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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. Jaenner 2011; 23:05
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Sudan:

> Ein neuer Staat fuer Afrika...

Am 9.1.2011 stimmte die Bevoelkerung von Suedsudan darueber ab, ob aus
dieser etwa zweimal die Flaeche der BRD umfassenden Region ein
unabhaengiger Staat wird. Die Erfolgschancen fuer ein "Ja zur
Unabhaengigkeit" stehen gut. Die zukuenftigen Buerger eines neuen
Staates eint keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsame Religion und
bis jetzt wurden sie nicht als "suedsudanesisches Volk" bezeichnet
(von sich selber oder von anderen), sondern als Dinka, Nuer, Schilluk,
Azande, Acholi usw. Es fehlen also die wichtigen Merkmale, die
Nationalisten weltweit fuer entscheidende Faktoren der Staatsgruendung
halten. Die Gemeinsamkeit, die die neuen Staatsbuerger eint, ist eine
rein negative: Sie alle entsprachen nicht dem Ideal eines
Staatsvolkes, das der sudanesische Staat unter verschiedenen Regimen
seit seiner Gruendung propagierte - sie waren nicht arabischsprachig
und islamglaeubig. Die britische Kolonialmacht hatte den Sueden vom
arabischen Norden weitgehend isoliert und bei der Entlassung in die
Unabhaengigkeit 1956 darauf bestanden, dass der islamisch-arabische
Norden und der "schwarzafrikanische" Sueden einen Staat bilden. Der
Grund dafuer war die Befuerchtung, dass der unabhaengige Nordsudan zum
Satellitenstaat des panarabischen und damals sowjetfreundlichen
Aegyptens wuerde. Die meiste Zeit (1955-1972 und 1983-2005) herrschte
in der Region Krieg, wobei die Rebellen mal Autonomie innerhalb des
Sudan, mal Unabhaengigkeit vom Norden forderten, waehrend die
Regierung aus dem Norden immer wieder versuchte die islamischen
Gesetze auch auf die Bevoelkerung in und aus dem Sueden auszuweiten.
2005 kam unter der Vermittlung respektive dem Druck der westlichen
Staaten ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und der groessten
Rebellengruppe Sudanese People´s Liberation Army / Movement (SPLA/M)
zustande. In diesem wurde ein Autonomiestatus fuer den Sueden
inklusive der paritaetischen Teilung der Rohstoffeinnahmen
vereinbart.(1) Sollte das Referendum erwartungsgemaess zur Abspaltung
des Suedens fuehren, wuerde dadurch ein bis dato nie angetastetes Tabu
der Politik im postkolonialen Afrika gebrochen: die Unrevidierbarkeit
der von Kolonialmaechten gezogenen Grenzen. (2) Der sudanesische Staat
hat durch die Beguenstigung von arabischsprachigen Moslems - die 42 %
der Bevoelkerung bilden - fuer die Entstehung von weiteren
Autonomiebestrebungen in Darfur und an der Rotmeerkueste gesorgt.
Inzwischen laufen im Land mehrere Missionen von UNO und Afrikanischer
Union, die den Frieden in Darfur und im Sueden ueberwachen sollen. Die
schwerstwiegende Konsequenz des Referendums fuer den Norden ist aber
der Entzug von beachtlichen Teilen seiner oekonomischen Grundlagen -
der Rohstoffe, denn wovon der neue suedsudanesische Staat oekonomisch
gespeist werden wird, steht noch vor Staatsgruendung fest: vom Export
des im Sueden reichlich vorkommenden Erdoels. Einer der Gruende fuer
die Rebellion im Sueden war die Tatsache, dass die Oelfoerderung die
Subsistenzwirtschaft der Bevoelkerung zerstoerte, waehrend die Gewinne
aus dem Export nie der Region sondern nur dem Norden zugute kamen.
Mehr noch: die Regierung plante das Wasser aus den Quellen im Sueden
fuer die Landwirtschaft in den trockenen Norden umzuleiten. Die
Rebellen revanchierten sich mit Versuchen, die Oelfoerderung zu
sabotieren. Nachdem der Sudan beim Westen in Ungnade gefallen war, hat
sich China die privilegierte Stellung bei der Oelfoerderung gesichert.
Fuer die Gewinne aus dem Export kaufte der Sudan wiederum chinesische
Waffen (die westlichen Laender belegten den Sudan mit einem Embargo),
um die Rebellen von den Oelfeldern fernzuhalten.

