossier-saatgut-norwegens-nein-zu-strengerem-sortenschutz

Internationale Aktionstage fuer Saatgut-Souveraenitaet:
Bruessel - 17./18. April 2011:
http://www.saatgutkampagne.org

Weitere Info: DOSSIER SAATGUT der Zeitschrift Archipel (01/2011):
http://www.forumcivique.org/de/archipel/189-012011



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