Der Sudan ist ein Staat, in dem die kapitalistische Wirtschaftsweise
per Gesetz verordnet ist, aber kapitalistische Produktion kaum
stattfindet. Die chinesischen Oelfirmen bringen ihre eigenen
Mitarbeiter mit, das Buergertum handelt mit importierten Waren oder
vergibt "islamische (also offiziell zinsfreie) Geldkredite", ansonsten
gibt es noch die Option im staatlichen Apparat (dank zahlreicher
Regionalkonflikte ist seine bewaffnete Abteilung nicht gerade klein)
zu arbeiten um nicht mit Subsistenzwirtschaft Natur, Klimawandel,
Staat sowie feindlichen Nachbar"staemmen" trotzen zu muessen. Darum
sind Plaetze im Staatsapparat begehrt und meist fuer loyale
arabischsprachige Moslems vorgesehen; die anderen Gruppen sind am
Staatserfolg oft weniger interessiert. Das haben die sudanesischen
Buerger mit den Bevoelkerungen der meisten anderen afrikanischen
Staaten gemein - ein wichtiger Unterschied zu den Buergern der sog.
funktionierenden kapitalistischen Staaten im Westen, die den eigenen
Erfolg in der Konkurrenz an den Erfolg ihres Staates knuepfen muessen.
Denn die Buerger westlicher Staaten sind auch vom oekonomischen Erfolg
"ihres" Staates abhaengig. Die Subsistenzbauern koennen sich hingegen
dazu erstmal gleichgueltig stellen, weil sie - im Gegensatz zu
Lohnarbeitern - ohnehin nicht von einem Kapital benutzt werden, das
einen Staat als Geschaeftsgaranten voraussetzt.

All diese Probleme nimmt der Suedsudan in die Unabhaengigkeit mit.
Aendern wird sich die privilegierte Gruppe im Staatsapparat (Dinka
statt Araber) und die profitierenden Grossmaechte (EU statt China).
Die Oelgewinne muss der Sueden mit dem Restsudan teilen, zumal die
ganze Infrastruktur fuer den Export sich im Norden befindet. Die
Maechte, die dem Sueden seine Unabhaengigkeit vermittelten, arbeiten
schon an der Behebung des Mankos. Deutsche Firmen bauen eine
Eisenbahnstrecke, mit der das Oel aus dem Sueden ueber politisch
zuverlaessigere Laender in die Haefen Ostafrikas gebracht werden soll.
Damit waere der neue Staat in der Lage, dem restlichen Sudan den
Zugriff zum Oel zu verweigern, womit wiederum dem Westen sowohl der
Druck auf die Regierung in Khartum, als auch - der wohl viel
wichtigere - Schlag gegen die aufstrebende chinesische Macht moeglich
waere. Die Entdeckung von neuen Oelreserven im Sueden machten den
Suedsudan doppelt interessant fuer die USA und die EU - neben dem
wirtschaftlichen Nutzen des Oels selbst bedeutet die Kontrolle ueber
die Oelquellen die politische Schwaechung der Staaten, die versuchen,
aus ihrer Stellung als Oellieferanten weltpolitisches Kapital zu
schlagen.

Wie so manche "Befreiungsbewegung" der sog. Dritten Welt hatte sich
die SPLA bei ihrer Gruendung 1983 auch als irgendwie links und
sozialistisch praesentiert. Seitdem liess die SPLA sich von so
unterschiedlichen Maechten wie Libyen, (dem realsozialistischen)
Aethiopien, Israel, Uganda und Aegypten unterstuetzen. Als der Sudan
in den 1990ern auf der Liste der Terror-Unterstuetzer der USA landete,
bekam die SPLA immer mehr Hilfe von der Weltmacht Nr. 1. - was auch
deren Sympathien fuer den Sozialismus schnell schwinden liess. Die
SPLA war sich lange Zeit nicht sicher, ob sie lieber die
Unabhaengigkeit fuer den Sueden oder den Sturz des Militaerregimes im
Khartum erkaempfen will. Die Bewohner des Suedens wurden von der
Regierung waehrend des Buergerkrieges immer wieder von der Versorgung
abgeschnitten und erleben den sudanesischen Staat seit Jahrzehnten als
eine feindliche Macht. Die SPLA konnte sich in den laendlichen
Regionen etablieren und sah den kommenden Staat als ihr eigenes
Projekt. Noch waehrend der Verhandlungen 2005 begann die SPLA damit,
um die Ausweitung des Begriffes "Suedsudan" zu streiten. Waehrend die
Regierung "Sueden" im Rahmen der britischen Verwaltungseinheiten
definierte, sah die SPLA auch die benachbarten rohstoffreichen
Provinzen, wo es viele "schwarzafrikanische" Bewohner gibt, als ein
Teil des Suedens. Die Gebiete, in denen die Rindernomaden der
"schwarzen" Gruppe Dinka ihre Herden weiden lassen, sollen nach der
SPLA-Definition auch beim Referendum ueber die Unabhaengigkeit
abstimmen duerfen. Die arabischsprachigen und regierungsloyalen
Misseriya-Nomaden, die im selben Gebieten leben, sehen die
Staatsgruender von der SPLA als fremde Besatzer. Den Kampf um die
aeusserst oelreiche Region Abyei (3) scheint die SPLA erstmals
verloren zu haben - der Staendige Schiedsgerichtshof in Den Haag hat
den Grossteil des Gebiets samt Oelfeld der Khartumer Regierung
zugeschlagen. Die SPLA akzeptierte den Schiedsspruch offiziell,
schleust aber weiter ihre Truppen in die Region ein. Die
Zugehoerigkeit der Provinzen Suedkordofan und Blauer Nil hat die SPLA
erfolgreich zur Disposition gestellt - dort wird ebenfalls ueber die
Unabhaengigkeit abgestimmt - allerdings darf dort die SPLA bis zum
Ausgang des Referendums sich nicht als Quasi-Staatsmacht aufspielen.
Im restlichen Sueden allerdings schon. Dort zeigt sich der Prozess von
Staats- und Nationengruendung in seiner ganzen Pracht. Als Erstes wird
mit internationaler Hilfe der Staatsapparat geschaffen, wo die Helden
des Unabhaengigkeitskrieges untergebracht werden. Hat sich die SPLA
zuvor ueber die Ueberrepraesentation der Araber im Khartumer
Staatsapparat empoert, wird nun der suedsudanesische Staatsapparat vor
allem mit Dinka besetzt - der Gruppe, die auch die gesamte Fuehrung
der SPLA bildet. Der Prozess der Staatsbildung schliesst die
Sortierung in zuverlaessige und weniger zuverlaessige Staatsbuerger
mit ein: die Parteigruendungen von Minderheiten, die sich gegen die
Dominanz der Dinka auflehnen, werden von SPLA als Agenten des Nordens
denunziert, die Nomaden mit "falscher" Sprache oder Religion am Zugang
zu Wasser und Weiden gehindert. Die Araber im Sueden, deren Familien
nach der Unabhaengigkeit des Sudans 1956 in die Region kamen, duerfen
beim Referendum nicht abstimmen. Auf dem Weg zur Unabhaengigkeit kommt
es auch vor, dass ein Aktivist der Kommunistischen Partei Sudans -
ehemalige Verbuendete der SPLA im Rahmen des National Democratic
Alliance (4) - fuer das Aufhaengen ihrer Plakate ins Gefaengnis kommt.
Dabei hat die KP nicht mal fuer den Kommunismus (also auch die
Abschaffung der Staaten) agitiert, sondern fuer einen gemeinsamen
Kampf gegen das Regime des Khartumer Diktators Al-Baschir im Namen der
saekularen Demokratie. Die Idee der sudanesischen Kommunisten, die
Scharia-Gesetze sollten von allen Bewohnern Sudans ganz unabhaengig
von ihrer religioesen oder ethnischen Identitaet bekaempft werden,
passt jetzt schlecht zu dem Konzept der SPLA, die ihr
Unabhaengigkeits-Projekt gerade mit den Unterschieden der Identitaeten
begruendet.

Ansonsten ist die SPLA damit beschaeftigt, unter internationaler
Kontrolle ihre Truppen zu demobilisieren - nach einigen Angaben sind
die inzwischen doppelt so stark, wie beim Friedensabkommen 2005 (also
am Anfang der Demobilisierung). Ab und zu hoert man, dass somalische
Piraten ein Schiff mit Panzern gekapert haben, die fuer den mit einem
Waffeneinfuehrverbot belegten Suedsudan bestimmt waren. 40 % des
Budgets gibt die Autonomieregierung fuer ihre Streit- und
Sicherheitskraefte aus.

Damit hat SPLA alles, was man in der sog. Dritten Welt fuer eine
Staatsgruendung braucht: militaerische Macht, fuer die Erste Welt
interessante Exportprodukte, Kader fuer den Staatsapparat und den
Segen einiger Weltmaechte.

Die sudanesische Regierung, die 1989 nach einem Putsch von Militaers
und Islamisten an die Macht gekommen war, hat im Kampf gegen ihre
widerspenstigen Buerger kaum ein Mittel ausgelassen. Die
Islamisierungskampagnen und Militaerangriffe waren verbunden mit der
Dezimierung der illoyalen Bevoelkerungsgruppen durch die Verweigerung
der humanitaeren Hilfe mitten in der Hungersnot. Die Marktreformen im
Sinne des IWF (mit dem sich die Islamisten blendend verstanden)
leisteten auch ihren Beitrag zur oekonomischen Notlage. Parallel
schaffte es Khartum immer wieder, die Rebellen zu spalten, Den
Angehoerigen loyaler Gruppen hat man nicht nur gestattet ihre
rebellischen Nachbarn zu bekaempfen, sondern auch sich an deren
Eigentum zu bereichern und sie in die Sklaverei zu verschleppen. Wenn
die Nomaden durch die Duerren ihr Vieh verloren, wurde das Pluendern
bei den anderen "Staemmen" und Bewachen von Oelfeldern gegen die
Rebellen ihre neue Lebensgrundlage.

Nun aber hat sich die Regierung mit der Abspaltung des Suedens
scheinbar abgefunden. Die Weltoeffentlichkeit raetselt: ist das der
Anfang vom Ende, weil die SPLA das Fanal zur Staatsaufloesung durch
diverse Separatisten gegeben hat oder wird das Regime jetzt
stabilisiert, weil die SPLA die schlagkraeftigste Gruppe der
gesamtsudanesischen Opposition war? Der Praesident Al-Baschir (gegen
den ein internationaler Haftbefehl wegen Voelkermords laeuft), will
lieber keinen direkten Konflikt mit dem Westen. Manche Islamisten
wenden sich enttaeuscht vom Versuch, den Sueden zum wahren Glauben zu
bekehren, ab und wollen lieber einen Rumpf-Sudan mit weniger
Rohstoffen und ganz ohne Minderheiten. Dort erhoffen sie sich, endlich
ihre Scharia-Utopie zu verwirklichen. Die Opposition fuehlt sich
dagegen von der SPLA im Stich gelassen.

Doch schon bahnt sich der Streit der Regierung mit dem Sueden an, was
mit den Fluechtlingen aus dem Sueden passieren soll, die in den
Grossstaedten des Nordens wohnen. Die SPLA will gewaehrleisten, dass
auf den Wahllisten fuer das Referendum nur die landen, auf deren
Willen zur Unabhaengigkeit man sich verlassen kann. Aehnlich geht der
Nord-Sued-Kampf um das Stimmrecht der im Sueden lebenden Araber. Je
nach Interesse, lassen die Regierung und die SPLA entweder den
geographischen oder den ethnischen Faktor gelten. Man darf gespannt
sein, welcher Staat demnaechst wen zu seinen Untertanen zaehlen darf.

Gruppe "Kritik im Handgemenge" Bremen
http://www.junge-linke.de


1 Zur Vorgeschichte siehe :
http://www.junge-linke.org/de/die_intervention_in_den_sudan_noch_ein_beweis_dafur_dass_es_ohne_weltpolizei_nicht_geht

2 Einzige Ausnahme war bisher die Trennung Eritreas von Aethiopien
1993.

3 Wo seit dem 07.1.2011 wieder gekaempft wird.

4 Die National Democratic Alliance (NDA) ist eine Dachorganisation der
Opposition, die sich nach dem Putsch von Militaers und
Moslembruderschaft 1989 gegruendet hat. Sie umfasst ehemalige
Regierungsparteien (Umma, Democratic Unionist Party), regionale
Autonomiebewegungen (SPLA, Beja Congress, Rashida Free Lions) und
Linksnationalisten (Baath-Partei). Zum Thema Abspaltung des Suedens
konnte die NDA sich nie einigen.



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